Nach der Gelb-Sperre für Jungstürmer Thomas Müller gilt der HSV-Profi als erster Ersatzkandidat für das Halbfinale gegen Spanien.

Pretoria. Er hätte allen Grund gehabt, missmutig dreinzuschauen, aber Thomas Müller hatte seine gute Laune längst wiedergefunden, als er nach dem 4:0 (1:0) gegen Argentinien aus der Kabine kam. Es hatte offenbar eines Schluckes Spaßbrause bedurft, seine Enttäuschung herunterzuspülen. "Es ist doch wohl klar, dass wir nach so einem Sieg nicht warme Milch trinken", sagte der Mann, der am Mittwoch beim Halbfinale gegen Spanien zuschauen muss.

Es war die 36. Minute, als Müller der Ball an die Brust prallte, er sich drehte, und in der Vorwärtsbewegung berührte er den Ball schließlich mit der Hand. Schiedsrichter Rawschan Irmatow aus Usbekistan zeigte dem 20-jährigen Mittelfeldspieler die Gelbe Karte; es war seine zweite bei diesem Turnier, was eine Sperre von einem Spiel nach sich zieht.

Nun könnte er jammern, hadern und die Ungerechtigkeit der Welt verfluchen. Doch Müller ist anders. Und weil er das Geschehene ohnehin nicht mehr rückgängig machen konnte, wollte er sich auch nicht auf eine Diskussion darüber einlassen, ob die Verwarnung berechtigt war oder nicht. Klar, sagte er, es tue schon weh, gegen Spanien nicht mitspielen zu dürfen, und für berechtigt hielt er die Gelbe Karte auch nicht. "Das war ein bitterer Moment, ich habe mich eine Minute geärgert, aber du musst das abschütteln. Dann spiele ich eben im Finale wieder mit", sagte er.

Vielleicht ist es die Erkenntnis, dass ihm sowieso keiner mehr die großartige Weltmeisterschaft madig machen kann, die ihm die weise Gelassenheit verlieh. Vier Tore hat er bereits erzielt, das vorerst letzte köpfte er gegen Argentinien bereits nach drei Minuten. Vor einem Jahr war der Bursche nicht einmal Stammspieler in der Bundesliga, nun schwärmt die ganze Welt vom forschen Bayern.

Zum grandiosen 4:0 hatte der Bayern-Aufsteiger im Liegen auch noch eine Vorlage beigesteuert. Seine Vorarbeit auf dem Hosenboden erinnerte einmal mehr an seinen großen Vorgänger Gerd Müller, der bei der WM 1970 in Mexiko Torschützenkönig war.

"Es ist Wahnsinn, was hier abgelaufen ist", erklärte Müller junior, der mit vier Treffern dem bisher besten Turniertorschützen David Villa auf der Spur ist.

"Das ist wirklich tragisch. Die Karte hätte gar nicht sein müssen, zuvor hat der Schiedsrichter auch keine verteilt", meinte Teammanager Oliver Bierhoff, der wie alle Teamkollegen und Betreuer Müller nach Spielende begeistert abklatschte. "Da müssen sich die anderen eben noch mehr reinhauen, dass er dann wieder das Finale spielen kann", betonte Bierhoff. Auch Bundestrainer Joachim Löw sah Müllers Handspiel als "nicht Gelb-würdig", der Ausfall des neuen WM-Helden wiege schwer.

"Thomas Müller hat gezeigt, mit welcher Torgefahr er bei diesem Turnier präsent ist", betonte Löw. Der Einstand des jungen Bayern-Stürmers auf der WM-Bühne ist überwältigend: Tor zum Auftakt gegen Australien (4:0), gleich zwei Treffer beim imponierenden 4:1 über England, nun der Superauftritt gegen den zweimaligen Champion Argentinien. Selbst die spanische Zeitung "El Mundo" schwelgte danach in höchsten Tönen, Deutschland weihe "eine neue Generation: die eines wundervollen Fußballers namens Müller".

Bundestrainer Joachim Löw wird nun darüber zu grübeln haben, wie er Müller ersetzt. "Wir haben Spieler, die Thomas Müller auch ersetzen können - und das werden wir auch schaffen", unterstrich Löw kämpferisch. Trochowski, Kroos, Marin oder auch Cacau hoffen. "Das ist natürlich ein Ausfall, weil er ein Superturnier gespielt hat. Aber da muss jetzt halt ein anderer ran", sagte Kollege Lukas Podolski in seiner bekannt direkten Art.

Die wahrscheinlichste Option ist, dass Löw Piotr Trochowski in die Startelf beruft. Der Hamburger galt vor der WM sogar als gesetzt im rechten offensiven Mittelfeld, bis Müller ihn mit starken Leistungen in Bundesliga und Champions League verdrängte. Trochowskis Problem ist seine Abschlussschwäche. Während Müller wie ein Mittelfeldspieler spielt und wie ein Stürmer denkt, ist Trochowski in Strafraumnähe oft auf verlorenem Posten.

Ähnlich verhält es sich mit Toni Kroos, der zudem bislang eher links oder zentral zum Einsatz kam. "Ich würde es mir zutrauen, aber gespielt habe ich dort bislang selten", sagte der Leverkusener. Der Stuttgarter Cacau, ebenfalls mit Qualitäten in der Rückwärtsbewegung, hat dagegen kaum Chancen, da er gestern wegen seiner Bauchmuskelzerrung erneut das Training abbrechen musste.

Müller wiederum bleibt trotz des Ärgers über das Halbfinal-Aus nach der zweiten Verwarnung das Hoffen auf das Endspiel - und das Glücksgefühl, dass ihn der große Diego Maradona nun garantiert kennt. Noch im März hatte Argentiniens Idol nach dem 1:0-Testspielsieg der Argentinier in München Müller eher für einen Balljungen gehalten. "Das ist eine kleine Nebengeschichte zum 4:0. Wichtig war es, dass wir gewinnen", kommentierte Müller mit einem Lächeln die Episode. Die argentinische Zeitung "Ole" konnte sich einen Seitenhieb gegen Maradona jedoch nicht verkneifen und titelte: "Diego, der Junge heißt Müller."