Per Mertesacker spricht mit dem Hamburger Abendblatt über seine Rolle im Nationalteam und seinen künftigen Arsenal-Mitspieler Lukas Podolski.

Tourrettes. Per Mertesacker fällt auf. Im luxuriösen Wellnessbereich des Nationalmannschaftshotels Terre Blanche im südfranzösischen Tourrettes sind vor allem die neonroten Schuhe des baumlangen Innenverteidigers ein Hingucker. Im Gespräch mit dem Abendblatt geht es für ihn, der am Sonnabend in Basel gegen die Schweiz sein 80. Länderspiel bestreiten wird, aber zunächst um sportliche Themen.

Hamburger Abendblatt: Herr Mertesacker, die Vorbereitung gestaltet sich schwierig. Es ist kalt, es regnet, und erst am Sonntag trainiert das Team mit den Profis des FC Bayern komplett. Optimal ist das nicht, oder?

Per Mertesacker: Also, für mich läuft es optimal, da ich vom ersten Tag an dabei bin und nach meiner Verletzung (Knöchel, die Red.) viel nachzuholen habe.

Fürchten Sie, dass das verloren gegangene Champions-League-Finale der Bayern Auswirkungen auf die EM hat?

Mertesacker: Ich denke, man sollte sie erst mal in Ruhe lassen. Zudem muss sich zeigen, dass wir hier eine richtig gute Mannschaft mit Teamgeist zusammenhaben, die das auffangen kann. Da liegt auch einiges an uns.

Vor sechs Monaten haben Sie mal gesagt, wie hungrig die Mannschaft auf einen Titel ist. Spüren Sie dieses Gefühl noch?

Mertesacker: Ja. Niemand lässt sich hängen. Die junge Generation bei uns bringt einen großen Ehrgeiz mit. Und die Älteren haben schon bei vergangenen Turnieren gespürt, dass mit dieser Mannschaft Großes möglich ist. Aber am Ende hat immer etwas gefehlt.

Wie realistisch ist es denn, dass Deutschland diesmal den Titel gewinnt?

Mertesacker: Wir wissen aus Erfahrung, dass die Gruppenphase die Basis für den Erfolg ist. Ein Vorteil ist, dass wir im Vergleich zu den letzten Turnieren auf fast jeder Position doppelt gut besetzt sind. Aber das Team hat sich in dieser Zusammensetzung noch nicht bewiesen. Deshalb kann man auch noch nicht davon sprechen, dass es das beste deutsche Team aller Zeiten ist.

Aber das Niveau hat sich verändert oder?

Mertesacker: Absolut. Das wird sich auch bei der Entscheidung zeigen, welche vier Spieler das Team vor der EM noch verlassen müssen. Die wird hart.

Bei der EM 2008 und der WM 2010 waren Sie Deutschlands Abwehrchef. Nun waren Sie lange verletzt. Hat sich Ihre Rolle dadurch verändert?

Mertesacker: Natürlich bin ich gewillt, wieder eine feste Stütze zu sein. Aber grundsätzlich ist die Mannschaft so gut besetzt, dass jeder austauschbar ist. Man merkt und spürt das auch. Aber der Bundestrainer kann sich auf mich verlassen - und das weiß er auch. Da existiert ein Grundvertrauen, das über Jahre entstanden ist.

Sie spielen seit Sommer 2011 für den FC Arsenal. Wie fällt Ihr Fazit nach einem Jahr in England aus?

Mertesacker: Ich bin froh, dass ich den Schritt gegangen bin, um mich zu beweisen. Natürlich hat mich die Verletzung in der Rückrunde etwas zurückgeworfen. Aber ich denke, ich habe mir Respekt innerhalb der Mannschaft und bei den Fans verschafft. Insofern hat sich der Wechsel gelohnt.

Können Sie sich denn noch frei in der Stadt bewegen?

Mertesacker: In London gibt es ganz andere Prominente, die viel mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als ein Fußballer. Allerdings bin ich nicht oft im Zentrum, da ein Aufenthalt dort andere Dimensionen hat als etwa in Bremen oder Hannover. Das ist mir zu voll. Ich genieße es, außerhalb zu wohnen. Was nicht heißt, dass ich nicht am Sozialleben teilhabe. Ganz im Gegenteil, das ist auch wichtig für meine Familie, die daheim nicht nur auf mich warten soll.

Lukas Podolski, der Ihnen ja nach der EM zu Arsenal folgt, kann sich also auf London freuen?

Mertesacker: Er wird es genießen. Fußballerisch mache ich mir sowieso keine Gedanken. Er ist ein sehr kraftvoller und schneller Spieler, der einen wunderbaren Abschluss hat. Von seiner Stärke werden wir bei Arsenal profitieren. Für ihn persönlich wird es ein weiterer Schritt nach vorn. Ich werde versuchen, ihn zu unterstützen. Aber freischwimmen muss er sich allein.

Hat er das Zeug zum Fanliebling?

Mertesacker: Entscheidend wird sein, dass er von Beginn an offen und ehrlich zu den Menschen ist und schnell versucht, Englisch zu sprechen. Er muss ihnen das Gefühl geben, dass er bereit ist, auch ihre Kultur anzunehmen.

Podolski ist sehr extrovertiert, gilt aber auch als sensibler Spieler, dessen Seele man auch mal streichen muss. Ist Arsène Wenger ein Trainer, der darauf Rücksicht nimmt?

Mertesacker: Arsène Wenger ist bei Arsenal immer gefordert, weil wir viele gute Spieler haben, von denen einige vielleicht auch ein bisschen sensibel sind. Ich habe ihn im vergangenen Jahr als einen sehr angenehmen Trainer erlebt, der mich in vielen Dingen weitergebracht hat. So wird es Lukas auch erleben.

Also liegt es an ihm, dass ihn die Anhänger schnell in ihr Herz schließen.

Mertesacker: Ja. Aber wenn ich das schon ein bisschen geschafft habe, kann er das erst recht.

Abendblatt-Redakteur Kai Schiller schreibt täglich aus Südfrankreich einen Brief an Hamburg www.abendblatt.de/schillersbriefe