Der Vorvorgänger von Silvia Neid im Amt des Bundestrainers der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft äußert sich nach dem frühen WM-Aus über die Zukunft seiner ehemaligen Regisseurin.

Frankfurt/Main. Von 1982 bis 1996 hat Gero Bisanz die Spielerin Silvia Neid als Bundestrainer betreut. Jetzt hofft der 75-Jährige, dass seine frühere Regisseurin trotz der enttäuschenden Heim-WM als Chefcoach der deutschen Fußball-Frauen weitermacht. Die Diskussion um Neid empfindet Bisanz als "nicht gerecht“: "Silvia kann ihre Arbeit hier noch nicht als beendet betrachten“, betont er im Interview mit Florian Lütticke und Ulli Brünger (dpa).

Frage: Wie bewerten Sie die aktuelle Diskussion um Silvia Neid?

Gero Bisanz: Sie macht mich ein bisschen traurig, weil Silvia Neid das nicht verdient hat. Sie hat durch ihre bisherige Arbeit bewiesen, dass sie eine Trainerin ist, die eine Mannschaft führen kann. Jetzt soll sie plötzlich dazu nicht mehr in der Lage sein. Das sind Diskussionen, die so kurzfristig nach dem Spiel zwar nachvollziehbar, aber im Ergebnis nicht gerecht sind.

Sie selbst schließt einen Rücktritt nicht aus...

Bisanz: Die ersten Äußerungen nach dem Spiel waren ja ein bisschen anders. Es überrascht mich schon, dass nun Manager etwas über Fußballkunst aussagen wollen und ihre eigenen Interessen im Vordergrund sehen. Ich glaube, dass sie das getroffen hat. Ihre Äußerung kann man verstehen, dass sie erst einmal Luft holen muss. Sie muss jetzt Videos anschauen und ihre eigenen Entscheidungen überdenken, dazu braucht es Zeit. Es ist genauso schlecht jetzt zu sagen: Sie raus und eine andere rein, ohne zu wissen ob es besser wird. Das ist alles ein Durcheinander.

Ist Silvia Neid für Sie also alternativlos auf dem Posten als Bundestrainerin?

Bisanz: Alternativlos ist niemand, aber die Frage stellt sich nicht. Ich sehe keinen Anlass, darüber nachzudenken. Die Enttäuschung muss bei ihr so tief sitzen, weil die Erwartungshaltung so groß war. Da fällt man von ganz oben nach ganz unten. Sie muss sich ablenken, sie soll von mir aus golfen, segeln oder surfen und gar nicht an Fußball denken. Silvia kann ihre Arbeit hier noch nicht als beendet betrachten, sie ist noch sehr jung. Sie muss es nur selbst wollen. Nach einer gewissen Erholungszeit wird sie das auch sagen, da bin ich mir ganz sicher.

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Silvia Neid schließt Rücktritt nicht aus

Die Debatte um die Zukunft von Silvia Neid geht weiter. Erstmals schließt die Bundestrainerin einen Rücktritt nicht mehr aus. „Ich brauche jetzt erst mal Abstand. Erst wenn ich in ein paar Wochen wieder im Alltag angekommen bin, werde ich mich fragen: Was will ich eigentlich?“, sagte die 47-Jährige zwei Tage nach dem überraschenden Viertelfinal-Aus bei der Frauenfußball-WM der "Bild"-Zeitung.

Unmittelbar nach dem Scheitern hatte Neid einen Rückzug von ihrem Posten noch ausgeschlossen („Ich verspüre keine Motivationsprobleme“) und sich wenig selbstkritisch gezeigt. Doch die heftige Kritik der vergangenen Tage nach der bitteren Niederlage gegen Japan (0:1 n.V.) hat bei der Bundestrainerin offenbar zum Umdenken geführt.

„Mir war klar, dass jetzt eine Schuldige gesucht wird - und dass es in erster Linie immer die Trainerin ist“, sagte Neid: „Aber Sie können mir glauben: Auch für mich ist ein Traum zerplatzt.“ Unter anderem hatten Rolf Hocke, Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Trainer Bernd Schröder vom deutschen Meister Turbine Potsdam und Manager Siegfried Dietrich vom 1. FFC Frankfurt die Bundestrainerin kritisiert.

