In Abwesenheit wurden die Ex-HSV-Vorstände Bernd Hoffmann und Katja Kraus auf der überraschend harmonischen Veranstaltung entlastet.

Hamburg. Um 15.53 Uhr war am Sonntag Gewissheit, was in den Tagen zuvor nur wenige für möglich gehalten hatten. Kurz nachdem Andreas Peters, der Vorsitzende des Ehrenrats, die 1153 anwesenden HSV-Mitglieder in Saal 1 des CCH auf der ordentlichen Jahreshauptversammlung um ihr Votum gebeten hatte, war das Ergebnis eindeutig: Sowohl der aktuelle als auch der vorherige Vorstand wurden mit überwiegender Mehrheit genauso geschlossen entlastet wie der Aufsichtsrat. Damit ist auch das Ende der achtjährigen Ära Bernd Hoffmanns, der sich genau wie seine damalige Vorstandskollegin Katja Kraus erst am Vorabend der Versammlung gegen einen Besuch entschieden hatte, amtlich. "Heute ist ein guter Tag für den HSV. Ein großer Dank an alle HSVer. Ich bin begeistert, wie sachlich und wie friedlich diese Veranstaltung verlaufen ist", zog Aufsichtsratschef Otto Rieckhoff bereits vor dem Ende der Versammlung um 19.30 Uhr ein zufriedenes und vor allem erleichtertes Fazit.

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Es war wenig verwunderlich, dass Stunden zuvor Tagespunkt 7, der Bericht und die Aussprache des Aufsichtsrats, mit 121 Minuten die mit Abstand meiste Zeit der Versammlung beanspruchte. Die befürchtete verbale Schlammschlacht blieb trotz deutlicher Worte mehrerer Mitglieder aus. So betonte Rieckhoff in seiner 23-minütigen Einstiegsrede erneut, dass er und seine Kollegen dem vorherigen Vorstand um Hoffmann und Kraus im Nachhinein nicht das Vertrauen aussprechen können: "Das Verhalten der ehemaligen Vorstände Kraus und Hoffmann erscheint nicht in allen Aspekten angemessen und dem Vereinsinteresse zuträglich." Trotzdem warb Rieckhoff dafür, die Aufarbeitung der Ära Hoffmann mit der gestrigen Versammlung zu beenden - was die Mitglieder einige Stunden später dann auch taten. "Es ist unerträglich, das sich der HSV durch eine Person hat spalten lassen. Dieses Kapitel muss heute ein für alle Mal abgeschlossen werden", so Rieckhoff.

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Ganz so schnell wie gewünscht ging es allerdings nicht. So lieferten sich besonders Konstantin Rogalla, Mitglied der oppositionellen HSV-Realos, und Aufsichtsrats-Vize Manfred Ertel einen verbalen Schlagabtausch, der in Ertels Ausspruch, ihm platze fast der Kragen, gipfelte. Der Grund: Rogalla hatte behauptet, dass Aufsichtsräte "in den vergangenen Monaten Akten gewälzt" hätten, um Hoffmann gezielt zu diskreditieren. Der Stellvertreter Rieckhoffs wies die Vorwürfe zurück, betonte aber, dass unter Hoffmanns Ägide "das Geld der Mitglieder verprasst wurde". So hätten alleine die vom Aufsichtsrat überprüften sechs Geschäftsvorgänge des früheren Vorstands (das Abendblatt berichtete exklusiv) insgesamt 1,7 Millionen Euro verschlungen. Ertels Fazit: "So etwas darf es nie wieder geben." Rogalla beharrte jedoch auf dem Standpunkt, dass die juristische Prüfung kein schwerwiegendes Fehlverhalten Hoffmanns bewiesen hätte.

Persönliche Verantwortung für die Kontrolle von Hoffmanns Amtszeit wollte keiner der zwölf Aufsichtsräte übernehmen - auch nicht der bereits vor der Versammlung in der Kritik stehende Horst Becker. Obwohl der frühere Aufsichtsratschef direkt von Claus Runge, dem ehemaligen Mitglied des Satzungsausschusses, zum Rücktritt aufgefordert wurde, wiederholte Becker, sich keiner Schuld bewusst zu sein. "Ich habe mir in 14 Jahren im Aufsichtsrat und vier Jahren als Vorsitzender nichts vorzuwerfen", sagte Becker, der auf Nachfrage aus dem Plenum erklärte, wie seine Ratskollegen erst im März 2011 von den Beraterverträgen Hoffmanns mit der Hamburger Agentur fischerAppelt erfahren haben. Zuvor war intern behauptet worden, Becker hätte Hoffmann zur Zusammenarbeit mit fischerAppelt sogar geraten.

Der emotionalen Aussprache des Aufsichtsrats folgte eine ungewöhnlich harmonische Aussprache des Vorstands, bei der besonders Sportchef Frank Arnesen mit sekundenlangem Applaus der Mitglieder gefeiert wurde. "Bei Chelsea gab es neben dem Vorstand nur ein einziges Mitglied, und das war der Besitzer", scherzte Arnesen. Nicht ganz so euphorisch, aber zumindest freundlich wurde Hoffmanns Nachfolger Carl Jarchow empfangen. Dabei wiederholte der HSV-Chef ein weiteres Mal, dass die finanzielle Lage nach dem Minus in Höhe von 4,8 Millionen Euro aus der Saison 2010/2011 auch in der laufenden Spielzeit angespannt bleibe: "Wir wissen schon jetzt, dass wir die angestrebte schwarze Null in dieser Saison nur sehr schwer erreichen können." Ob ein weiterer Investorendeal, über den seit Wochen intern und extern diskutiert wird, Abhilfe leisten kann, ließ Jarchow offen. Zwar betonte er, dass er kein Befürworter des bisherigen Kühne-Modells sei, gab aber auf mehrfache Nachfrage zu, einem alternativen Modell aufgeschlossen gegenüberzustehen. Nach Abendblatt-Informationen laufen hinter den Kulissen längst Gespräche mit dem Hamburger Unternehmer Klaus-Michael Kühne. Jarchow versicherte aber, dass er die Mitglieder befragen würde, bevor es zu einer Vertragsunterzeichnung kommen würde.

Dieses Ehrenwort forderte besonders Ingo Thiel ein, der seinen Antrag über die zukünftige Handhabung weiterer Investorenmodelle auf die nächste Mitgliederversammlung verschob. Da nach acht Stunden und 23 Minuten ein Großteil der Mitglieder den Saal verlassen hatte, wurde kurzfristig beschlossen, auch die anderen Anträge (Fernwahl, Verkleinerung des Aufsichtsrats) auf eine außerordentliche Mitgliederversammlung am 20. Mai zu vertagen. Ein Antrag, der fast ohne Gegenstimme angenommen wurde, was zur Stimmung am gestrigen Sonntag passte.