Bundestrainer Joachim Löw gibt einigen Spielern gegen Dänemark (im Liveticker auf abendblatt.de) eine letzte Chance.

Kopenhagen. Ist das Spektakel wirklich schon einen Monat her? Die Weltmeisterschaft in Südafrika, Geburtsstunde eines kleinen deutschen Fußballwunders, scheint noch so greifbar: Fanmeilen in der Sommerhitze, Zauberspiele gegen England und Argentinien, Enttäuschung nach der Halbfinalniederlage gegen Spanien, Erleichterung über den glücklichen Gewinn von Bronze gegen Uruguay. Doch spätestens jetzt muss das Turnier, bei dem die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw sich weltweit in die Herzen der Fußballfans spielte, abgehakt und archiviert sein. Denn heute steht das nächste Länderspiel auf dem Terminplan, und größer als zum Championat am Kap der Guten Hoffnung könnte der Kontrast zur Partie gegen Dänemark in Kopenhagen kaum sein.

Sieben der 23 Südafrika-Fahrer hat Löw zum Kommen bewegen können, mit Jerome Boateng (Manchester City) und Manuel Neuer (Schalke 04) aber nur zwei, die bei der WM regelmäßig zum Einsatz kamen. Neuer wird heute allerdings nicht auflaufen, Löw plant 90 Minuten mit dem Bremer Tim Wiese.

Über den Sinn und Unsinn des Testspiels in der Hauptstadt Dänemarks ist vorab viel diskutiert worden. Louis van Gaal, Trainer des FC Bayern München, hat sich gar in Rage geredet, von "Wahnsinn" gesprochen, sogar einen Boykott angeregt, und Kollegen wie Schalkes Felix Magath pflichteten ihm bei. Aber die Gemüter haben sich wieder beruhigt. Auch weil der Bundestrainer weitgehend auf Nominierungen von Spielern des Rekordmeisters verzichtete und auch weitere Stammkräfte wie Arne Friedrich, Per Mertesacker, Sami Khedira und Lukas Podolski schont.

Auch ein anderer Krisenherd bleibt vorerst kalt, denn Michael Ballack, Deutschlands Vielleicht-bald-wieder- Kapitän wird heute nicht dabei sein. Er ist nach seiner Verletzung, die ihn die WM kostete, im Aufbauprogramm. Das hat den Vorteil, dass Löw in der unsäglichen Diskussion um Ballack und seinen Südafrika-Stellvertreter Philipp Lahm derzeit keine Entscheidung treffen muss und sie auf den Start der EM-Qualifikation in einem Monat schieben kann. "Es ist wichtig, mit den Beteiligten ernsthafte, seriöse Gespräche zu führen", sagte er gestern.

Lahm hatte das Thema befeuert, als er jüngst in einem Interview noch einmal seine Ambitionen bekräftigte, die Kapitänsehre nicht kampflos wieder an Ballack abzutreten. Es wird also nicht von Nachteil sein, wenn die beiden Konkurrenten sich noch ein bisschen auf den Trainingsplätzen ihrer Vereine austoben und besinnen können.

Wenn dem Spiel heute überhaupt ein tieferer Sinn angedacht werden kann, dann dieser: Es wird eine muntere Bewerbungsrunde für B-Nationalspieler, die heute um ihre vielleicht letzte Chance einer Zukunft im Nationaltrikot spielen dürfen. Und noch nicht einmal das ist sicher, denn die WM-Fahrer haben einen gewaltigen Vorsprung aus Südafrika mitgebracht. Zudem wird die Kaderstärke bei den Qualifikationsspielen für die EM 2012 nur 18 Spieler betragen - fünf weniger als bei der WM. Keine gute Zeit für Neu- oder Wiedereinsteiger.

Ohnehin war es ein Team der Versprengten und Verstoßenen, das sich am Montagnachmittag in Frankfurt am Main traf. Andreas Beck zum Beispiel hatte im Trainingslager vor der WM erfahren, dass er der letzte Streichkandidat ist. Damit war der Hoffenheimer aber schon deutlich weitergekommen als Christian Gentner, Marcel Schäfer oder Thomas Hitzlsperger, die es nicht einmal in den erweiterten WM-Kader geschafft hatten, ebenso wie Patrick Helmes, Bayer Leverkusens Stürmer. Das war vor allem für Hitzlsperger bitter. Der ehemalige Stuttgarter, vor einem Jahr noch Stammkraft bei Löw, war von der schwäbischen Ersatzbank im Winter nach Rom geflohen, um sich bei Lazio für einen Platz im WM-Kader zu empfehlen. Das misslang, mittlerweile hat er in England bei West Ham United angeheuert und hofft auf ein dauerhaftes Comeback. Immerhin ist er mit 51 Länderspielen der erfahrenste Mann im Team - und Kapitän.

Christian Schulz dagegen war vor fünfeinhalb Jahren zum dritten und vorerst letzten Mal in das Trikot mit dem Adler geschlüpft. Seither verhinderten diverse Verletzungen und Formkrisen weitere Einsätze des Abwehrmanns von Hannover 96. "Natürlich freue ich mich riesig, dass der Bundestrainer auf mich zurückgreift", sagte Schulz. "Ich werde alles tun, um zu zeigen, dass ich auch internationalen Ansprüchen gerecht werde."

Das will auch Sascha Riether, der nach der verletzungsbedingten Absage des Gladbachers Marco Reus heute der einzige echte unter vielen gefühlten Debütanten ist. Der Mittelfeldmann von VfL Wolfsburg wird heute zu seinem ersten Länderspiel kommen, Löw will jedem seiner 16 Männer Einsatzzeit geben. "Wir nehmen dieses Spiel intern bei uns ernster, als es in der Öffentlichkeit dargestellt wird", sagte Löw gestern. Ob seine Spieler das auch tun, werden sie heute beweisen müssen.

Die voraussichtlichen Mannschaftsaufstellungen

DÄNEMARK : Sörensen/Stoke City (34 Jahre/89 Länderspiele) - Jakobsen/Blackburn Rovers (30/34), Agger/FC Liverpool (25/35), Kjaer/VfL Wolfsburg (21/11), Simon Poulsen/AZ Alkmaar (25/8) - Enevoldsen/FC Groningen (23/7), Silberbauer/FC Utrecht (29/14), Eriksen/Ajax Amsterdam (18/5) - Rommedahl/Olympiakos Piräus (32/99), Schöne/NEC Nijmegen (24/1), Krohn-Dehli/Bröndby IF (27/5). - Trainer: Olsen

DEUTSCHLAND : 12 Wiese/Werder Bremen (28/2) - 2 Beck/1899 Hoffenheim, 20 Boateng/Manchester City (21/10), 5 Tasci/VfB Stuttgart (23/13), 4 Schäfer/VfL Wolfsburg (26/7) - 3 Träsch/VfB Stuttgart (22/2), 8 Hitzlsperger/West Ham United (28/51) - 11 Hunt/Werder Bremen (23/1), 18 Kroos/Bayern München (20/8), 21 Marin/Werder Bremen (21/11) - 23 Gomez/Bayern München (25/38). - Trainer: Löw

Schiedsrichter: Alan Kelly (Irland)