Vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen Kasachstan erspart sich Joachim Löw sämtliche Warnungen. Sein Team will und soll begeistern.

Mainz. Joachim Löw ist unverdächtig, zu Übermut oder Selbstüberschätzung zu neigen - selbst bei Frühlingsgefühlen. Dass der Bundestrainer vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen Kasachstan am heutigen Sonnabend (20 Uhr/ZDF) in Kaiserslautern auf die sonst regelmäßig verabreichte Videoanalyse zum Gegner verzichtete und seinen Spielern stattdessen Sequenzen des jüngsten Testspiels gegen Italien vorführte, sprach denn auch eher für seinen ausgeprägten Realitätssinn: "Eine Analyse von Kasachstan ist nicht nötig. Die Frage ist nicht, wie gut Kasachstan ist, sondern wie gut wir sind. Spielerisch haben sie nicht unser Niveau, das ist eine kleine Fußballnation", sagte er.

Was der 51-Jährige gelassen aussprach, war im Grunde eine Sensation, ein Paradigmenwechsel. Ob Berti Vogts, Rudi Völler oder auch Jürgen Klinsmann - alle seine Vorgänger hatten die Existenz dieser Spezies, der Kleinen im Fußball, stets vehement bestritten.

Zunächst müsste jedoch einmal geklärt werden, ab wann eine Fußballnation als klein zu bezeichnen ist. Als Grenze könnte derzeit Antigua und Barbuda dienen, das in der Fifa-Weltrangliste auf Position 100 geführt wird. Kasachstan liegt auf Rang neun, aber nur, was das Ranking der größten Länder der Welt betrifft. Bei 15 Millionen Einwohnern leben im Schnitt 5,6 Menschen auf einem der 2,7 Millionen Quadratkilometer, was wiederum erklärt, warum gute Fußballteams dort seltener anzutreffen sind und Kasachstan in der Fifa-Liste noch 32 Plätze hinter Antigua und Barbuda geführt wird.

Erschwerend für den tschechischen Trainer Miroslav Beranek, der den Deutschen Bernd Storck nach dem 0:3 gegen die DFB-Elf im Oktober ablöste, kommt hinzu, dass ihm sechs Spieler verletzungsbedingt fehlen, darunter Kapitän Andrej Karpovich sowie die deutschen Legionäre Sergej Karimow (Wolfsburg) und Heinrich Schmidtgal (Oberhausen).

Beim DFB hingegen ist unter Löw ein qualitativ hochwertiges und charakterlich einwandfreies Team herangewachsen, das selbst diese Pflichtaufgaben professionell angeht. Konzentration, Leistungswille und Disziplin seien hoch, berichtete der Bundestrainer zufrieden, während Kapitän Philipp Lahm, auf seine Freizeitgestaltung angesprochen, mit staatstragender Miene verkündete, man sei ja nicht zum Urlaub hier am Rhein, sondern bereite sich auf ein Qualifikationsspiel vor.

Dass der DFB am Donnerstagabend Klaus-Peter Müller, den Aufsichtsratsvorsitzenden der Commerzbank, einlud, um mit den Spielern über das Thema Vermögensanlage zu diskutieren, könnte dennoch als Indiz für eine aufgelockerte Vorbereitung gewertet werden. Tatsächlich gehören solche Vorträge längst zum üblichen Prozedere vor Länderspielen und werden die Eigenmotivation der Spieler nicht mindern, den fünften Sieg im fünften Qualifikationsspiel zu landen.

Den Erfolg setzt Löw sowieso voraus: "Das alleine reicht mir nicht", forderte er, "wir wollen die Spielfreude und den Spielwitz zeigen, die uns bei der WM so stark gemacht haben." Nicht unerwähnt bleiben darf aber auch, dass es der "gemeine" deutsche Nationalspieler in der Vergangenheit selten an der erforderlichen Ernsthaftigkeit mangeln ließ. Nur sieben Niederlagen in 78 EM-Qualifikationsspielen sprechen für sich.

Zwar setzt Löw im mit 47 849 Zuschauern ausverkauften Fritz-Walter-Stadion auf das übliche Personal und ließ sich am Freitag nur die Positionen linker Innenverteidiger (Löw lobte Arne Friedrichs Formstärke) und Linksverteidiger (Dennis Aogo ist gegenüber Marcel Schmelzer favorisiert) offen. Doch mit seinem Erneuerungskurs - sieben WM-Fahrer wurden vorerst aussortiert, darunter Piotr Trochowski und Marcell Jansen vom HSV- hält der Bundestrainer den Konkurrenzdruck hoch. Aus Hamburger Sicht interessant war Löws Ansage, dass er sowohl dem HSV-Profi Aogo als auch dem Dortmunder Schmelzer zutraut, die Vakanz links hinten zu beheben. Löws erklärter Wunsch ist es, bei der EURO 2012 in Polen und der Ukraine dort auch einen Linksfuß spielen zu lassen. Früher halfen auch mal Jerome Boateng oder Heiko Westermann dort aus.

Doch das sind nur Petitessen im Vergleich zum Wirbel in der Bundesliga, in der es in der abgelaufenen Woche fast jeden Tag eine Trainerentlassung gegeben hatte. Der DFB als Hort der Harmonie, ja fast der Langeweile, mit vorzeitig verlängerten Verträgen (Löw, Bierhoff) und gesichertem Nachschub an Nachwuchs - wer hätte das je für möglich gehalten? Ganz klar: Bevor am Dienstag in Mönchengladbach gegen Australien die Nachwuchskräfte Mario Götze, André Schürrle und Sven Bender ihre Aufwartung machen, muss Kasachstan leiden. Vorsichtig werden lässt eigentlich nur - theoretisch - das Datum. Schon einmal verlor eine DFB-Elf an einem 26. März gegen einen "Kleinen". 1:2 hieß es 1939 gegen Luxemburg.