Beim 4:0 im WM-Viertelfinale gegen Argentinien zeigte die DFB-Elf um Bastian Schweinsteiger Weltklasse-Niveau.

Kapstadt/Erasmia. Nach der Rückkehr im Velmore Grande war noch ein letztes Mal an diesem Tag die Kondition der Spieler gefordert: Es wurde getanzt und gefeiert. Am Sonntagnachmittag gab Joachim Löw seinen Spielern frei. Mit ihren angereisten Frauen, Freundinnen und Familienmitgliedern durften sie sich mit einem Gedanken anfreunden, den Lukas Podolski im Green-Point-Stadion von Kapstadt herausgerufen hatte: "Jetzt fehlen uns nur noch zwei Spiele. Und dann haben wir das Ding!" Und auch die angereiste Bundeskanzlerin Angela Merkel, von der Euphorie angesteckt, beschloss ihre Kabinenrede nach dem Abpfiff fast pathetisch: "Es ist so nah". Am Mittwoch (20.30 Uhr) geht es nun gegen Europameister Spanien um den Einzug in das Finale. Der mögliche Gegner wird im anderen Halbfinale am morgigen Dienstag (20.30 Uhr) zwischen Holland und Uruguay ermittelt.

"Die beste Mannschaft seit Netzer und Beckenbauer 1972"

Für diese deutsche Nationalmannschaft scheint es wirklich keine Grenzen zu geben. Die Art und Weise, wie Argentinien im Viertelfinale mit 4:0 regelrecht "zerlegt wurde" (Arne Friedrich), lässt die Option, dass die DFB-Auswahl das Projekt "vierter Stern" nach den WM-Titeln 1954, 1974 und 1990 erfolgreich zum Abschluss bringen kann, immer wahrscheinlicher erscheinen. Das Verlangen nach Erfolg ist bei den Spielern jedenfalls ungebrochen: "Wenn man im Halbfinale steht, will man mehr - klar", sagte Philipp Lahm.

Der DFB-Kapitän bezeichnete den brillant herausgespielten Erfolg gegen die Mannschaft von Diego Maradona als "sehr, sehr großen Schritt. Wir hatten lange keine großen Gegner mehr geschlagen. Vor vier Jahren sind wir ziemlich glücklich im Viertelfinale gegen die Argentinier nach Elfmeterschießen weitergekommen, haben dann aber im Halbfinale gegen Italien und auch bei der EM gegen Spanien verloren." Eine deutsche Mannschaft habe lange nicht mehr gegen große Fußballnationen so gespielt wie am Sonnabend, sagte Lahm weiter. Dem ZDF hatte das Spiel einen Rekord-Marktanteil von 89,2 Prozent beschert, insgesamt sahen 25,95 Millionen Zuschauer den Galaauftritt live.

Wie schon gegen England fand Löw erneut eine weltmeisterliche Taktik. "Wir wussten, dass die Argentinier mit vielen Mann angreifen", sagte Manager Oliver Bierhoff. "Messi ist beispielsweise ein hervorragender Spieler, aber für die Defensive arbeitet er nicht so viel, genau wie Higuain und Tevez. Da kann man schnell im Mittelfeld ein bisschen Überzahl bekommen und die Räume nutzen." Vor allem, wenn man Spieler wie Thomas Müller und Mesut Özil in den Reihen hat, die diese Räume nutzen können und für Gefahr sorgen - vor allem aber einen Bastian Schweinsteiger.

Der Profi des FC Bayern München nutzte die sich ihm bietenden Freiräume in der Zentrale, um wohl sein bestes Länderspiel im DFB-Trikot zu zeigen. Stark, wie er einen Freistoß auf Müller zum 1:0 zirkelte. Zum Schwärmen, wie er vor dem 3:0 von Friedrich vier Argentinier wie ein Slalomläufer umkurvte. "Es war ein grandioses Länderspiel von ihm, wenn man sieht, was er gearbeitet hat und gelaufen ist", sagte Löw. "Er hat die Mannschaft geführt und sie organisiert. Bei fast jedem Angriff war er in der Offensive. Wie er das Tor von Arne Friedrich vorbereitet hat, kann man nicht besser machen."

Voraussetzung für Schweinsteigers Gala-Auftritt war aber auch die Laufbereitschaft seiner Mitstreiter, die erneut die Forderung von Löw nach einem verbesserten Spiel ohne Ball einlösten.

Neben dieser Laufarbeit, dem teilweise traumwandlerischen Kombinationsspiel war ein "Zweikampfverhalten auf höchstem Niveau" (Löw) ein Schlüssel zum Erfolg. "Wir haben es geschafft, Messi, Higuain und Tevez fast zu eliminieren", lobte der Bundestrainer, der die Lücken mit seinem verordneten Tempofußball gnadenlos aufdecken ließ. Seinen Spielern hatte er mit auf den Weg gegeben: "Ihr seid jünger, ihr seid schneller, ihr seid ausdauernder." Dass einer von ihnen, Thomas Müller, dem der Titel "bester Nachwuchsspieler der WM" kaum noch zu nehmen ist, nach seiner zweiten Verwarnung nun am Mittwoch in Durban gegen Spanien fehlt und auch Sami Khedira (Oberschenkelverhärtung) lädiert ist, konnte die Freude kaum schmälern. Das letzte Mal war ein so hoher Sieg in einem Viertelfinale einer deutschen Elf bei der WM 1966 geglückt, als Uruguay ebenfalls mit 4:0 bezwungen wurde.

Nach den grandiosen Auftritten der deutschen Mannschaft ist eine Feier mit den Fans in Berlin nach der WM so gut wie beschlossen. Der Airbus 380, der die Mannschaft am 6. Juni nach Johannesburg geflogen hatte, soll Spieler und Betreuer abholen und in die Hauptstadt bringen. "Es gibt am Montag Gespräche zwischen dem DFB und dem Senat über den Empfang der deutschen Mannschaft in Berlin", bestätigte Anja Marx, Sprecherin des offiziellen Fifa-Fanfestes auf der Straße am 17. Juni. Ob am Montag der WM-Dritte oder -Vierte bejubelt wird oder aber am Dienstag der Finalteilnehmer, ist naturgemäß noch offen. Fest steht schon jetzt, dass diese Mannschaft Großes geleistet hat.