Der HSV-Mittelfeldmann feiert seinen zweiten Frühling. Plötzlich ist David Jarolim sogar der Fanliebling und wird von den Anhängern gefeiert.

Hamburg. Der Tag nach dem Sieg in Köln lief für David Jarolim alles andere als gewünscht. Statt sich noch mal auf dem Trainingsplatz so richtig zu verausgaben, wurde der Tscheche nach einer aus seiner Sicht viel zu kurzen Laufeinheit doch tatsächlich dazu verdonnert, mit Frau Denissa und Tochter Ella auf der Außenalster zu entspannen. "Wir waren erst nachts um drei im Bett - da hätte ich mich lieber etwas belastet, als nur zu joggen", erklärte der Musterprofi, der nicht nur einmal in der Vergangenheit heimlich beim Krafttraining erwischt wurde. Und obwohl Jarolim tatsächlich meinte, was er da sagte, konnte er sich natürlich trotzdem über den alles in allem unvergesslichen Vorabend freuen: "Es ist etwas anderes, nur mit den Reservisten auszulaufen, als jetzt direkt nach dem Spiel mit der Mannschaft in der Kurve zu feiern. Dieses Gefühl ist unbezahlbar."

Was Jarolim genau meinte, hatte zu diesem Zeitpunkt unter den Treuesten der treuen HSV-Fans längst die Runde gemacht. Das Handyfoto, auf dem Jarolim nach dem Sieg in Köln neben HSV-Vorsänger Joachim Liebnau auf der Gästetribüne umrundet von Fans zu sehen ist, war von einem Anhänger über Facebook verbreitet worden und hatte bereits am Nachmittag Kultstatus. Der Grund: Auf den ersten Blick wirkte es so, als ob Liebnau Jarolim küssen wollte, was das Mitglied des Chosen-Few-Fanklubs vehement bestreitet. "Ich habe ihm nur den Text für den Fangesang ins Ohr vorgeflüstert, den er dann laut vorgeben musste", sagt Liebnau, der nur selten mit einem Profi Fangesänge anstimmt, "Jaro hat sich das verdient."

Jarolim wurde schon immer geachtet, geschätzt und teilweise sogar gefürchtet. Dass der 31-Jährige aber plötzlich von den Fans geliebt wird, ist auch für ihn etwas Neues. "Als ihn keiner mehr wollte, hätte er so richtig auf den Tisch hauen und Ärger machen können. Aber er hat sich immer ruhig verhalten und nur an die Mannschaft gedacht. So etwas rechnen die Fans Jaro hoch an", sagt Liebnau, der genauso froh wie Jarolim selbst ist, dass der Bankdrücker der Hinrunde Hamburg nach achteinhalb Jahren eben nicht verlassen hat.

"Der Trainer hat mir nie etwas versprochen, aber er hat mir auch nie gesagt, ich hätte keine Chance", sagt der HSV-Oldie, der diese unausgesprochene Chance in der Rückrunde unbedingt nutzen wollte: "Ich habe immer an mich geglaubt. Und jetzt liegt es an mir, wie meine Zeit beim HSV endet." Tatsächlich scheint der Mittelfeldmann, den der HSV im Winter auch ablösefrei hätte ziehen lassen, bereits vor dem 20. März seinen zweiten Frühling zu feiern. Gegen den 1. FC Köln ordnete er das Spiel wie in seinen besten Jahren, hatte mit 95 die mit Abstand meisten Ballkontakte und spielte 70 Pässe, von denen 68 ihr Ziel erreichten. Jarolims antiquierte Spielweise passt zwar immer noch so wenig zum modernen Hochgeschwindigkeitsfußball wie Knickerbockerhosen, ist aber bis zum Saisonende alternativlos. "Jeder kennt seine Stärken und Schwächen. Wir sind jedenfalls froh, ihn zu haben", sagt Klubchef Carl Jarchow, der längst in Jarolims Vertrag eine Anschlussstelle beim HSV als Jugendtrainer schriftlich fixiert hat.

Doch bevor der Unkaputtbare ernsthaft ein Karriereende in Betracht zieht, will er sein Glück im Sommer dann doch noch mal in der Ferne suchen. "Italien wäre eine Option für mich", sagt Jarolim, der im Winter mehrere exotische Anfragen aus Osteuropa und Saudi-Arabien kategorisch ablehnte. "Damals haben wir die Rollen getauscht. Jaro musste mich immer wieder beruhigen. Das hat mir mächtig imponiert", sagt Berater Gordon Stipic, der sich nicht sicher war, ob er dem mutmaßlich Ungewollten ein Bleiben beim HSV guten Gewissens empfehlen konnte. "So nachdenklich wie da habe ich ihn noch nie erlebt - und trotzdem blieb er immer positiv bezüglich des HSV. Er wollte so einfach nicht gehen." Und obwohl nun alles nach einem verspäteten Happy End aussieht, will Stipic die aus seiner Sicht verfrühte Entscheidung gegen Jarolim nicht nachvollziehen: "Ich verstehe nicht, weshalb sich der HSV so festgelegt hat, dass es bei Jaro nicht mehr reicht. Körperlich kann er es, das beweist er mal wieder. Und ich glaube, mehr Identifikationsfigur als ihn hat dieses Team nicht."

Weil das aber genau so ist, wird der plötzlich Unverzichtbare auch dann nichts öffentlich sagen, wenn er doch mal wieder nicht spielen sollte. "Ich weiß ja, dass es auch ohne mich gehen würde. Aber ich freue mich, dass ich doch noch mal helfen kann", sagt Jarolim, der auch die Rückfahrt aus Köln so schnell nicht vergessen wird. Dass der HSV-Bus an der A 1 knapp 200 Kilometer nördlich von Köln bei Burger King haltmachte, wo die Profis zusammen mit den Fans mitten in der Nacht noch mal so richtig feierten, hat er in seiner langen HSV-Karriere nicht so häufig erlebt. Da kann der Sportjunkie sogar die schlimmste aller möglichen Ansagen, die Trainer Thorsten Fink verkündete, verschmerzen: Heute ist trainingsfrei.