Ein Klub in der Krise: Frank Rost fühlt sich nach dem 2:4 des HSV gegen Leverkusen wie Goethes Zauberlehrling - Fans rufen “Hoffmann raus“.

Hamburg. Am Tag danach fehlte Bernd Hoffmann. Wegen eines Todesfalls im engeren Umfeld ließ sich der Vorsitzende entschuldigen, als in Norderstedt am Sonntag der Spatenstich für das neue Vereinshaus auf der Paul-Hauenschild-Anlage vorgenommen wurde. Ab Januar soll dort ein neuer Ort der Begegnung für alle Sporttreibenden des HSV entstehen.

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In das derzeitige Bild des HSV passte dieses Symbol des Neuaufbaus allerdings herzlich wenig. Am Sonnabend beim 2:4 gegen Bayer Leverkusen zeigten sich massive Auflösungserscheinungen, die einen dramatischen Verlauf der weiteren Saison befürchten lassen. Während die Mannschaft - sofern diese Bezeichnung überhaupt noch zulässig ist - trotz aller Versprechungen erneut meilenweit hinter den Erwartungen zurückblieb, richtete sich die Wut eines Teils der Fans, die erst ironisch-hämisch "Europapokal" skandierten, zunehmend gegen die Klubbosse. Nachdem schon während des Spiels laute "Hoffmann raus"- und "Vorstand raus"-Rufe zu vernehmen waren, versammelten sich nach der sechsten Niederlage in den vergangenen sieben Pflichtspielen rund 200 HSV-Anhänger vor der Geschäftsstelle, um heftig den Abgang des Vorstandsvorsitzenden zu fordern. Ein Großaufgebot der Polizei sicherte den Parkplatz vor der Haupttribüne vorsichtshalber ab.

Dass der Frust der Fans gewaltig ist, liegt nicht nur an der Punktebilanz, die mit nur 42 Punkten im Jahr 2010 (Rückrunde der Bundesliga 2009/10 und Hinrunde 2010/11) mehr als dürftig ausfällt. An der Basis, deren Wut sich schon vor der Entlassung von Bruno Labbadia auf den Vorstand konzentrierte, schwindet offenbar immer mehr das Vertrauen, dass dem Klubchef die Wende gelingen kann. Dass ausgerechnet der "verlorene Sohn" Sidney Sam, der seinen Treffer mit plumpen Bayer-Emblem-Küssen und Daumenzeigen auf den Schriftzug seines Trikots feierte, mit dem 0:1 die Niederlage des HSV einleitete, war ein weiterer Nadelstich für den gebürtigen Leverkusener Hoffmann, der zuletzt kein Glück bei seiner Transferpolitik und der Zusammenstellung des Kaders hatte. Die gewaltigen finanziellen Anstrengungen - der Vertrag mit Investor Klaus-Michael Kühne sorgte für heftige Diskussionen - verpuffen offensichtlich ohne den erwünschten Effekt. Im Gegenteil - es zeigen sich zunehmend Verwerfungen.

Was Frank Rost über den HSV 2010 denkt, war deutlich zu hören, als sich der Torwart nach der Partie im Fernsehen einen Ausflug in die Literatur gönnte und mit finsterer Miene verkündete, ihn erinnere der HSV an Goethes Zauberlehrling: "Die Geister, die ich rief ..." Was und wen Rost genau meinte, ließ der 37-jährige Torwart offen. Man musste aber kein studierter Germanist sein, um seine Aussagen so zu interpretieren, dass einige seiner Mitspieler seiner Einschätzung nach das Opfer von maßloser Selbstüberschätzung sind und nicht bereit waren, sich im Dienste des Klubs einzuordnen, auf der anderen Seite aber niemand im Klub eine Ahnung hat, wie dieser Mangel zu beheben sein könnte. Ob das so besonders gut ankommen wird in der Kollegenschaft?

Was die Leiden des alten Rost gegen Leverkusen verstärkte, war indes leicht zu erkennen. Mit Leichtigkeit deckte die Elf von Trainer Jupp Heynckes die Schwachstellen des HSV auf. Sobald Bayer das Tempo verschärfte oder schnell kombinierte, fiel die Defensive in sich zusammen. Unglaublich, wie leicht Vehs Team, das sich seinerseits behäbig und uninspiriert im Aufbauspiel präsentierte, auszuspielen war. "Man sieht keine Harmonie auf dem Platz", kritisierte Uwe Seeler, "ich habe andere Vorstellungen von Kampfbereitschaft und Kampf." Seeler blieb trotzdem bis zum Schluss, Tausende aber, die weit vor dem Ende gingen, sorgten für eine Geisterstimmung.

Sie sahen nicht mehr, wie sich der HSV nach den Einwechslungen von Tomas Rincon und Heung Min Son (76.) als verwirrter Haufen präsentierte, weil Rincon nicht in der Lage war, die taktischen Anweisungen auf dem Platz weiterzugeben. Wilde Handzeichen von der Bank waren die Folge. In seiner Verzweiflung baute Veh alles um: Heiko Westermann wechselte ins Mittelfeld, während Collin Benjamin in die Innenverteidigung rückte und sich Jonathan Pitroipa als rechter Verteidiger positioniert sah. Man konnte fast froh sein, dass Rost angesichts der Unordnung nicht ein Zitat aus Goethes Götz von Berlichingen bemühte.