Im Fall Evi Sachenbacher-Stehle sollen die Hintermänner gefasst werden. Experten uneinig in der Schuldfrage

Sotschi. Das Telefon von Rouven M. Siegler im oberbayrischen Bad Endorf steht nicht mehr still. Es sind immer wieder die gleichen Fragen, die er beantworten soll. Hat er Evi Sachenbacher-Stehle (Reit im Winkl) verbotene Substanzen verabreicht und somit die Dopingaffäre der Biathletin zu verantworten? Nein, sagt Siegler sofort. Er sei zwar Coach und Mentaltrainer diverser Spitzensportler, und auch Sachenbacher-Stehle gehörte zu seinem Kundenkreis. „Aber wir haben seit längerer Zeit keinen Kontakt mehr.“ Außerdem müssen ihm seine Klienten im Behandlungsvertrag eine Antidopingklausel unterschreiben. „Schließlich rufen alle zwei bis drei Wochen Mitarbeiter von Ernährungsherstellern an, die mir Mittel anpreisen, welche meinen Sportlern helfen könnten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es auf dem Gebiet einmal knallt“, sagt Siegler.

Auch er hat nun von dem Gerücht gehört, dass das fragliche Nahrungsergänzungsmittel, das die verbotene Substanz Methylhexanamin enthalten haben soll, nicht nur Sachenbacher-Stehle, sondern auch anderen Athleten von einem ehemaligen Leistungssportler empfohlen worden sein soll. Vielleicht also zieht der jüngste Dopingskandal sogar noch weitere Kreise.

Während die Winterspiele in Sotschi mit einer bunten Schlussfeier fröhlich zu Ende gingen, beginnt für Sachenbacher-Stehle, 33, der härteste Kampf ihrer sportlichen Karriere. Am Sonntag stellte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) Strafanzeige gegen Unbekannt. Damit ist die Dopingaffäre um die Biathletin mittlerweile fest in den Händen der Justiz. „Mit diesem Schritt gehen wir konsequent den in unserem Antidopingmanagement vorgezeichneten Weg“, sagte Chef de Mission Michael Vesper. „Damit wollen wir sicherstellen, dass das gesamte Umfeld ausgeleuchtet wird und die Hintermänner erwischt und vor Gericht gestellt werden.“

Am Freitag hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Bayerin wegen eines positiven Dopingbefundes von den Winterspielen in Sotschi ausgeschlossen. In Sachenbacher-Stehles A- und B-Probe war das verbotene Stimulanzmittel Methylhexanamin nachgewiesen worden, dessen Einnahme zwar während des Trainings erlaubt, im Wettkampf allerdings verboten ist.

Anschließend wurde sie aus dem Olympiateam ausgeschlossen und musste die Heimreise antreten. Da hatte die Staatsanwaltschaft bereits den Bundesstützpunkt der Athletin in Ruhpolding und zwei private Unterkünfte durchsucht. Sachenbacher-Stehle wird nun zu Hause von ihrem Mann und Manager betreut, außerdem hat sie sich unverzüglich einen Rechtsbeistand genommen. In Sotschi war sie zuvor vom Disziplinarausschuss des IOC gehört worden. Dort hatte sie eingeräumt, dass sie ein Nahrungsergänzungsmittel im Vertrauen auf Aussagen eines persönlichen Ernährungsberaters vor der Einnahme nicht von offiziellen Stellen kontrollieren ließ.

Tatsächlich hatte das Landeskriminalamt Bayern bei den Hausdurchsuchungen verschiedene Nahrungsergänzungsmittel gefunden und ein Ermittlungsverfahren wegen Verbreitung verbotener Substanzen eingeleitet. „Es soll ein spezifisches Stimulans sein, das durch Nahrungsergänzungsmittel in den Körper gelangt ist“, erklärte Vesper. Mal ist es „Gute-Laune-Tee“, dann ein Energieriegel. Vorsatz allerdings unterstellt so gut wie niemand von den Verbandsoberen. Sie sprechen von „Dummheit“ und „Naivität“. „Ich glaube ihr, dass sie nicht dopen wollte“, räumt Vesper ein. Auch Jochen Behle, bis 2010 ihr Bundestrainer im Skilanglauf, schiebt das Vergehen eher auf „Blauäugigkeit“. Behle: „So wie ich Evi einschätze, ist sie in dieser Richtung schon naiv, Dinge anzunehmen, die von außen kommen. Nicht im Sinne von bewusstem Doping, sondern guten Glaubens. In der heutigen Zeit ist das verdammt gefährlich.“

Die Kommunikation des DOSB in dieser Angelegenheit wird scharf kritisiert. Dopingexperte Fritz Sörgel warf Michael Vesper gar Unwissenheit vor: „Kurz vor Ende der Winterspiele in Sotschi lässt der längst nicht mehr tragbare Herr Vesper seinen üblichen Kracher bei Großveranstaltungen los“, sagte Sörgel. Sein Kollege Werner Franke sagte: „Wer einen Vorsatz ausschließt, ist mindestens genauso dumm.“

In der Tat könnte Sachenbacher-Stehle glimpflich davonkommen. Wenn die Nachforschungen ergeben, dass keine Absicht zum Doping vorlag, könnte dies zu einer Minderung der Höchststrafe von zwei Jahren Sperre führen oder sie sogar mit einer Abmahnung davonkommen lassen. Für diesen Montag kündigte Sachenbacher-Stehles Rechtsanwalt Marc Heinkelein eine schriftliche Erklärung an und sagte: „Sie will mit den Verbänden und der Öffentlichkeit zusammenarbeiten, um die Geschichte lückenlos aufzuklären.“

Neben der deutschen Athletin wurden fünf weitere Olympiateilnehmer des Dopings überführt. Langläufer Johannes Dürr (Österreich) wurde positiv auf das Blutdopingmittel Epo getestet. Zudem wurden die Eishockeyspieler Vitalijs Pavlovs (Lettland) und Nicklas Bäckström (Schweden), Bobfahrer William Frullani (Italien) und Langläuferin Marina Lisogor (Ukraine) überführt.