Noch nie hat eine DFB-Mannschaft alle EM-Qualifikationsspiele gewonnen. Bei einem Sieg in Aserbaidschan wäre Deutschland qualifiziert.

Baku. Wie groß in Aserbaidschan die Wertschätzung gegenüber Deutschlands Fußballelite ist, wurde bereits umgehend nach der Landung der Nationalmannschaft gestern Nachmittag im von Wolken bedeckten, 20 Grad warmen Baku deutlich. Den üblichen Feierabendstau auf der Autobahn zwischen Flughafen und Zentrum der Millionenmetropole ließ der Bus des DFB-Tross dank einer eilig herbeigerufenen Polizeieskorte buchstäblich links liegen. Selbst die kurzzeitige Vollsperrung wegen eines Regierungskonvois verhinderte nicht die pünktliche Ankunft im altehrwürdigen Park Hyatt Baku, das allerdings schon bessere Tage gesehen hat. Eine Nacht dürften es sich die deutschen Fußballer in dem Mix aus Orient- und Ostblockarchitektur trotzdem gut gehen lassen, ehe die DFB-Delegation direkt nach dem heutigen Spiel gegen Aserbaidschan (19 Uhr, MEZ/live in der ARD) in den Nachtstunden wieder nach Hause fliegt.

Die Rollenverteilung dürfte heute Abend im Tofik-Bakhramov-Stadion ohnehin klar sein. Während der wohl zum letzten Mal von Berti Vogts trainierte Gastgeber nach der von den Fans und den heimischen Medien noch immer nicht überwundenen 1:2-Pleite gegen Kasachstan lediglich um Schadensbegrenzung bemüht ist, hat Deutschland mehr als nur drei vermeintlich einfache Auswärtspunkte im Sinn. "Das Ziel bleibt, uns frühstmöglich für die EM zu qualifizieren. Wenn wir es schaffen, dabei alle Spiele zu gewinnen, dann ist das umso besser", sagt Bundestrainer Joachim Löw, der kurz vor der heiß ersehnten Sommerpause als Extramotivation im von Hamburg 3300 Kilometer entfernten Baku einen Rekord für die Ewigkeit vor Augen hat.

Zwar haben DFB-Mannschaften schon viermal (2004, 1980, 1976 und 1972) eine EM-Qualifikation ohne Niederlage überwunden, allerdings hat noch nie eine deutsche Nationalmannschaft alle Qualifikationsspiele gewonnen. "Für mich ist es schon sehr imponierend, wie wir bislang diese Qualifikation überstanden haben", sagt Löw und klopft sich und seinen Spielern verbal kräftig auf die eigenen Schultern. Das Eigenlob ist aber auch verdient. Sechs Siege in sechs Spielen ist eine beeindruckende Serie, die mit vier Erfolgen gegen Aserbaidschan, Österreich, die Türkei und Belgien veredelt werden soll. "Wir sind in allen vier verbleibenden Partien der Favorit. Natürlich muss es unser Ziel sein, diese Spiele zu gewinnen", kündigte Mats Hummels selbstbewusst an, um sich ungefragt noch etwas mehr in die Pflicht zu nehmen: "Als Deutschlands Nationalmannschaft ist es ein Muss, alle Spiele zu gewinnen."

Dortmunds Meister Hummels ist trotz seiner mutigen Ankündigung natürlich bewusst, dass der letzte Betriebsausflug der Saison ans Kaspische Meer für Deutschlands Fußballer keineswegs zum exotischen Kurzurlaub wird. "Auch in Aserbaidschan wird guter Fußball gespielt. Die Stimmung im Stadion wird jedenfalls sehr emotional sein", sagt der Innenverteidiger, der bereits zum zweiten Mal in dieser Saison in die südliche Kaukasusrepublik reiste. Im vergangenen Sommer spielte Hummels mit dem BVB in der Europa League gegen den aserbaidschanischen Klub Qarabag Agdam. "Leider habe ich damals von Baku nicht so viel gesehen, es war aber auf jeden Fall eine interessante Erfahrung", sagt Hummels, der von Löw für das Spiel eine Einsatzgarantie in der Innenverteidigung erhielt.

Das Versprechen auf einen Platz im Abwehrzentrum ist gerechtfertigt und dennoch überraschend. Immerhin gehört Hummels zu der im DFB-Team offenbar aussterbenden Spezies, die auch im defensiven Mittelfeld einsetzbar wäre. Nach den verletzungsbedingten Ausfällen der sogenannten Sechser Sami Khedira, Bastian Schweinsteiger, Christian Träsch, Sven Bender und Simon Rolfes ist neben Hummels, der ja in der Innenverteidigung spielen soll, lediglich Bayerns Toni Kroos für die Schlüsselposition vor der Abwehr übrig geblieben. Bundestrainer Löw dürfte aus seiner Not eine Tugend machen und vor Kroos mit vier statt mit drei offensiven Mittelfeldspielern agieren. Favorit für die offene Planstelle ist Mario Götze, der vergangenen Freitag seinen 19. Geburtstag feierte. Zumindest Außenseiterchancen werden dem nachnominierte Mainzer Lewis Holtby eingeräumt.

Die endgültige Besetzung, da hat sich Löw festgelegt, dürfte aber keineswegs über den Ausgang des heutigen Spiels entscheiden. "Es ist nicht die Frage, wie stark Aserbaidschan ist, sondern, wie stark wir unsere eigene Leistung abrufen", sagt der Bundestrainer, der, einen Sieg gegen den 108. der Weltrangliste vorausgesetzt, schon jetzt ein durch und durch positives Fazit dieser Länderspielsaison zieht. "Unser erstes Ziel war es, alle Qualifikationsspiele zu gewinnen. Das haben wir bislang geschafft. Und unser zweites Ziel war es, neue junge Spieler an die Mannschaft heranzuführen", sagt Löw, der auch diese Aufgabe als erledigt ansieht. Ein Sieg gegen Aserbaidschan würde das Gesamtfazit abrunden - und die Wertschätzung der Gastgeber bestätigen.