Die Torjäger dürften das erfolgreichste HSV-Sturmduo seit zehn Jahren werden. Son über seinen Partner: „Rudi ist eben ein geiler Junge.“

Hamburg. Nur ein paar Meter trennten Heung Min Son und Artjoms Rudnevs am Sonnabend, als sie in den Katakomben des Signal-Iduna-Parks ihren wahrscheinlich schwersten Zweikampf des Tages zu bestreiten hatten. Immer wieder wurden die beiden eher introvertierten Stürmer des HSV von den Medienvertretern gefragt, was sie zu ihren jeweils zwei Toren gegen Borussia Dortmund zu sagen haben, wurden von Kamerateam zu Kamerateam geschickt und sollten das Unerklärliche erklären. "Was soll ich sagen?", fragte Son und sagte mit seinem typisch unbekümmerten Lächeln: "Rudi ist eben ein geiler Junge." Und der stand ein paar Meter weiter links, zuckte mit den Schultern und gab das Kompliment brav zurück: "Sonny und ich passen ganz gut zusammen."

Ganz gut ist ganz schön untertrieben. Son und Rudnevs sind auf dem besten Weg, das erfolgreichste HSV-Sturmduo der vergangenen zehn Jahre zu werden. So fehlen den beiden Torjägern 13 Spieltage vor dem Saisonende nur noch vier Treffer, um Ivica Olic und Paolo Guerrero einzuholen, die in der Saison 2007/08 gemeinsam 23 Tore erzielten. "Sonny und Rudi haben super Laufwege, beide sind schnell, stören früh, sind aggressiv", sagt Trainer Thorsten Fink, der, einmal angefangen, mit dem Lob gar nicht mehr aufhören mag: "Sie arbeiten auch hervorragend nach hinten mit. Aber vor allem ist es ein schönes Gefühl, dass unsere Stürmer auch mal vorne in der Torjägerliste zu finden sind, das war in den vergangenen Jahren anders."

Tatsächlich haben Son und Rudnevs schon jetzt genauso viele Treffer erzielt wie alle HSV-Angreifer zusammen in der vergangenen Saison. In der Spielzeit 2011/2012 war Mladen Petric mit sieben Toren erfolgreichster Stürmer, zudem trafen Paolo Guerrero sechsmal, Son fünfmal und Marcus Berg immerhin einmal. Macht zusammen 19 Tore, was nicht nur die aktuelle Ausbeute von Rudnevs und Son ist, sondern - Vorsicht, St.-Pauli-Fans, jetzt kommt die Lieblingsstatistik aller HSV-Fans - auch der bisherigen Gesamtausbeute des FC St. Pauli gleichkommt.

Das neue Sturmhoch in Hamburg hat sich auch international herumgesprochen. Während es längst kein Geheimnis mehr ist, dass Son besonders in England (Tottenham Hotspur, FC Liverpool, Arsenal London) umworben ist, haben nun auch die Verantwortlichen von Rubin Kasan ein Auge auf Sturmpartner Rudnevs geworfen. Die neureichen Russen hatten den Letten bereits zu seiner Zeit bei Lech Posen beobachten lassen, waren aber von seinen fußballerischen Qualitäten offenbar nicht restlos überzeugt. Ähnlich erging es auch Dortmunds Sportchef Michael Zorc, der den 25 Jahre alten Angreifer monatelang scouten ließ, sich dann aber für Nürnbergs Julian Schieber entschied. Nutznießer war HSV-Sportchef Frank Arnesen, der seinen Wunschstürmer in vier Gesprächen auf dem Frankfurter Flughafen, in Posen, in Marbella und schließlich in Hamburg von einem Wechsel zum HSV überzeugen konnte.

"Rudi hat in jedem Spiel seine Chancen, ist bei allen gefährlichen Aktionen immer irgendwie dabei. Und er ist ein echter Vollstrecker", sagt Arnesen, der sich zu Saisonbeginn einige Kritiken, auch vom Abendblatt, gefallen lassen musste. Dabei brauchte Rudnevs wirklich einige Monate, um sich an Trainingspensum und Bundesliganiveau zu gewöhnen. "Rudnevs musste sich am Anfang an ein neues Land, eine neue Stadt, eine neue Liga, eine neue Mannschaft und eine neue Sprache gewöhnen, und das alles alleine. Seine Familie ist für ihn aber enorm wichtig, und deshalb kann man schon sagen, dass ihr Umzug nach Hamburg die größte Rolle gespielt hat, dass er seit November immer besser geworden ist", sagt Mikelis Osis, der den Werdegang Rudnevs' seit Jahren verfolgt. Der lettische Sportjournalist, der den Nationalspieler auch mehrmals in Hamburg besucht hat, ist zudem davon überzeugt, dass sich Finks Vertrauen ausgezahlt hat: "Das Vertrauen von Trainer Fink hat ihm sehr geholfen, doch das Vertrauen hat er sich auch selbst erarbeitet."

Ähnliches könnte man wohl auch über Sturmpartner Son sagen, der zu Saisonbeginn, damals noch meist als rechter Flügelstürmer, nur selten überzeugte. "Er wird es zu schätzen wissen, dass er einen Trainer hat, der seine Stärken ganz genau kennt und ihm Vertrauen schenkt", sagt Fink, der das Vertragspoker zwischen Arnesen und Son-Berater Thies Bliemeister interessiert verfolgt. Noch in dieser Woche soll die erste Verhandlungsrunde um eine eventuelle Verlängerung des bis 2014 laufenden Vertrags terminiert werden.

Fink ist besonders vom Ehrgeiz und Fleiß seiner beiden Top-Torjäger beeindruckt. So hat Rudnevs mit Sonderschichten an seinen fußballerischen Qualitäten gefeilt, während Son nach offiziellem Trainingsende seinen Schuss perfektioniert. "Diese Tore, die er aus der Entfernung schießt, sind kein Zufall", sagt Fink, dessen Co-Trainer Frank Heinemann mindestens dreimal in der Woche mit dem Südkoreaner übt. Auch am Sonntag, als die Mannschaft nach dem 4:1-Sieg gegen Dortmund freibekommen hatte, konnte das 20 Jahre alte Supertalent nicht aufs Training verzichten. Gemeinsam mit Vater Wong Jung, der Son schon als kleinen Jungen trainiert hatte, absolvierte der Fußballer ein Athletiktraining im Fitness First in Eppendorf.

Nach zwei offiziell trainingsfreien Tagen können sich die beiden Angreifer von diesem Dienstag an auch wieder auf die Zweikämpfe konzentrieren, die sie gerne bestreiten - und meistens gewinnen. Trainer Fink hat um 10 Uhr und um 15 Uhr gleich zwei Trainingseinheiten angesetzt. Und darüber beschweren, da kann sich Fink sicher sein, wird sich keiner seiner beiden Top-Stürmer.