DOSB-Präsident Alfons Hörmann zieht nach den Olympischen Winterspielen Bilanz und spricht über die verfehlte Zielvergabe für das deutsche Team. Mit Holland tauschen würde Hörmann nicht.

Sotschi. Die Speicherkarte seines Smartphones war beizeiten voll, bei seinen ersten Olympischen Spielen als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes hielt Alfons Hörmann, 53, seine Eindrücke auf geschätzt mehr als 500 Fotos fest. Im Dezember erst zum DOSB-Chef gewählt, hat er in Sotschi gleich zwei Krisenfälle zu managen gehabt: Zum einen die deutlich unter der Zielstellung von mindestens 27 Medaillen gebliebene Bilanz der deutschen Olympiamannschaft. Zum anderen den Dopingfall der Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle, die Hörmann als langjähriger Skiverbandspräsident persönlich gut kennt. Für ihn sei die Nachricht von der positiven Dopingprobe „wie für alle im Team ein schockierendes Erlebnis gewesen“. Alle Athleten seien vor den Spielen immer wieder auf die Gefahr hingewiesen worden, die von Nahrungsergänzungsmitteln ausgehe. „Ich kann nur mit ungläubigem Erstaunen feststellen: Das hätte so nicht passieren müssen“, sagte Hörmann.

Hamburger Abendblatt: Herr Hörmann, die Spiele von Sotschi gehen zu Ende und damit auch die ersten Spiele in Ihrer Amtszeit als DOSB-Präsident. Welcher Moment war für Sie in den vergangenen zwei Wochen der bewegendste?

Alfons Hörmann: Da gab es viele. Die Bronzemedaille von Viktoria Rebensburg im Riesenslalom und der Sieg des Skisprungteams haben mich sehr bewegt. Es gab aber auch bewegende Momente im negativen Sinne. Der Teamsprint der Langläufer, als Tim Tscharnke kurz vor Schluss stürzte. Der Einfädler von Stefan Luitz am letzten Riesenslalom-Tor, solche Augenblicke bewegen dich dann fast noch mehr.

Früher kamen Sie als Präsident des Skiverbands angereist, nun müssen Sie als Deutschlands höchster Sportfunktionär viele Termine und Verpflichtungen wahrnehmen. Müssen Sie jetzt auch diplomatischer sein als früher?

Hörmann: Im Schnitt war ich hier am Tag 16 bis 18 Stunden im Dienst, und es stimmt schon: Als DSV-Präsident konnte ich klarer formulieren. Jetzt werden meine Worte anders gewichtet und wahrgenommen. Mit lockeren, humorvollen Sprüchen muss ich zwangsläufig vorsichtiger umgehen. Aber diese Konsequenz war mir vorher schon bewusst.

Bewusst waren Ihnen auch die politischen Debatten im Vorfeld, die Kritik an den Putin-Spielen von Sotschi. Mit welchen Bedenken kamen Sie hier angereist?

Hörmann: Meine Einstellung war kritisch konstruktiv. Ich wollte mir das Ganze erst einmal anschauen. Man reist mit einem großen Fragezeichen an.

Und gibt es schon ein Ausrufezeichen?

Hörmann: Wenn wir sportfachlich beginnen, waren es exzellente Spiele. Was die Stadien betrifft, die Anlagen, das war mustergültig. In Sachen Infrastruktur hat das Land durch die Spiele perfekte Voraussetzungen für die Zukunft geschaffen. Es besteht das Potenzial, dass hier das größte russische Wintersportzentrum entsteht. Nun bleibt die Frage, wie das Potenzial genutzt wird.

Fürchten Sie nicht, dass hier eine große Brache entsteht und die Olympiastätten nie mehr genutzt werden?

Hörmann: Ich bin gespannt. Erst einmal komme ich in zwei Wochen noch einmal zu den Paralympics hierher, das wird im Vergleich zu Olympia schon andere Eindrücke vermitteln. In jedem Fall habe ich vor, in zwei, drei Jahren inkognito nochmals hierher zu fahren, um mir dann ein Bild zum Thema Nachhaltigkeit zu machen.

Neben der Nachhaltigkeit gab es im Vorfeld Diskussionen um die Menschenrechte. Denken Sie, Olympische Spiele helfen der Situation der Bürger, oder ist das nur Illusion, dass eine zweiwöchige Sportveranstaltung die Lage verbessert?

