DFB-Überflieger Sidney Sam spricht im Abendblatt-Interview über den HSV, die schwierige Entscheidung von Hakan Calhanoglu, Karsten Bäron und seine Twitter-Unlust.

Düsseldorf. Sidney Sam braucht keine Ruhepause. Statt auf sein Zimmer geht’s für den früheren HSV-Profi direkt nach dem Vormittagstraining der Fußballnationalmannschaft in die Hotellobby des Hyatt in Düsseldorf, wo der 25 Jahre alte Torjäger von Bayer Leverkusen mit dem Abendblatt zum Interview verabredet ist.

Hamburger Abendblatt: Herr Sam, am Freitag kann sich Deutschland gegen Irland vorzeitig für die WM qualifizieren. Können Sie sich noch erinnern, wie und wo Sie die WM 2010 verfolgt haben?

Sidney Sam: Puh, damals war ich noch Zweitligaspieler beim 1. FC Kaiserslautern. Die meisten Spiele der WM habe ich im Schanzenviertel in meiner alten Wahlheimat Hamburg geschaut. Ich war nie so, dass ich die Spiele komplett im Deutschland-Outfit verfolgt habe, aber natürlich habe ich bei allen Partien mit Freunden vor dem Fernseher die Daumen gedrückt. Ab und an war ich auch beim Public Viewing.

Im kommenden Sommer dürfte Ihnen beim Public Viewing zugejubelt werden. Sind Sie manchmal nicht auch ein wenig über sich selbst überrascht?

Sam: Schon, es gab ja auch einige Tiefen mit vielen Verletzungen. Aber zuletzt lief es einfach richtig gut für mich, ich führe nun sogar die Scorertabelle der Bundesliga an. Vielleicht waren die Tiefen im Nachhinein auch ganz gut für meine Entwicklung, da lernt man, auf dem Teppich zu bleiben.

Sie könnten am Freitag gegen Irland sogar von Anfang an im rechten Mittelfeld spielen, wenn der Bundestrainer Thomas Müller in die Spitze beordert.

Sam: Das wäre toll, aber im Training gab es noch keine Anzeichen dafür, wer nun wo aufläuft oder ob man überhaupt spielt. Klar würde ich mich freuen, wenn ich eine Chance bekomme.

Hatten Sie vor der viel kritisierten USA-Reise der Nationalmannschaft im Sommer ernsthaft gedacht, dass der Trip nach Amerika Ihr Sprungbrett zu einer DFB-Karriere werden würde?

Sam: Natürlich war mir bewusst, dass die Reise ohne Dortmunder und Bayern eine Riesenchance für mich war. Ich wollte dem Trainer unbedingt beweisen, was ich draufhabe.

Ist Ihr erstes Länderspiel gegen Ecuador noch im Hinterkopf präsent?

Sam: So etwas vergisst man nicht. Es war ein ganz besonderes Gefühl: die Vorbereitung, die Hymne, das Spiel. Es lief ja auch gar nicht mal schlecht, ich habe sogar zwei Tore vorbereitet.

Hand aufs Herz: Haben Sie vor dem Spiel noch mal den Text der Nationalhymne im Internet nachgeschaut?

Sam: Das brauchte ich nicht. Ich habe in mehreren U-Nationalteams gespielt, da war ich schon textsicher. Aber mein erstes Länderspieltrikot habe ich mir aufgehoben, obwohl ich immer gerne tausche und die Trikots auch sammle.

Wie viele haben Sie schon?

Sam: Ich habe die nie gezählt, aber 30 bis 40 werde ich schon haben. Mein größter Schatz ist ein Trikot von Franck Ribéry. Beim letzten Spiel mit Leverkusen gegen Bayern am Wochenende habe ich mit Mario Götze getauscht.

Darf ein Nationalmannschaftsneuling wie Sie einen alten Hasen wie Bastian Schweinsteiger im Training tunneln?

Sam: Im Fußball darf man alles. Wenn ich es wirklich schaffe, Schweinsteiger zu tunneln, dann ist keiner böse. Im Training geht es um die Leistung, darum, gemeinsam Ziele zu erreichen.

Statt für Deutschland hätten Sie auch für das Heimatland Ihres Vaters spielen können. Wir hartnäckig war Nigeria?

Sam: Sehr hartnäckig, sehr afrikanisch. Meine ganze Familie wurde mehrfach eingeladen, wir wurden mehrfach angerufen, und auch über die Medien wurde ein bisschen Druck aufgebaut. Aber mir war immer klar, dass ich für Deutschland spielen will, das war mein Traum.

HSV-Profi Hakan Calhanoglu war bis zuletzt zwischen Deutschland und der Türkei hin und her gerissen. Können Sie diesen inneren Konflikt nachvollziehen?

Sam: Klar, es ist keine einfache Entscheidung. Aber so platt das auch klingen mag, man muss auf sein Herz und sein Gefühl hören.

Verfolgen Sie Ihren Ex-Club HSV noch?

Sam: Es ist zwar schon ein paar Jahre her, dass ich dort gespielt habe, aber natürlich schaue ich an den Spieltagen immer genau hin, wie sich der HSV so geschlagen hat. Zuletzt war das ja nicht immer ganz so toll, aber vielleicht geht es nach dem Trainerwechsel wieder aufwärts.

Sie haben mal in einem Interview gesagt, dass Trainer Karsten Bäron Sie bei HSV II am meisten geprägt hätte. Bleiben Sie dabei, nachdem Sie nun von Jupp Heynckes und Joachim Löw trainiert wurden?

Sam: Selbstverständlich haben Trainer wie Heynckes oder Löw mehr Erfahrung und waren sehr wichtig für mich. Aber Bäron hat mich als mein erster Trainer nun mal entscheidend geprägt. Er hat mich fünf Jahre lang trainiert.

Auch Heung Min Son stammt aus der HSV-Jugend, sorgt nun mit Ihnen in Leverkusen als „SamSon“ für Furore…

Sam: Ich weiß gar nicht genau, wer sich diese Wortschöpfung eigentlich ausgedacht hat. Da haben die Boulevardzeitungen am Saisonanfang ganz schön übertrieben. Mir war das fast ein bisschen zu viel Lobhudelei. Aber natürlich ist Sonny ein toller Spieler. Er ist schnell, hat einen starken Schuss, eine super Technik.

Auch in den sozialen Netzwerken ist Son aktiv. Wie kommt es, dass Sie nicht twittern, flickern oder posten?

Sam: Es soll zwar einige Facebook-Seiten von mir geben, die sind aber gefälscht. Facebook und Twitter ist nichts für mich. Ich war daran nie besonders interessiert, und jetzt habe ich einen Sohn, da habe ich schon gar keine Zeit mehr.

Ist Ihr Sohn vielleicht Teil des Geheimnisses, warum es in dieser Saison so gut für Sie läuft?

Sam: Sicherlich. Als Familienpapa ruht man mehr in sich, man ist viel mehr zu Hause, geht nicht mehr feiern und kommt nicht auf dumme Gedanken.