Rettungsversuch: Jahr für Jahr sterben 300 000 Wale und Delfine. In Berlin beraten internationale Experten über neue Schutzmaßnahmen - mit Aussicht auf Erfolg.

Hamburg. Schnurstracks und lautlos gleitet ein Grauwal auf das Motorboot zu. Mit einem Schlag könnte der 30-Tonnen-Koloss das Boot zertrümmern, in dem ein gutes Dutzend Touristen die Kameras schussbereit hält. Ein paar Meter noch - dann stoppt der Riese ab. Er hebt seine drei Meter lange Stirn aus dem Wasser und kommt mit kindlicher Neugier vorsichtig an die Reling heran. Hände tätscheln - manche hektisch, andere zögerlich - den mit Seepocken besetzten Kopf. Die Haut ist weich wie ein Pferdemaul. Wer je einen solchen Augenblick erlebte, wird ihn nie vergessen. Wie Antoine F. Goetschel, Geschäftsführer der Stiftung für das Tier im Recht, der unlängst in einem Essay mit dem Titel "Die Würde des Wals" notierte: ". . . aufgewühlt durch den warmen, würdigen Blick eines Tieres in meine Richtung - oder gar auf mich? Aufgewühlt nach der Begegnung mit dem Wal, dem Delfin, die mir so nahe ging." Mensch und Wal: Ihre Begegnung ist eines der letzten Abenteuer auf diesem Planeten, und das nicht erst, seit der Schwertwal "Keiko" in "Free Willy" zum Filmstar wurde. Mensch und Wal: Leider verläuft ihr Zusammentreffen nicht immer so friedlich wie jenes in der mexikanischen Baja California. Im Gegenteil: Jedes Jahr sterben mehr als 300 000 Wale und Delfine - direkt oder indirekt durch Menschenhand. Unzählige Male haben Umweltschützer und Regierungen diskutiert und verhandelt, wie man diesem Elend ein Ende setzen kann: ohne nennenswerten Erfolg. Von Montag an werden sie es in Berlin wieder versuchen; dann tagt die Internationale Walfangkommission (IWC), erstmals in Deutschland. Obwohl der kommerzielle Walfang seit 1986 verboten ist, setzen einige Länder die Jagd auf Großwale fort. Die japanische Fangflotte tötete iIn der vergangenen Saison 590 Zwerg-, 50 Sei-, 50 Bryde- und zehn Pottwale - ihr Fleisch ist in Japan eine Delikatesse. Norwegische Jäger brachten zuletzt 643 Zwergwale zur Strecke. Unter den Küstenbewohnern gilt der Walfang als wichtige Tradition. Außerdem pocht das Land auf seine Souveränität und will selbst entscheiden, welcher Norweger wann auf Jagd gehen darf. Dasselbe gilt für Island. Der Inselstaat will nach zwölf Jahren Abstinenz die Jagd wieder aufnehmen und hat sich den Abschuss von 100 Zwerg-, 100 Finn- und 50 Seiwalen genehmigt - begründet mit wissenschaftlichem Interesse. Am häufigsten gerät der bis zu zehn Meter lange Zwerg- oder Minkwal ins Visier der Harpuniers. Er gehört - trotz seines Namens - zu den Großwalen. Auch der Finn- und der Seiwal sind so stark gefährdet, dass Walschützer eine Bejagung für unverantwortlich halten. Doch selbst die sind sich nicht einig. Die einen fürchten, dass selbst ein sehr restriktives Zulassen von kommerziellem Walfang dem Schwarzhandel Tür und Tor öffne und lehnen ihn deshalb grundsätzlich ab. Andere könnten sich eine kontrollierte Nutzung der Walbestände vorstellen, damit die jetzige Situation, in der der kommerzielle Fang zwar verboten ist, einzelne Länder aber juristische Hintertüren nutzen, ein Ende hat. "Seit Beginn des Fangmoratoriums im Jahr 1986 wurden 24 000 Wale getötet. Dieser chaotische Zustand muss schleunigst beendet werden", sagt Volker Homes vom World Wide Fund for Nature (WWF). Mehr noch als die gezielte Jagd bedrohen andere Gefahren die Wale. An erster Stelle steht der Beifang. Vor allem die kleineren Arten verheddern sich häufig in Fischereinetzen und ertrinken jämmerlich (als Säugetiere müssen sie regelmäßig zum Luftholen an die Oberfläche). Laut WWF sind es bis zu 300 000 jährlich. Allein vor der Haustür Deutschlands, in der Nord- und Ostsee, verenden 7500 Schweinswale pro Jahr, zumeist in den Stellnetzen dänischer Kabeljaufischer. Die zunehmende Vergiftung der Meere macht vor allem jenen Arten zu schaffen, die sich von Fischen ernähren (Zahnwale). Einige Arten nehmen mit ihrer Nahrung Schadstoffe in so hohen Konzentration auf, dass sie krank werden. So haben die weißen Beluga-Wale des kanadischen St. Lorenz-Stroms die höchste Krebsrate aller Säugetiere. Auch der zunehmende Unterwasserlärm durch Schallsignale von Schiffen oder durch Offshore-Industrieanlagen setzt den Zahnwalen besonders zu. Denn sie jagen ihre Beute mit Schall und sind darauf angewiesen, dass die Echos der ausgesendeten Klicklaute nicht in einem Meer von Misstönen untergehen. Starke militärische Sonare können das Walgehör sogar vollständig zerstören. Betroffene Tiere verlieren die Orientierung und sterben. Wenngleich von der Berliner IWC-Konferenz nicht unbedingt Fortschritte in Sachen Walfang zu erwarten sind, so könnte sie beim Walschutz zum Meilenstein werden: Ganz oben auf der Tagesordnung steht eine Resolution, die "Berliner Initiative". Ihr Ziel: Die Gründung eines Komitees, das sich der Umweltgefahren annehmen soll, um vor allem den Beifang zu bekämpfen. Mexiko stellt den Antrag, 18 Staaten, darunter Deutschland, unterstützen ihn. Gerade in Mexiko errangen Walfreunde bereits einen großen Sieg: Sie verhinderten Ende der 90er-Jahre den Bau einer Salzgewinnungsanlage in der Bucht von San Ignacio. Es ist die größte Kinderstube der ostpazifischen Grauwale. Dort kam einst auch jener Koloss zur Welt, der sich so freundlich von den Touristen streicheln lässt (siehe oben).