Der Stürmer vom VfB Stuttgart spricht im Interview mit dem Abendblatt über Deutschland, die Sprache, Pünktlichkeit und seinen Glauben.

Frankfurt. 1981 kam Claudio Jeronimo Barretto in Santo André in Brasilien zur Welt. In einer Familie, die wie Tausende andere unter der Armutsgrenze lebten. Den Namen Cacau gab er sich als Kind selbst, weil er Claudio nicht richtig aussprechen konnte. An diesem Sonntag sitzt Cacau im Flieger, der die deutsche Nationalmannschaft zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Südafrika bringt. Im Kollegenkreis wird er schon mal "Helmut" gerufen. Den neuen Spitznamen hat ihm Ludovic Magnin nach seinen ersten Einsätzen beim DFB verpasst. Höchste Zeit für ein Gespräch mit "Helmut Cacau" über Deutschland.

Abendblatt: Cacau, erinnern Sie sich noch an Ihren Einbürgerungstest Ende 2008? Quizfrage: Wer war der erste deutsche Bundeskanzler?

Cacau: Oh, jetzt bringen Sie mich aber in die Bredouille. Die Frage kam damals wirklich dran, und ich habe sie auch richtig beantwortet.

Aden…

Konrad Adenauer! Den wollte ich gerade nennen, hatte aber ein bisschen Angst vor einer falschen Antwort.

War der Test schwer?

Eigentlich nicht. Wenn man die 300 Fragen zweimal gelesen hatte, wusste man, worum es geht.

Erinnern Sie sich noch, was Ihr Vetter, der sie 2000 nach Deutschland brachte, vorher von ihrer künftigen Heimat erzählt?

Er war ein Vorbild für Integration, beherrschte die die Sprache perfekt und kannte die Kultur. Ich nahm von ihm die wichtige Erkenntnis mit: Wenn du die Sprache lernst und offen bist, hast du hier alle Chancen, dich durchzusetzen. Mit dieser Einstellung bin ich nach Deutschland geflogen und an die Dinge des alltäglichen Lebens herangegangen.

Haben Sie selbst einmal Fremdenfeindlichkeit erlebt?

Nein, ich hatte in Deutschland nie ein Problem, obwohl ich von einigen Leuten vorher gewarnt worden bin: Pass auf mit Rassismus. Ich habe eigentlich das Gegenteil erlebt, nämlich, dass mich die Leute super aufgenommen und mit einem Lachen im Gesicht empfangen haben, vor allem, wenn sie gehört haben: Der spielt als Brasilianer in einem türkischen Verein (Türk Gücu, 5. Liga, d. Red.).

Wie klingt unsere Sprache für einen Brasilianer?

Sehr hart. Sehr schwer zu lernen. Ich habe sehr lange gebraucht.

Wie lange?

Anfangs ging es ziemlich schnell, weil es in München in meiner Mannschaft niemanden gab, der für mich übersetzen konnte. Alles, was ich zuhause lernte, musste ich sofort umsetzen. Aber bis ich wirklich gut kommunizieren konnte, benötigte ich zwei Jahre. Mein Fehler war es, nicht in einer Sprachschule gegangen zu sein. Obwohl, eigentlich war es gar kein Fehler, weil ich finanziell nicht die Möglichkeiten hatte, einen Kurs zu besuchen.

Und dann noch die Dialekte: Bayrisch in München, fränkisch in Nürnberg und jetzt schwäbisch in Stuttgart…

…ich beherrsche alles (lacht)!

Haben Sie ein Lieblingswort?

Im Schwabenland sagt man immer: Was denkscht? Klingt fast wie portugiesisch, oder?

Wie deutsch sind Sie inzwischen?

Sie werden lachen: Wenn ich jetzt in Brasilien bin, klagt man: Du bist zu deutsch! Zum Beispiel, was Pünktlichkeit betrifft, obwohl ich schon immer dazu tendierte. Ich kam früher auch nie 40 Minuten zu spät zu einer Verabredung. Sondern nur 20.

Und jetzt?

In Deutschland habe ich weiter an der Pünktlichkeit gearbeitet. Inzwischen ärgere ich mich richtig über das Verhältnis der Brasilianer zur Zeit. Soll ich ein Beispiel geben?

Bitte sehr.

Einmal hatte ich einen Termin um 16 Uhr mit einem Steuerberater. Eine Stunde habe ich auf ihn gewartet, dann ruft er mich um 17 Uhr an und sagt, dass er es nicht geschafft hat, von Sao Paolo wegzukommen, dabei wusste er es schon viel früher, weil er zwei Stunden Fahrzeit gebraucht hätte. Das sind solche Sachen, die ich verinnerlicht habe. Auch was Ordnung angeht…

Brasilianer und ordentlich? Jetzt gehen Sie aber sehr weit.

