Der neue Aufsichtsratschef des HSV spricht in seinem ersten Interview über die sportliche Krise, Hopps Mitleid und die beste Unternehmensphilosophie für den Bundesliga-Dino.

Hamburg. Selbst am Flughafen hatte Jens Meier, seit einer Woche neuer Aufsichtsratschef des HSV, das Mitleid auf seiner Seite. So wurde Hamburgs Chefkontrolleur bei der Gepäckkontrolle gesagt, dass der HSV auch wieder bessere Zeiten erleben werde. Der Familienvater (Lieblingsbuch: „Die Logik des Misslingens“) flog am Sonnabendmorgen von Hamburg nach Frankfurt und am Abend zurück, um beim Spiel gegen Hoffenheim vor Ort dabei zu sein. Das Abendblatt nutzte den gemeinsamen Trip zum ersten Interview mit dem neuen Ratschef.

Hamburger Abendblatt: Herr Meier, Sie haben das Spiel gegen Hoffenheim zusammen mit Dietmar Hopp und Wolfgang Niersbach auf der Tribüne verfolgt. Gab es Mitleidsbekundungen?

Jens Meier: Natürlich haben wir viel über die Situation des HSV gesprochen. Dabei war ganz interessant, wie sich unsere Gesprächssituation rund um das Spiel geändert hat. Vor dem Anpfiff hatte auch Herr Hopp noch große Sorge, dass seine Mannschaft die Partie verlieren könnte und Hoffenheim wieder mitten in die Abstiegszone reinrutscht. Nach der Begegnung hat man mir nur gewünscht, dass wir uns vor dem letzten Spieltag retten. Denn ein Abstiegskampf bis zur letzten Minute der Saison, wie ihn Hoffenheim im vergangenen Jahr erlebt hat, wünsche man niemandem. Das würde unmenschlich an den Nerven zerren.

Wie groß sind denn Ihre Sorgen nach der fünften Niederlage in Folge?

Meier: Als HSV-Fan leide ich wie alle anderen auch. Aber als Verantwortlicher im Aufsichtsrat gehört es zu meiner Aufgabe, Ruhe zu bewahren. Die sportlich Verantwortlichen stehen jetzt unter einem enormen Druck, den müssen wir nicht verstärken, indem wir besorgt sind.

Sie waren noch nicht mal 24 Stunden im Amt, da wurde bereits über die Zukunft des Trainers kontrovers diskutiert.

Meier: Die Frage des Trainers liegt einzig und allein in der Entscheidung und der Verantwortung des Vorstands. Der Aufsichtsrat tut gut daran, sich nicht an dieser öffentlichen Diskussion zu beteiligen – auch nicht nach einem 0:3 gegen Hoffenheim.

Sie sind seit einer Woche als Aufsichtsratsvorsitzender im Amt. Haben Sie sich das wirklich gut überlegt?

Meier: Ich habe mir das auf jeden Fall sehr lange überlegt. Am Ende des Tages ist es wichtig, dass überhaupt jemand Verantwortung übernimmt und versucht, Ruhe in unseren Verein zu bringen. Dabei gilt es, stets die Rollenverteilung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand zu beachten.

Zwischen Aufsichtsrat und Vorstand hat es zuletzt heftige Spannungen gegeben. Sehen Sie sich auch als Vermittler?

Meier: Ich wäre ein schlechtes Aufsichtsratsmitglied, wenn ich öffentlich über den Umgang zwischen Kontrolleuren und Vorstand berichten würde. Sollte es tatsächlich Probleme in der Zusammenarbeit geben, müssten diese intern gelöst werden. Als Aufsichtsrat sehe ich es als meine Pflicht, den Vorstand vor allem finanziell, aber auch in kulturellen Dingen zu kontrollieren.

In kulturellen Dingen?

Meier: Egal ob man ein Unternehmen oder einen Fußballverein erfolgreich managen will, man braucht eine gewisse Unternehmensphilosophie. Ich bin ein Anhänger des Vier-Säulen-Prinzips. Wir brauchen kerngesunde Finanzen, klare Zuständigkeiten durch eine gute Managementorganisation, eine durchgängige sportliche Konzeption und nicht zuletzt auch eine Kultur des Miteinanders. Wir müssen Probleme miteinander lösen und nicht gegeneinander arbeiten.

