Der Amoklauf in Ansbach war von dem 18-jährigen Täter schon länger geplant. Fahnder entdeckten in seinem Zimmer Aufzeichnungen und sein Testament.

Ansbach/Osnabrück/München. Der Amoklauf in Ansbach war von dem 18 Jahre alten Täter schon länger geplant. Bei einer Durchsuchung des Zimmers des Gymnasiasten hätten Fahnder entsprechende Briefe entdeckt, sagte Oberstaatsanwältin Gudrun Lehnberger am Freitag in Ansbach. „Gefunden worden ist auch eine Art Kalenderblatt, da hat unter dem 17.9. das Wort „Apokalypse“ gestanden“, ergänzte Jürgen Krach von der Staatsanwaltschaft Ansbach. Auch ein Testament sei unter den Unterlagen gewesen.

Polizisten und Lehrer fordern mehr Sicherheit an Schulen

Inzwischen hat die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) Versäumnisse bei der Schulsicherheit kritisiert und ein flächendeckendes Frühwarnsystem gefordert. „Die schreckliche Tat von Ansbach belegt leider einmal mehr, dass Deutschlands Schulen keine sicheren Orte sind“, sagte DPolG-Chef Rainer Wendt der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Wir brauchen endlich ein flächendeckendes Frühwarnsystem für Schulen.“

Trotz aller politischen Versprechen nach den Amokläufen von Erfurt und Winnenden fehle es aber nach wie vor massiv an Schulpsychologen und Sozialarbeitern, die Probleme der Schüler frühzeitig erkennen könnten. „In jede Schule in Deutschland gehören mindestens ein Sozialarbeiter und ein Psychologe“, forderte Wendt. Er machte den Bundesländern harte Vorwürfe: „Die Landesregierungen müssen endlich ihre Hausaufgaben machen und massiv in die Schul-Sicherheit investieren, statt nach jedem Amoklauf mit Rufen nach schärferen Gesetzen von ihren großen Versäumnissen in der Schulpolitik abzulenken.“



Neben der Polizei hat auch der Lehrerverband Notfallpläne für Schulen eingefordert. Der Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Klaus Wenzel, zeigte Verständnis für die Forderung nach schärferen Sicherheitsvorkehrungen. So könnte beispielsweise im Falle zukünftiger Amokläufe über Lautsprecher ein verschlüsseltes Warnsignal abgegeben werden. Auch Videokameras seien denkbar. Das Wichtigste sei jedoch die Prävention bereits im Vorfeld einer Gewalttat.


Wenzel mutmaßte, dass der Täter im Fall von Ansbach zu wenige Erfolgserlebnisse und positive Rückmeldungen in der Schule erlebte. Um dieser Vernachlässigung beizukommen, forderte Wenzel zum einen kleinere Klassen, um sich individueller um die Schüler kümmern zu können. Zum anderen müssten mehr pädagogische Fachkräfte wie Schulpsychologen und Sozialarbeiter eingestellt werden.


Wenzel warnte davor, den Vorfall zu instrumentalisieren. Er forderte eine grundlegende Diskussion in Politik und Gesellschaft über die Rolle der Schule. Diese müsse mehr als eine Bildungseinrichtung sein, nämlich eine „Wohlfühleinrichtung“.


Der Vorfall habe ihn bestürzt und ratlos gemacht. Es mache „große Angst“, dass die Abstände zwischen solchen Gewalttaten immer kürzer würden, sagte Wenzel. Der brutale Überfall, bei dem am Samstag der 50-jährige Geschäftsmann Dominik Brunner in München getötet wurde, und der Amoklauf in Winnenden hätten gezeigt, dass junge Menschen immer häufiger über die Schwelle zur Gewalttätigkeit hinüberschlitterten.


Der BLLV-Präsident zollte den beteiligten Lehrern und Schülern in Ansbach großen Respekt. „Ich finde es vorbildlich, wie die Lehrer und Schüler reagiert haben.“ Wann die Schule wieder zum normalen Betrieb zurückkehren könnte, wollte er nicht prognostizieren. Allerdings könne er sich vorstellen, „dass es schneller geht als in Winnenden“, sagte Wenzel.


Der dritte Amoklauf an einer deutschen Schule in diesem Jahr


Gestern Morgen um 8.30 Uhr hatte der 18 Jahre alte Georg R., Schüler der 13. Klasse, mit drei Molotowcocktails, einer Axt und zwei Messern bewaffnet das Schulgebäude in Ansabach gestürmt.


Um 8.35 geht bei der Polizei der erste Notruf ein. Da hat der Amokläufer, der einen schwarzen Mantel und eine Schutzbrille trägt, bereits zwei Brandsätze in voll besetzte Räume einer achten und elften Klasse im dritten Stock geworfen. Einer der Molotowcocktails trifft eine Schülerin der elften Jahrgangsstufe und verletzt sie schwer. Dann wartet der Täter mit der Axt in der Hand an der Klassentür und schlägt auf die flüchtenden Jugendlichen ein. Eine Schülerin verletzt er dabei so schwer schwer am Kopf, dass sie gestern am späten Abend noch in Lebensgefahr schwebt. Sechs weitere Jugendliche und ein Lehrer werden ebenfalls verletzt. Kurze Zeit später trifft ein Großaufgebot von Einsatzkräften ein. Das Gebäude mit knapp 700 Schülern wird sofort evakuiert.


Dann fallen Schüsse.


Es ist 8.46 Uhr: Der Albtraum ist vorbei. Die Polizei stoppt den Amokläufer mit fünf Schüssen in den Körper. Schwer verletzt schleppt sich Georg R. auf eine Schultoilette, wird dort festgenommen und mit einem Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus geflogen, wo er sofort operiert wird. In der Nacht verschlechtert sich sein Zustand etwas, er wird ein weiteres Mal operiert und ist noch nicht vernehmungsfähig.


Es war der dritte Amoklauf an einer deutschen Schule in diesem Jahr. "Mit dem schnellen Einsatz der Polizei gelang es, eine schlimmere Eskalation zu verhindern", sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Das ist auch ein Verdienst eines Schülers der 13. Klasse. Er informierte geistesgegenwärtig die Polizei, nachdem er eine Explosion gehört hatte. Deshalb konnte Georg R. nur elf Minuten nach dem Notruf schon überwältigt werden. Außerdem löschte der Abiturient, der Mitglied der freiwilligen Feuerwehr ist, noch einen Kleinbrand. Ein Schüler, der den Amoklauf miterlebte, berichtete geschockt: "Wir haben zuerst gedacht, das ist eine Übung, aber dann hat alles gebrannt." Er selbst habe sich noch in letzter Sekunde sein brennendes T-Shirt ausziehen können. Während der Paniksituation haben die Lehrer vorbildlich die Verletzten aus der Schule getragen und überprüft, ob alle Klassenzimmer verlassen worden sind, berichtete Schulleiter Franz Stark. Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) zeigte sich am Tatort bestürzt: "Ein schreckliches Ereignis. Aber so etwas lässt sich nicht vermeiden. Eine Schule ist kein Hochsicherheitstrakt." Die große Frage nach dem "Warum" beschäftigt nun Eltern, Polizei und Schüler. Doch bislang ist das Motiv von Georg R., der von seinen Mitschülern als Einzelgänger bezeichnet wird, unklar. Kriminologe Arthur Kreuzer von der Uni Gießen: "Die Tat ist ein Akt der scheinbaren Befreiung. Einmal bin ich der Mächtige und nehme die Waffe. Danach ist alles zu Ende." (abendblatt.de/dpa/ddp)