Der HSV gewinnt durch ein spätes Guerrero-Tor mit 1:0 in Köln und setzt sich neue Ziele. Nur Fink warnt nach dem Sieg, voreilige Schlüsse zu ziehen.

Hamburg. Wie ein angeschlagener Boxer taumelte Paolo Guerrero wenige Minuten nach dem Abpfiff durch die Katakomben des Rheinenergie-Stadions. Als Thorsten Fink den Torjäger, dessen rechtes Auge blutunterlaufen und dick angeschwollen war, erspähte, nahm der HSV-Trainer seinen lädierten Schützling liebevoll in den Arm, tätschelte den Kopf und flüsterte ein "Gut gemacht, Paolo" ins Ohr. "Mir tut alles weh, ich habe mindestens viermal einen Ellenbogen ins Gesicht bekommen", sagte der entstellte Peruaner, der nach seinem späten K.-o.-Tor gegen den 1. FC Köln sein Lächeln dann aber doch schnell wiederfand. "So ein Siegtor heilt eben alle Wunden." Der Boxer taumelte, aber er fiel nicht.

"Wir haben gewonnen, weil wir immer an diesen Sieg geglaubt haben", sagte Fink, dem man den Stolz auf seine Mannschaft nach dem 90-minütigen Schlagabtausch förmlich ansah. Der Hamburger strahlte über das ganze Gesicht, schüttelte Hände und bedankte sich artig für die Gratulationen: "Wir haben endlich gelernt, geduldig zu sein." Tatsächlich hatte der HSV-Trainer allen Grund dazu, zufrieden zu sein. Anders als gegen Bayern in der Vorwoche spielte seine Mannschaft in Köln nicht schön, aber diszipliniert und vor allem erfolgreich. Dass es lediglich einer genialen Kombination durch Mladen Petric und Guerrero kurz vor Schluss geschuldet war, dass der HSV den Platz als Sieger verließ, war zu diesem Zeitpunkt längst zweitrangig. Der Matchplan, die Domstadt im Sturm zu erobern, wäre zwar fast misslungen, aber eben auch nur fast. "Das war echte Siegermentalität heute", lobte Fink, der allerdings dennoch davor warnte, die Bodenhaftung zu verlieren: "Ich wusste immer, dass wir da unten früher oder später rauskommen. Aber wir dürfen jetzt nicht anfangen zu träumen."

Die wohl überlegten Worte waren gut gemeint, blieben am gestrigen Abend aber größtenteils ungehört. Der Blick auf die Tabelle, der den internationalen Wettbewerb plötzlich nur noch fünf Punkte entfernt vom HSV auswies, war einfach zu verlockend. "Wir haben endlich den Anschluss nach oben wiederhergestellt", freute sich Dennis Aogo, dem auch Heiko Westermann nicht widersprechen wollte: "Insgeheim hat man immer ein bisschen von den europäischen Plätzen geträumt." Vom Abstiegskampf, der noch in der Hinrunde das beherrschende Thema in der Hansestadt war, wollte am Sonntag jedenfalls niemand mehr reden.

Wie weit die Hamburger aber abseits von theoretischen Träumereien ganz praktisch auf dem Platz noch vom internationalen Anspruch entfernt sind, konnte man in den 88 Minuten vor dem Geniestreich Guerreros bestens beobachten. Während der 1. FC Köln sich konsequent weigerte, an einem Fußballspiel aktiv teilzunehmen, war das Bemühen des HSV zwar jederzeit erkennbar, kreative Lösungsansätze blieben aber Mangelware. Ähnlich wie vor einer Woche der FC Bayern in Hamburg dominierte diesmal Finks Mannschaft in Köln das Spiel nach Belieben, schaffte es aber kaum, gefährliche Torchancen zu kreieren. "Wir haben heute nicht schön gespielt, aber trotzdem hochverdient gewonnen", fasste Aogo das Vorangegangene treffend zusammen, "für mich war das ein perfekter Bundesligasieg." Der HSV konnte zwar alle spielrelevanten Statistiken für sich gewinnen, hätte aber ohne Guerreros Last-Minute-Lupfer wieder nur ein Unentschieden erreicht - bereits zum neunten Mal in dieser Saison.

Bekanntlich kam es anders. Dabei durfte sich HSV-Coach Fink besonders darüber freuen, dass seine Mannschaft nur drei Wochen nach der blamablen 1:5-Pleite gegen Dortmund zumindest in der Defensive ein überdurchschnittliches Bundesliganiveau erreicht hat: "Vielleicht war das Spiel gegen die Borussia ein heilsamer Schock. Da haben wir gesehen, dass es nicht reicht, wenn man nur mitspielen will. Man muss auch kämpfen." Und ähnlich wie in den Vorwochen Hertha und Bayern konnte sich auch der 1. FC Köln gegen den HSV 90 Minuten lang kaum nennenswerte Torchancen erspielen. Kapitän Westermann und Aushilfs-Innenverteidiger Slobodan Rajkovic ließen sich nie aus der Ruhe bringen und wurden von ihren in der bisherigen Saison so gescholtenen Vorderleuten im zentralen Mittelfeld mit David Jarolim und Gojko Kacar fleißig unterstützt. "Das war eine sehr reife und abgeklärte Leistung", lobte Westermann, dem allerdings auch nicht entgangenen sein dürfte, dass es eben im Spiel nach vorn noch hapert.

Eine ernsthafte Standortbestimmung wartet auf den HSV bereits am kommenden Wochenende, wenn mit Werder Bremen jener Klub nach Hamburg kommt, der genau die entscheidenden Punkte Vorsprung in der Tabelle hat. "Das Spiel gegen Werder ist wieder so ein echtes Derby, darauf muss man sich einfach freuen", sagte Guerrero, der sich wenig später in die Kabine verabschiedete. Er wolle sein Auge kühlen gehen, sagte der "Krieger", der seinem Spitznamen an diesem Abend wirklich alle Ehre gemacht hatte. Denn fast, das weiß auch Guerrero, wäre das richtungsweisende Spiel in Köln buchstäblich ins Auge gegangen.

Bildergalerie vom Sieg gegen den 1. FC Köln auf www.abendblatt.de/sport