Für den FC Bayern geht es heute im Rückspiel der Champions League bei Real Madrid um eine historische Chance - das Finale im eigenen Stadion.

Madrid. Es gibt kaum etwas Schöneres für den Menschen, als ein Ziel zu erreichen, für das er lange hart gearbeitet hat. Denken Sie an die Augen von Dirk Nowitzki, als er 2011 als erster Deutscher die Meisterschaft in der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA gewann. Und gibt es etwas Brutaleres, als ein solches Ziel zu verpassen? Ja: Ganz kurz davor zu sein - und am Ende zusehen zu müssen, wie andere jubeln. Erinnern Sie sich an die leeren Blicke der deutschen Fußball-Nationalspieler nach dem verlorenen Finale der Europameisterschaft gegen Spanien vor vier Jahren.

+++ Wie der FC Bayern gegen Real Madrid bestehen kann +++

Der FC Bayern entscheidet heute, ob es für ihn ein historischer oder brutaler Tag wird. 20.45 Uhr (Sat.1 und Sky Live-Ticker auf www.abendblatt.de ) treten die Münchner im Halbfinalrückspiel der Champions League bei Real Madrid an (Hinspiel 2:1). 90 Minuten, 120 bei Verlängerung oder noch ein paar mehr bei Elfmeterschießen werden den Traum von der Teilnahme am Finale im eigenen Stadion am 19. Mai wahr werden lassen. Oder zerstören. Mia san mia oder mia san draußen. Es geht um alles oder nichts. Die Partie ist der letzte Schritt - und wohl der schwerste. "Ich erwarte ein dramatisches Duell", sagt Klubchef Karl-Heinz Rummenigge.

Seit der europäische Fußballverband Uefa das Endspiel 2009 in die bayerische Landeshauptstadt vergab, haben Rummenigge und Präsident Uli Hoeneß die Vision vom "Finale dahoam". Daran teilzunehmen - das hat noch keine Mannschaft geschafft. Bei den bisherigen Endspielen in München siegten Nottingham Forest (1979), Olympique Marseille (1993) und Borussia Dortmund (1997). Es muss heftig für Hoeneß gewesen sein, den größten Bayern-Fan überhaupt, von der Tribüne seines Stadions den Rivalen den wichtigsten Vereinspokal gewinnen zu sehen. Jetzt bietet sich dem FC Bayern die Chance noch einmal. Wer weiß, ob und wann es sie noch einmal gibt. "Wir gehen nach Madrid, um diesen Traum wahr werden zu lassen. Es wäre fantastisch", sagt Rummenigge. Und Hoeneß' mittlerweile legendäre Aufforderung an sein Team lautet: "Da müssen wir dabei sein!"

Die Fans träumen mit. Sie erinnern sich in diesen Tagen an 2001, als ihre Mannschaft erst im Halbfinale über Real siegte und dann im Endspiel den FC Valencia bezwang. Münchens Fußballkneipen sind seit Wochen ausgebucht. Wer heute Abend nicht vor dem Fernseher sitzt, der arbeitet - oder mag den Fußball so sehr wie die CSU die Piraten. Selbst viele Fans anderer Klubs fiebern mit den Bayern. Alle wollen das Finale, es würde so vieles wettmachen. Zum zweiten Mal in Folge haben die Münchner das Ziel Meisterschaft verpasst. Zwei Spieltage vor Saisonende dreht sich jetzt alles um die Champions League.

Am Dienstagvormittag flog der Rekordmeister zum wichtigsten Auswärtsspiel seit Langem. An Bord des Airbus A340 waren alle 23 Profis, obwohl Trainer Jupp Heynckes nur 18 für den Kader benennen darf. Auch Rouven Sattelmaier, der dritte Torwart, und der verletzte Daniel van Buyten reisten mit. Einer für alle, alle für einen. "Für diese Spiele lieben wir alle den Fußball", sagt Torjäger Mario Gomez.

Was wollen die Bayern anders machen als im Hinspiel? Nur eins: kein Gegentor kassieren. "Wenn wir so eine Leistung wie in München bringen, werden wir ins Finale einziehen", sagt Mario Gomez.

