Gegen Irland soll der gebürtige Hamburger an vorderster Front agieren - oder etwa nicht? Um die Position im DFB-Angriff ist längst eine Debatte entstanden.

Köln. In dieser Woche ging es bei der Nationalmannschaft mal wieder ans Eingemachte. Stürmer oder Nichtstürmer, das war vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Irland an diesem Freitag (20.45 Uhr/ARD und Liveticker bei abendblatt.de) die Frage. Und auch wenn DFB-Manager Oliver Bierhoff, ein Mittelstürmer der alten Schule, offensiv wie seinerzeit nur auf dem Rasen darum warb, sich nicht unnötig lange mit Begrifflichkeiten aufzuhalten, war die Bezeichnung für Max Kruses rotierende Rolle gegen Irland das beherrschende Thema: falsche Neun, spielmachende Neun, fluide Neun? „Auflegen oder selber machen – Hauptsache Tor“, antwortete Kruse auf die Frage nach der passenden Wortwahl.

Tatsächlich will Joachim Löw im vorletzten Qualifikationsspiel zur Weltmeisterschaft in Köln aus der Not eine Tugend machen. Nach den Absagen der Angreifer Miroslav Klose (Operation nach Nervenreizung im Mittelfuß) und Mario Gomez (Innenbandteilriss im Knie) setzt der Bundestrainer nun also auf das sogenannte „spanische System“ mit Offensivallrounder Kruse, 25, an vorderer Front – wobei sich Löw vor dem Abschlusstraining am Donnerstagabend noch als Hintertürchen offenlassen wollte, eventuell Mesut Özil nach ganz vorne zu beordern. „Ich wurde in Freiburg unter Christian Streich zum ‚falschen Neuner‘. Da habe ich gespürt, dass mir das liegt“, sagte Kruse im Gespräch mit der „Frankfurter Rundschau“. Er sei nicht so der große Übersteigerspieler, der viele Tricks draufhabe, meinte der Mönchengladbacher. „Mein Ding ist es eher, die Bälle schnell auch wieder abzugeben, um dann wieder in die richtige Position zu laufen.“

Genau das erwartet Löw von seinem umfunktionierten Angreifer auch gegen die vermutlich sehr defensiv ausgerichteten Iren. „Max ist nicht der klassische Stürmertyp wie Olli Bierhoff oder Jürgen Klinsmann, die vorwiegend im Strafraum agiert haben. Max ist flexibel, geht in die Zwischenräume, lockt die Innenverteidiger raus“, lobt der Bundestrainer, der bereits vor der EM im vergangenen Jahr andeutete, gerne mal ohne klassischen Stoßstürmer spielen zu wollen: „Ich mag solche Spieler. Und ich bin froh, dass wir so einen Typen haben.“

Als Trendsetter kann man Löw allerdings nicht bezeichnen. Das Nationalteam ist längst nicht die einzige Mannschaft, das auf einen Sturm ohne echten Stürmer setzt. Der FC Barcelona hat dieses System in den vergangenen Jahren mit Lionel Messi als „falscher Neun“ perfektioniert. Auch die spanische Nationalmannschaft und seit Kurzem der FC Bayern setzen bevorzugt auf diese Taktik.

Vier Kandidaten für die „falsche Neun“

Das System ist allerdings keine Erfindung der Moderne. Bereits in den 30er-Jahren spielte Österreichs Nationalmannschaft im klassischen Donaufußballsystem mit Mittelfeldspielern im Angriff. In den 50ern folgten die Ungarn, später die Niederländer, bei denen Johan Cruyff im Zentrum brillierte. Im Hier und Jetzt bieten sich neben Kruse auch Özil, Thomas Müller und Marco Reus, der allerdings gegen Irland verletzt fehlt, für die Rolle an. „Auf dieser Position ist es wichtig, dass man taktisch voll auf der Höhe ist. Ich glaube, dass ich eine gute Veranlagung habe, mir taktische Dinge schnell einzuprägen. Und ich habe auch ein ganz gutes Spielverständnis“, sagt Kruse, den Bierhoff als „spaßigen Vogel“ bezeichnete. „Es gehört zu meinen Stärken, dass ich Systeme schnell interpretieren kann und die freien Räume sehe.“

Dass weniger manchmal mehr ist, beweist eine Taktik-Untersuchung von Castrol Edge, die alle Stürmerkonstellationen der Nationalmannschaft seit 2006 analysiert hat. Das Ergebnis überrascht: So erzielte Löws Mannschaft in 52 Spielen mit zwei Angreifern im 4-4-2-System 121 Tore, in ebenfalls 52 Spielen mit nur einem Stürmer waren es sogar 133 Treffer. Dabei fiel auf, dass nach der Umstellung auf eine Taktik mit nur einem Stürmer die Mittelfeldspieler deutlich an Torgefahr zulegten. Gingen beim Zwei-Stürmer-System noch 51,2 Prozent aller Treffer auf das Konto der Angreifer, sank dieser Wert bei der Umstellung auf nur noch einen Stürmer auf 29,3 Prozent. Umgekehrt erzielten die Mittelfeldspieler zuletzt 60,9 Prozent aller Tore, davor waren es lediglich 40,5 Prozent.

Genug der Theorie. Ganz praktisch kann die DFB-Auswahl die Qualifikation zur Weltmeisterschaft in Brasilien durch einen Sieg gegen Irland perfekt machen. Im Hinspiel vor fast auf den Tag genau einem Jahr siegte Deutschland in Dublin mit 6:1. „Ich denke schon, dass wir so selbstbewusst sind, dass wir sagen können: Es liegt nur an uns, wie dieses Spiel nun ausgeht“, sagt Real Madrids Sami Khedira, der mit Bastian Schweinsteiger das defensive Mittelfeld ordnen soll. Doppel-Sechs? Flache Sechs? Das ist ein anderes Thema. Ein neuer Erfolg gegen die Iren sollte jedenfalls mit „falscher Neun“ und „richtigen Sechsern“ möglich sein. In der Theorie und in der Praxis.