Wie viele Säulen drohen dem HSV derzeit wegzubrechen?

Meier: Die Kunst ist, alle vier Säulen auszubalancieren und so das Niveau insgesamt anzuheben. Bricht eine Säule weg, wird das Gebilde instabil.

Seit Ihrer Aufgabe beim Logistikunternehmen TTS gelten Sie als Sanierer. Ist der HSV ein Sanierungsfall?

Meier: Dass die Situation beim HSV nicht einfach ist, ist wohl jedem klar. Aber auch in dieser Situation darf man den Kopf nicht in den Sand stecken. Ziel muss es sein, den HSV in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess weiter nach vorne zu bringen.

Kann man diese „nicht einfache Situation“ in drei Sätzen zusammenfassen?

Meier: Ich glaube, dass man tatsächlich in nur drei Sätzen die Probleme beim Namen nennen könnte. Aber wichtiger als kernige Aussagen sind die Konzepte, die jetzt gefragt sind. Und genau diese erwarte ich vom Vorstand.

Weiß das auch der Vorstand?

Meier: Das gehört für mich zu jedem Vorstandsjob. Es ist absolut notwendig, dass man eine ganzheitliche Konzeption formuliert, in der festgeschrieben steht, wo man eigentlich in drei bis fünf Jahren stehen will. Und damit ist nicht der Tabellenplatz gemeint. Es geht um Meilensteine, die man auch immer wieder anpassen muss, und – um beim Vier-Säulen-Modell zu bleiben – darum, sich auf seinen Zuständigkeitsbereich, also auf seine Säule, zu konzentrieren.

Am Freitag wurde bekannt, dass der Finanzinvestor KKR im großen Stil bei Hertha BSC einsteigt, rund 60 Millionen Euro ausgibt. Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht für den HSV, für den sich ja auch viele einen millionenschweren Investor wünschen?

Meier: Mich hat diese Nachricht nicht überrascht. Hertha hat ja schon seit längerer Zeit einen Investor gesucht. Ich persönlich finde es am besten, wenn man sich bei Bedarf einen strategischen Partner in den Verein zur Seite nimmt, der es nicht auf eine kurzfristige Rendite abgesehen hat, sondern der von der Marke des Vereins profitieren möchte. Wir kennen das doch auch in ähnlicher Form von unserem Sponsor Emirates. Auch dank der Verbindung zwischen dem HSV und dem Unternehmen ist Emirates mittlerweile in Hamburg eine echte Erfolgsgeschichte.

Aber ist das KKR-Engagement nicht der Beweis, dass es die von HSVPlus geforderten Investoren am Markt gibt?

Meier: Es gibt feine, aber entscheidende Unterschiede. Im Fall von Hertha ist es ein KG-Modell auf Aktien, das HSVPlus-Konzept sieht eine reine Aktiengesellschaft vor. Ganz generell glaube ich, dass diese Diskussion gerade beim HSV die falsche ist. Ganz unabhängig von irgendwelchen Strukturdebatten und vom Abstiegskampf müssen die Gespräche mit möglichen strategischen Partnern fortgesetzt werden.

Im Gegensatz zu Ihrem Vorgänger Manfred Ertel wollen Sie sich öffentlich nicht für oder gegen die zuletzt vieldiskutierte Strukturreform HSVPlus positionieren. Warum eigentlich nicht?

Meier: Es gibt Konsens darüber, dass sich etwas verändern muss. Aber ich bin auch der Auffassung, dass man als Vorsitzender des Aufsichtsrats eine gewisse Neutralität walten lassen sollte.

Wie schwer würde die Stadt Hamburg ein Abstieg des HSV treffen?

Meier: Ein Abstieg hätte fatale Folgen. Unsere ohnehin nicht einfache finanzielle Situation würde sich zusätzlich verschlechtern. Und weil das so ist, müssen wir die gesamte Kraft für den Erhalt der Klasse aufwenden. Ich bin mir sicher, dass es für Hamburg wichtig ist, dass unser HSV erstklassig bleibt.