Hörmann: Da würde ich mir die Aussage unseres Innenministers Thomas de Maizière zu eigen machen: Durch Olympische Spiele wird die Situation der Menschen nicht unbedingt besser, aber auch nicht unbedingt schlechter. Ich bin am Mittwoch mit einer Gruppe junger Russen in der Gondel gefahren. Auf die Frage, was von den Spielen bleibt, sprachen sie von der bereits erkennbaren Entwicklung hin zu mehr Arbeitsplätzen in der Region, und auch von der Hoffnung, dass durch die Spiele weltweit ein neues Russland-Bild vermittelt worden ist. Ein Bild von einem Russland, das seine Gäste willkommen heißt und das die ehemalige Sowjetunion hinter sich gelassen hat.

Skeptisch ist der Blick in Deutschland auch auf Olympische Spiele im eigenen Land. Gleichzeitig sitzen die Menschen daheim vor den Fernsehern und sorgen für Rekord-Einschaltquoten. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

Hörmann: Einerseits zeigt dies, dass die Begeisterung der Menschen für das Ereignis Olympia ungebrochen ist. Das bedeutet aber offensichtlich noch nicht, dass man es auch zwingend vor der eigenen Haustüre möchte. Unsere Vision von Spielen in München wäre der Gegenentwurf zu Sotschi gewesen, wir hätten auf bestehende Infrastruktur und die bei uns vorhandene Wintersportbegeisterung gesetzt. Dass München, Garmisch-Partenkirchen, Ruhpolding und Berchtesgaden in der Lage gewesen wären, stimmungsvollere Szenarien zu schaffen als hier teilweise erlebt, steht sicher außer Frage.

Wenn die Menschen Olympia nicht wollen, steht zu befürchten, dass nur noch autokratischen Staaten die Spiele gegeben werden. Kann das IOC das wollen?

Hörmann: Wenn wir oder vergleichbare Staaten Olympische Spiele bei uns nicht mehr wollen, dann bliebe dem IOC gar nichts anderes übrig. Das IOC beschäftigt sich jedoch erkennbar intensiv mit diesem Thema. Die Frage wird sein, was sind die Bemessungskriterien für Olympische Spiele? Sicher sind Naturschutz, Menschenrechte und Nachhaltigkeit durch die Dimensionen in Sotschi deutlich stärker ins Bewusstsein gerückt. Wir müssen in der weltweiten Sportfamilie einfach kritisch analysieren, was wir aus unseren gescheiterten Bewerbungen lernen können.

Eine Bewerbung für Winterspiele ist aber endgültig vom Tisch, oder?

Hörmann: Mir fehlt die Vorstellung, wie man das im Moment wieder auf den Weg bringen könnte.

Dann also Sommerspiele, Hamburg und Berlin melden wieder Interesse an.

Hörmann: Das Thema einer Olympiabewerbung steht in jedem Fall auch künftig auf der Agenda des DOSB. Es muss aber das richtige Konzept geben und der richtige Zeitpunkt gefunden werden. Ein Schnellschuss wäre weder sinnvoll noch Erfolg versprechend.

Wie sehen Sie nach diesen Spielen die Sportförderung in Deutschland? Soll man das weiter mit der Gießkanne betreiben oder sich auf Sportarten beschränken, in denen es Erfolge gibt?

Hörmann: Wenn ich wählen sollte, ob ich wie Holland 20 Medaillen im Eisschnelllauf gewinnen möchte oder lieber nur zehn in verschiedenen Sportarten, dann würde ich mich immer gegen die 20 Medaillen entscheiden. Für die stabile Entwicklung des deutschen Sports ist es strategisch wertvoller, wenn die Medaillen breit gestreut sind.

In den neuen Sportarten spielen deutsche Starter kaum eine Rolle.

Hörmann: Und woran liegt es? Ich habe schon nach Vancouver gesagt, dass wir es schaffen müssten, eine Halfpipe hinzubekommen. Sie können Bilder von 2006, 2010 und 2014 nebeneinander legen und sehen, wie viel weiter der Sport heute ist als vor acht Jahren. Wenn du da im Rückstand bist, mit Sportstätten und Trainern, hast du keine Chance.

Die Zielvorgabe, wie in Vancouver 30 Medaillen zu holen, wurde mit 19 Medaillen klar verfehlt. Was bedeutet das für den deutschen Sport?

Hörmann: Ich habe nicht ohne Grund seit Monaten darauf hingewiesen, dass die 30 Medaillen ein sehr ambitioniertes Ziel waren. Wir werden das Endergebnis sauber analysieren und mit den Verbänden die Strategie für die kommenden Jahren besprechen.

Hat es denn überhaupt noch Sinn, Zielvorgaben zu machen?

Hörmann: Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir ziellos nach Rio oder Pyeongchang reisen werden. Im Leistungssport muss es wie in gut geführten Unternehmen schon klare gemeinsame Zielstellungen geben. Wenn die nicht erreicht werden, dann müssen wir uns den daraus resultierenden Diskussionen zukunftsorientiert stellen.