Der Vater von Rekord-Nationalspielerin Birgit Prinz forderte Neid sogar zum Rücktritt auf. Dafür zeigte Neid kein Verständnis: „Das ist total absurd. Vor der WM wurde das Thema von außen in die Mannschaft getragen. Da habe ich alle Spielerinnen versammelt, wir haben uns in die Hand versprochen, dass wir uns von niemandem auseinander dividieren lassen.“

Ob sie eine Schuld an dem frühen Aus bei der Heim-WM trifft, kann Neid (noch) nicht sagen. „Ich weiß es nicht. Ich bin eine akribische Arbeiterin, habe mich mit meinem Team monatelang auf jedes Detail vorbereitet. Ich muss jetzt alles in Ruhe analysieren“, so Neid. Trost erhalte sie von ihrer Familie und Freunden, aber auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundestrainer Joachim Löw oder Berti Vogts hätten ihr geholfen.

Sollte ihre Zeit als Bundestrainerin nach sechs Jahren tatsächlich zu Ende gehen, hätte Neid einige Alternativen parat. „Es gibt sehr viele Möglichkeiten und einige Anfragen, auch aus Bereichen außerhalb des Fußballs. Ich weiß nur, dass ich keine Angst vor der Zukunft habe“, so Neid.

Wenn es nach dem Vater von Rekord-Nationalspielerin Birgit Prinz gehen würde, müsste Neid zurücktreten. „Die Frau ist nicht in der Lage, ein Team zu führen. Und es wäre klug, wenn sie einen Strich darunter ziehen würde“, sagte Stefan Prinz im "hr-Radio": „Silvia Neid hat das Ganze alleine zu verantworten. Sie hat von Anfang an versucht, junge und ältere Spielerinnen gegeneinander auszuspielen und hat dadurch die Spielerinnen sehr verunsichert.“

Laut Stefan Prinz habe Neid seine Tochter, deren Verhältnis zur Trainerin aufgrund der Degradierung zur Reservistin zerrüttet scheint, in der sportlichen Krise fallen lassen. Die Spielführerin habe selbst das Gespräch mit Neid suchen müssen: „Das ist für mich einer der Gründe, warum das Ganze kaputt gegangen ist“, sagte Stefan Prinz. Seine Tochter sah sich genötigt, diese Aussagen zurückzuweisen. Ihr Vater sei ein „sehr emotionaler Mensch“, der nur seinem Ärger habe Luft machen wollen.

Sogar von der Spitze des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) sind erste kritische Stimmen zu hören. „Letztlich muss sich auch Silvia Neid bestimmte Fragen gefallen lassen. Dass da am Ende nichts Zählbares rausgekommen ist, ist eine Enttäuschung - das ist sogar beängstigend“, sagte DFB-Vizepräsident Rolf Hocke der "Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen". Hockes Chef dürfte das nicht gern gehört haben, schließlich steht Zwanziger weiter hinter der Bundestrainerin.

„Sie ist die beste Trainerin, die wir haben können“, verteidigte Zwanziger auch nach dem blamablen Scheitern der Mission Titelverteidigung, obwohl selbst die so wichtige Olympia-Qualifikation verspielt worden war. Eine andere Erklärung kann der Verbandsboss allerdings auch nicht abgeben, wenn er nicht selbst in die Kritik geraten will. Schließlich hat Zwanziger erst kurz vor WM-Beginn den ursprünglich bis 2013 laufenden Vertrag mit der Welt-Trainerin des Jahres, die vor der Niederlage gegen Japan noch nie bei einer WM- und EM-Endrunde verloren hatte, völlig unnötig bis 2016 verlängert.

Die Unterschrift unter den Vertrag mit Neid, die wenige Wochen vor der WM noch Amtsmüdigkeit hatte erkennen lassen, soll den Verband angeblich 700.000 Euro pro Jahr kosten. Mittlerweile fragen sich nicht nur Dauer-Kritiker wie Potsdams Meistertrainer Bernd Schröder („Der Vertrag ist nicht mal mehr die Buchstaben auf dem Papier wert“), ob dieses Geld gut angelegt ist.

Neid werden schwere Fehler bei der Taktik, der WM-Vorbereitung, den Einwechslungen und der Menschenführung zur Last gelegt. Kritiker bezeichnen den Spielstil als antiquierten „Kick and Rush“. Sie lassen kein gutes Haar an den WM-Lehrgängen, die sich über zweieinhalb Monate erstreckten und für die das Bundesliga-Ende in das Frühjahr vorverlegt worden war. Gescholten wird Neid zudem für Wechselfehler im Japan-Spiel und die Demontage der Rekord-Nationalspielerin Birgit Prinz. Der deutsche Frauenfußball ist angekommen in der Realität. Die Samthandschuhe wurden ausgezogen. Auch die Abendblatt-Leser werfen der Trainerin Wechselfehler im Spiel gegen Japan vor. 35 Prozent (4397 Stimmen) sahen darin den Grund für die Blamage am Sonnabend.

Mit Material von dpa und sid