80 000 Zuschauer werden am Mittwoch im Bernabeu-Stadion in Madrid Lärm machen. Rummenigge nennt die Spielstätte "ein Monument" im internationalen Fußball. Damit die Fans ihre Mannschaft um Superstar Cristiano Ronaldo noch lauter als sonst unterstützen, richtete Real-Idol und Teamdirektor Zinedine Zidane per Videobotschaft auf der Internetseite des Vereins eine Ansprache an sie: "Ihr müsst dieses Spiel gewinnen!"

Die Bayern geben sich cool. Seine Mannschaft habe schon in so vielen großen Stadien gespielt, da lasse sich keiner von der Atmosphäre beeindrucken, sagt Kapitän Philipp Lahm. Geht es nach Trainer Heynckes, sollen seine Spieler Provokationen vermeiden - sich die südeuropäische Mentalität aber in gewissem Rahmen zu eigen machen: "Wir müssen 100, beziehungsweise 110 Prozent abliefern. Die letzten zehn Prozent sind Emotionen. Dann haben wir eine große Chance, ins Endspiel einzuziehen." Ist es ein Vorteil, dass die Bayern beim 2:1 gegen Werder Bremen am Wochenende in der Bundesliga ihre Leistungsträger schonen konnten? Und dass Real beim 2:1 gegen den FC Barcelona deutlich mehr gefordert war? Gomez glaubt, dass Madrids Spieler die schweren Beine nicht spüren werden. "In so einem Spiel bist du voll mit Adrenalin. Da willst du unbedingt ins Finale." Er ist sicher: "Es wird eine schöne, interessante, packende Partie."

Allein schon, weil in Mesut Özil und Sami Khedira zwei Deutsche im Real-Trikot ebenfalls vom Finale träumen. Mit dem "Clasico"-Sieg hat Real die Meisterschaft zu seinen Gunsten entschieden, Khedira schoss das 1:0, Gomez gratulierte aus Deutschland. "Aber am Mittwochabend sind wir wieder Gegner", so der Bayern-Stürmer.

Heynckes wird seinen Spielern sagen, dass sie in Madrid nicht zu defensiv spielen dürfen. Konsequent kontern, das könnte der Schlüssel sein. "Wir werden nicht auf 0:0 spielen, weil wir das gar nicht können. Auch im Bernabeu werden wir unsere Chance kriegen", so Gomez.

Mannschaft und Klubführung glauben, den Traum wahr werden zu lassen, das große Ziel erreichen zu können. Weil ein Heimsieg im Hinspiel mit einem Tor Differenz in zwei Dritteln aller internationalen K.-o.-Duelle zum Einzug in die nächste Runde gereicht hat. Und weil Franck Ribéry und Arjen Robben dem Erfolg offenbar auch ihre persönlichen Differenzen unterordnen. Ribéry hatte Robben in der Halbzeitpause des Hinspiels wegen Diskussionen um einen Freistoß handgreiflich attackiert. Ribéry entschuldigte sich, und Kapitän Lahm betont, dass die Spieler das unter sich geregelt haben. "Die Sache ist gegessen."

Stellen Sie sich vor, Robben passt heute in der 90. Minute auf Ribéry, und der schießt den Sieg- oder Ausgleichstreffer! Was wäre dann los! Für jeden Sportfilm wäre es zu kitschig, im Fußball passiert so etwas. Bayern-Sportdirektor Christian Nerlinger hält alles für möglich. Sein Klub benötige keinen Spieler von Real, der FC Bayern sei auf Augenhöhe mit Madrid. "Sie werden im Bernabeu noch aggressiver zu Werke gehen. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Das wird ein heißer Tanz, eine große Champions-League-Nacht." Sollten die Bayern weiterkommen, wäre es sogar eine historische.

Real Madrid: Casillas - Arbeloa, Pepe, Sergio Ramos, Coentrão - Khedira, Xabi Alonso - di Maria, Özil, Cristiano Ronaldo - Benzema, FC Bayern München: Neuer - Lahm, Boateng, Badstuber, Alaba - Luiz Gustavo, Schweinsteiger - Robben, Kroos, Ribéry - Gomez, Schiedsrichter: Kassai (Ungarn)