Ich bin noch lange nicht am Ziel, aber auch in dieser Beziehung habe ich mich sehr verbessert.

Gibt es einen Deutschen, den Sie bewundern?

Jemanden zu benennen, fällt mir schwer. Aber ich hätte mich schon gefreut, in Südtirol mal Bundeskanzlerin Angela Merkel zu treffen. Schade, dass es nicht geklappt hat. Das ist eine Persönlichkeit, die ich gerne kennen lernen würde.

Apropos Bewunderung: Inwieweit haben Sie das neudeutsche Phänomen „Lena“ verfolgt?

Ich habe schon etwas davon mitbekommen. Sie machte auf mich den Eindruck, dass sie nicht unbedingt das Gleiche machen will wie alle anderen, ohne Starallüren, ohne sich in den Vordergrund zu drängen, Eher bescheiden. Deshalb habe ich mich auch ein bisschen mit ihr gefreut.

Gerade jüngere Fußballer verfallen ja gerne in den Starmodus.

Genau. Aber wenn wir kurz noch bei Lena bleiben: Ich hoffe, dass sie das alles verkraftet und auf dem Boden bleibt. Dann könnte Sie auch viel bewegen und erreichen.

Fühlen Sie, dass Sie auch viel bewegen können als gebürtiger Brasilianer im DFB-Trikot?

Inwiefern?

Dass Sie als Beispiel dienen für ein weltoffenes Deutschland, das bereit ist, Menschen mit ausländischen Wurzeln zu integrieren, sogar im Heiligtum, der deutschen Nationalmannschaft.

Unser Kader spiegelt im Grunde das moderne Deutschland wider mit den vielen Spielern ausländischer Herkunft. Ich sehe das sehr positiv. Deutschland ist für mich sowieso ein Land, das Ausländern viele Möglichkeiten bietet. In dieser Hinsicht möchte ich auf jeden Fall ein Vorbild gerade für Menschen sein, die das noch nicht unbedingt so sehen und hoffe, damit etwas bewegen zu können.

Wie sieht’s mit der Nationalhymne aus?

Die kenne ich und werde Sie immer sehr gerne vor dem Anpfiff mitsingen. Für mich ist das einer der emotionalsten Momente. Da zeigt man einfach diesen Stolz, Deutscher zu sein. Das war für mich von Anfang an klar, dass ich den Text lernen muss, um mitsingen zu können.

Gibt es etwas, was Sie überrascht hat an Deutschland?

Wissen Sie, Brasilianer sind spontan, flexibel. Die zeigen Emotionen, sie freuen sich sehr, sind aber genauso schnell tief enttäuscht. Aus dieser Warte kommt man schnell zu dem Schluss, dass die Deutschen kalt sind, was auch dem gängigen Bild entspricht. Aber wenn man sie kennt und mit ihnen lebt, erlebt man, dass sie genauso Emotionen zeigen können, wenn auch auf eine andere Art und Weise. Was mich auch sehr positiv überrascht hat ist, dass du dich auf die Deutschen, wenn sie dein Freund sind, verlassen kannst. Egal wann, Tag und Nacht.

Inwieweit beschäftigen Sie sich mit der deutschen Geschichte?

Alles zu wissen, ist schwer. Ich habe mir vor allem viele Filme mit historischen Themen angeschaut und interessiere mich auch für Aktuelles, um etwas Hintergrund zu erfahren, damit ich mitreden kann.

Sie Sind ja auch ein sehr gläubiger Mensch. Wie ist Ihre Meinung zur den jüngsten Ereignissen bei der katholischen Kirche?

Natürlich habe ich das mitbekommen, aber ich kann nicht wirklich sagen, dass ich enttäuscht bin. Der Glauben ist etwas, was man selbst erleben muss. Man sollte sich weder zu sehr an einer Institution festhalten noch zu stark von Einzelfällen verallgemeinern. Für mich gilt der Grundsatz: Wenn wir auf Menschen schauen und vertrauen, werden wir enttäuscht sein. Das habe ich selbst allzu oft erlebt. Wenn wir aber auf Jesus schauen, wird man nicht enttäuscht sein, sondern seine Erfahrungen sammeln und mit allen Dingen besser umgehen können.

Wie leben Sie Ihren Glauben?

Wir haben eine internationale Gemeinde in Stuttgart, dort haben wir sonntags Gottesdienst. Ich würde uns als freie evangelische Gemeinde bezeichnen.

Werden Sie dort auch nach Ihrer Karriere in den Gottesdienst gehen?

Das ist noch nicht entschieden. Ich denke im Moment eher, dass wir in Deutschland bleiben werden. Meine Frau und ich fühlen uns hier sehr wohl, unsere Kinder wachsen hier auf. Das ist ein Punkt, den wir auf jeden Fall berücksichtigen werden.