Nach der HSV- Mitgliederversammlung gehen die Diskussionen über das Investorenprojekt weiter - besonders Becker gerät unter Beschuss.

Hamburg. Traute Becker ist Kummer gewohnt. Und spätestens als Ehemann Horst vor fünf Wochen nach einer HSV -Aufsichtsratssitzung, auf der er nach wochenlanger Kritik überraschend zum Bleiben als Chef des Kontrollgremiums überredet wurde, nach Hause kam, wusste sie, dass ihr Kummer auch in der Zukunft nicht weniger werden würde. So vermied es Becker "aus Rücksichtnahme" am späten Dienstagabend nach der außerordentlichen Mitgliederversammlung zum Investorenprojekt Anstoß³ seine Frau zu wecken und über die Versammlung zu informieren. "Sie würde senkrecht im Bett stehen", sagte Becker, der es auch am Tag danach vermied, mit seiner Frau über den konkreten Ablauf zu sprechen. "Ich werde ihr lieber nicht von einigen Redebeiträgen berichten."

Beckers Rücksichtnahme hatte natürlich einen Grund. Denn während Hamburgs Vorstandschef Bernd Hoffmann und der nicht anwesende Geldgeber Klaus-Michael Kühne bei der turbulenten Versammlung mit einem blauen Auge davon kamen, richtete sich ein Großteil der Mitglieder-Kritik direkt an Becker. So musste sich der 70-Jährige sogar lautstarke "Becker raus"-Rufe gefallen lassen. Längst war zu diesem Zeitpunkt klar, dass die insgesamt 1056 Mitglieder ihren Unmut nicht mehr über das Investorenmodell Anstoß³ und Herrn Kühne im Speziellen, sondern viel mehr über die HSV-Strukturen im Allgemeinen kund taten. "Ich hatte den Eindruck, dass einiges inszeniert war", sagte der sichtbar geschockte Becker nach der Versammlung.

Bednarek widerspricht Beckers Behauptung der Inszenierung

Ein Vorwurf, der von Hoffmann indirekt gestützt ("Ich habe genau so einen Abend erwartet") und von Supporterschef und Antragsteller Ralf Bednarek direkt zurückgewiesen wurde. "Das ist völlig falsch. Es gab keine Absprache. Wer das behauptet, dem sind wohl die Argumente ausgegangen."

Und tatsächlich hatten neutrale Beobachter im Verlauf des Abends das Gefühl, dass Becker das eine oder andere Mal während der knapp fünfstündigen Sitzung die Argumente ausgegangen waren. So sprach er von einem "kreditähnlichen Modell", nachdem er zuvor verneint hatte, dass Anstoß³ lediglich ein Kredit sei. Der negative Höhepunkt war allerdings, als Becker versuchte, seinem Ratskollegen Ronny Wulff zur Seite beizuspringen, als dieser erklärt hatte, die Kühne-Verträge lediglich einen Tag vor der Abstimmung im Aufsichtsrat erhalten zu haben. "Die Geschäftsordnung gibt vor, dass man die Unterlagen als Aufsichtsrat eine Woche vor der Sitzung erhält. Nur in besonderen Fällen kann diese Frist abgekürzt werden, wenn alle damit einverstanden sind. Und in diesem Fall waren alle Aufsichtsräte damit einverstanden", sagte Becker später. Nach Abendblatt-Informationen waren allerdings mindestens zwei der drei Räte, die dem Anstoß³-Vertrag nicht zugestimmt hatten, mit der Fristverkürzung alles andere als einverstanden. Auf Nachfrage sagte Becker gestern: "Jeder Aufsichtsrat wurde im Vorfeld umfassend von Bernd Hoffmann informiert und jeder hatte die Gelegenheit, sich die Verträge anzusehen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen."

Zumindest im letzten Punkt dürfte sich Becker geirrt haben. Denn bis zur kommenden Mitgliederversammlung im Januar, auf der gleich sechs neue Aufsichtsräte bestellt werden müssen, dürften die Diskussionen weitergehen. Neben einem Nachfolger für den bereits zurückgetretenen Sergej Barbarez müssen sich auch Wulff, Bernd Enge und Peter Becker sowie aus den Abteilungen Eckart Westphalen (Amateure) und Björn Floberg (Supporters) einer jetzt schon mit Spannung erwarteten Wahl stellen. Und mehr als fraglich scheint, ob Horst Becker nach dieser Wahl erneut als Vorsitzender bestätigt wird. Zumindest Traute Becker dürfte sich über ein negatives Votum freuen.

Bernd Hoffmann würde beim nächsten Mal ganz genauso handeln

Überhaupt nicht erfreut über den Verlauf der Mitgliederversammlung zeigte sich Hoffmann, der vergeblich gehofft hatte, die kritischen Mitglieder durch seinen rhetorisch einwandfreien Vortrag überzeugen zu können. "Es gibt offenbar unterschiedliche Meinungen, wer in diesem Verein die Entscheidungen fällt", sagte Hoffmann. "Inhaltlich und auch in der zeitlichen Abfolge würde ich alles so wieder machen. Ich stehe zu unserer Entscheidung. Sie ist alternativlos."

Ob das tatsächlich so ist, wird wohl schon das kommende Jahr zeigen. Zur Erinnerung: Hoffmanns Vertrag endet am 31. Dezember 2011.