Warum der 1. FSV Mainz 05, nächster Bundesligagegner des Hamburger SV, auf Leihspieler setzt. Sechs gehören zur Stammelf des Tabellenführers.

Mainz. Kürzlich hat sich Guido Schäfer mal mit Felix Magath unterhalten. Es ging um den Schalker Co-Trainer Bernd Hollerbach, dessen Spielstil sich Schäfer verbunden fühlte. Zwischen 1988 und 1996 absolvierte der heutige Redakteur der "Leipziger Volkszeitung" 177 Zweitligaspiele für Mainz 05, irgendwann hat er aufgehört, die Gelben Karten zu zählen. Schäfer ist heute Kolumnist der Stadionzeitung "Der 05er". Im Sommer haben sie ihm geraten, er solle seine Themen ein wenig jugendfreier gestalten. Seither schreibt Schäfer, der bei Auswärtsspielen von RB Leipzig schon mal die Stadionwurst kritisiert - "wie eine Extremität von Ötzi" -, nicht mehr so oft über alkoholische und sexuelle Ausschweifungen des damaligen Kaders. Es geht jetzt mehr ums große Ganze. Also darum, was für ein toller Verein Mainz 05 immer schon gewesen sei - nur dass das damals keiner mitgekriegt habe.

Am Bruchweg, wo sich heute Schwarzmarkthändler an guten Tagen ihren Jahresurlaub verdienen, war man damals froh, wenn mal über 3000 Zuschauer kamen. Wer im Rheinhessischen Fußball sehen wollte, fuhr nach Kaiserslautern oder Frankfurt. Den "Haasekessel" gab es damals schon, die Vereinsgaststätte, in der nach den Spielen noch heute Fans und Spieler Richtung Tresen drängen. Hier werden an Werktagen die Interviews geführt, hier trifft sich Trainer Thomas Tuchel mittags mit Teammanager Axel Schuster, um bei einer Schüssel Salat das Wesentliche zu besprechen. In dieser Woche dürfte es um den Masterplan für die Punkte 22 bis 24 gehen: Am Sonnabend soll gegen den HSV der achte Sieg im achten Spiel folgen. Irgendwann im Winter wird man dort wohl auch über die kommende Saison sprechen.

Nicht weniger als sechs Spieler - Christian Fuchs, Eugen Polanski, Andreas Ivanschitz, Lewis Holtby, Malik Fathi, Marcel Risse - aus dem derzeitigen Kader hat der Klub geliehen. Gut die Hälfte der Mainzer Stammelf besteht zuweilen aus Spielern, die bald wieder bei ihrem eigentlichen Arbeitgeber spielen könnten. Das wäre anderenorts wohl ein Problem, schließlich sind Leihkräfte Angestellte auf Zeit, die kaum ein nachhaltiges Interesse am mittelfristigen Erfolg ihres Klubs entwickeln können. Und wie sollen sich Fans mit einem Spieler identifizieren, der bald in irgendeinem gegnerischen Trikot auflaufen wird? Für Christian Heidel sind das Fragen, die sich nur Leute stellen, die sich noch nie im Umfeld des "Haasekessel" umgesehen haben. Fans, so der Manager, der seit dem 18. Lebensjahr dem Mainzer Vorstand angehört, hätten ein feines Gespür dafür, ob sich jemand mit dem Verein identifiziere. "Und das ist bei uns der Fall. Ein Christian Fuchs hat das Gefühl, dass er bis 2030 hier spielen wird."

