Der HSV hat nur noch geringe Hoffnungen, sich beim Saisonfinale in Bremen (live auf abendblatt.de) für die Europa League zu qualifizieren. Ein Rechenspiel.

Hamburg. Der Roland. Die Bremer Stadtmusikanten. Und die Weser. Das sind nur drei von vielen guten Gründen für einen Besuch in der 110 Kilometer von Hamburg entfernten Stadt, die manch fußballbegeisterter Hamburger gerne als Delmenhorst-Ost, der Rest der Republik als Freie und Hansestadt Bremen bezeichnet. Da aber dreimal bekanntlich Bremer Recht ist, lassen David Jarolim derartige Verlockungen abseits des Weserstadions völlig kalt. "Ich war noch nie privat in Bremen", sagte der HSV-Kapitän vor dem 92. Bundesligaderby in dem von Hamburg südwestlich gelegenen Städtchen, das nach Meinung vieler HSV-Fans nur eine echte Sehenswürdigkeit besitzt: die A 1 zurück nach Hamburg.

Geht es nach Jarolim, der aus Aberglaube sogar seine Freundin Denisa im heimischen Hamburg lässt, soll ebenjene A 1 am heutigen Sonnabend - trotz gefühlter 100 Kilometer Dauerbaustelle - ab 17.20 Uhr zur längsten Partymeile Deutschlands werden. Die Voraussetzung für die Feier: ein Hamburger Sieg in Bremen, eine Stuttgarter Niederlage in Hoffenheim und eine damit verbundene Qualifikation des HSV für die Europa League. "Die Ausgangslage dafür ist schwierig, aber nichts ist unmöglich", glaubt der Tscheche, der vor dem Derby fußballphilosophisch ergänzt: "Fußball ist keine Mathematik."

Die Wahrscheinlichkeit eines HSV-Sieges liegt bei 31,0 Prozent

Wäre der Kampf um Tore und Punkte doch eine Wissenschaft, dann wäre die Rechenaufgabe, wie groß Hamburgs Chancen auf ein derartiges Wunder sind, eine echte Herausforderung für alle Rechenkünstler. Glaubt man dem Internet-Managerspiel Top- League, beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass der HSV in Bremen gewinnt, ziemlich genau 31 Prozent. Als Berechnungsgrundlage wurden dabei zum einen sämtliche von der Deutschen Fußball-Liga zur Verfügung gestellte Statistiken (Zweikampfwerte, Torschüsse, Ballbesitz, etc.) hinzugezogen, zum anderen wurde das Derby vorab 2000-mal im Internet simuliert. Damit das Wunder von der Weser allerdings tatsächlich eintritt, bedarf es noch eines Wunders von der Elsenz. Schließlich muss zeitgleich zum HSV in Bremen auch Hoffenheim gegen Stuttgart gewinnen (Wahrscheinlichkeit: 61,7 Prozent), damit das Team von Trainer Ricardo Moniz doch noch in die Europa League einzieht. Nimmt man beide Daten als Berechnungsgrundlage, ergibt sich eine Chance von 19,127 Prozent.

Fragt man bei Jarolims Trainer Moniz nach, gewinnt man schnell den Eindruck, dass die ersten beiden Ziffern der errechneten Chance auf ein Wunder vertauscht sein müssen. "Wir sind nach einem Tiefschlag wieder aufgestanden und haben noch eine kleine Chance. Diese wollen wir nutzen", sagte der Niederländer, der - Wahrscheinlichkeitsrechnung hin, Prozentrechnung her - fest an die Stärke der eigenen Mannschaft glaubt. Hoffnung kann der Interimstrainer, dessen Zukunft sich Anfang kommender Woche entscheiden soll, aus den Geschehnissen der letzten Jahre ziehen. In den vergangenen drei Spielzeiten qualifizierte sich der HSV jeweils erst beim Saisonfinale für das internationale Geschäft. In der Saison 2006/07 sicherten sich die Hamburger durch einen 4:0-Sieg gegen Alemannia Aachen doch noch Platz sieben und qualifizierten sich über den UI-Cup für den Uefa-Cup. Am 34. Spieltag der Saison 2007/08 siegte der HSV 7:0 gegen den KSC und sicherte sich damit Platz vier und den direkten Platz im Uefa-Cup, den ausgerechnet der VfB Stuttgart damals auf der Zielgeraden verpasste. Und im letzten Jahr erzielte Piotr Trochowski in der Nachspielzeit in Frankfurt den umjubelten 3:2-Siegtreffer gegen die Eintracht, wodurch Borussia Dortmund doch noch den sicher geglaubten Europa-League-Platz an die Hamburger abgeben musste.

Ohne Europa League droht dem HSV ein großes finanzielles Loch

Für den HSV wäre es durchaus von Vorteil, wenn sich Geschichte an diesem Wochenende wiederholen würde. So durften sich Hamburgs Vorstände Bernd Hoffmann und Katja Kraus in dieser Saison zum einen über direkte Einnahmen von rund sieben Millionen Euro aus dem Uefa-Topf freuen, zum anderen über kräftige Bonuszahlungen der Sponsoren. Verpasst der HSV nun das internationale Geschäft, würden diese Gelder im kommenden Jahr fehlen, was nicht nur auf der Suche nach einem neuen Trainer und neuen Spielern für zusätzliche Kopfschmerzen sorgen würde. "Sollten wir uns nicht qualifizieren, hätte das natürlich Auswirkungen auf unsere Saisonplanung", sagt Aufsichtsratschef Horst Becker, der allerdings davon ausgeht, "wirtschaftlich auch ein Jahr ohne einen Startplatz für die Europa League klarzukommen".

Ob das sportlich auch für Jarolim gilt, beantwortete dieser vor der Abfahrt nach Bremen nicht. Hamburger, die bei ausbleibendem Wunder trotzdem internationalen Fußball sehen wollen, müssten dann 110 Kilometer über die A 1 nach Südwesten fahren - und könnten sich ganz nebenbei Roland und Stadtmusikanten anschauen.