In der Tat ist der österreichische Nationalspieler, der in der vergangenen Halbserie noch lustloser Bestandteil eines lustlosen Bochumer Teams war, nach wenigen Wochen einer der Stimmungskanonen in dieser nicht eben trübseligen Mannschaft. Wer sieht, mit welchem Feuereifer Lewis Holtby auch im Training jedem Ball hinterherläuft , mit wie viel Spaß sich Eugen Polanski und Marcel Risse bei Fehlpässen foppen, kann sich vieles vorstellen. Dass da ein paar jungdynamische Söldner Dienst nach Vorschrift ableisten, eher nicht. "Dass wir uns untereinander so gut verstehen, ist die Basis für unseren Erfolg", sagt Polanski, der von Getafe ausgeliehen ist, "manchmal wirken wir dann sicher wie Kindergarten-Kinder, die gemeinsam Spaß haben." Das Konzept, mit vielen ausgeliehenen Spielern zu arbeiten, sei nur auf den ersten Blick bedenklich: "Vier von uns sechs haben ja die Möglichkeit, längerfristig hier zu bleiben. Das motiviert natürlich." Auch in Polanskis Vertrag hat sich Mainz 05 eine Kaufoption eintragen lassen.

GUERRERO UND JANSEN DABEI

Die Fröhlichkeit, die Polanski beschreibt, ist Teil der Mainzer Identität, Trainer Thomas Tuchel, selbst eher ein nachdenklicher, zurückhaltender Mensch, bremst sie nicht aus - im Gegenteil. Seine Spieler dürfen frei von der Leber weg reden. "Der Titel wäre natürlich ein Traum, träumen darf man ja mal", hat Holtby vor dem Spiel gegen Hoffenheim gesagt. Nach dem anschließenden siebten Sieg im siebten Spiel, in dem er mal wieder überragend gespielt hatte, wand sich der Jungstar dann vor den Fernsehkameras. Dass er nun mit der Nationalmannschaft in Verbindung gebracht wurde, war ihm aufrichtig peinlich. Holtby wirkte in diesem Moment wie ein guter Schüler, dem es sterbensunangenehm ist, wie wortreich ihn der Lehrer vor der Klasse lobt. Tuchel stand daneben, lächelte väterlich und durfte sich bestätigt fühlen. Dieser junge Mann wird nicht abheben.

Das alles muss man nicht glorifizieren. Es hat auch immer ein wenig mit Glück zu tun, wenn sich eine Zweckgemeinschaft aus 25 jungen Männern gut gelaunt einem gemeinsamen Ziel unterordnet. Tatsache ist aber auch, dass der mächtige Manager Heidel mit Argusaugen darüber wacht, dass die Stimmung im Verein nicht dem kurzfristigen Erfolg geopfert wird. Vergangenen Sommer entließ Heidel noch vor dem ersten Spieltag mit Jörn Andersen deshalb einen Trainer, mit dem die 05er den Aufstieg in die Bundesliga geschafft hatten. "Mainz", sagt Heidel, "ist auch Emotion. So ticken die Menschen hier." An Stelle des oft übellaunigen Norwegers verpflichtete er den damaligen A-Jugendtrainer Tuchel. Heidel wollte einen Trainer, der eine Mannschaft perspektivisch weiterentwickelt. Worin der Plan des FSV Mainz besteht, ist kein Geheimnis: "Wir wollen die deutsche Topadresse für Spieler zwischen 18 und 23 werden", sagt der Trainer. Auch in der nächsten Saison, wenn Shootingstar André Schürrle und Holtby wieder weg sind, wollen sie am Bruchweg eine junge, hungrige Mannschaft präsentieren. Sie werden ein paar Talente holen, die anderswo keine Chance bekommen. Sie werden ein paar Jungs aus dem Regionalligateam und der A-Jugend, die im Sommer deutscher Meister wurde, hochziehen. Und sie werden wohl auch wieder ein paar Spieler ausleihen, die so gut sind, dass sie kein Konkurrent für immer abgeben würde. Schlechter muss das Team nicht werden: Für Schürrle, 19, den sie vor vier Jahren aus der Fußballprovinz Ludwigshafen geholt haben, zahlt Leverkusen zehn Millionen Euro Ablöse. Verdammt viel Geld in den Händen eines Managers, der bewiesen hat, dass er auch aus viel Weniger Viel machen kann.