Hamburg. Das Abendblatt begleitet vier Hamburger Aktive. In Teil neun schildern sie ihre Eindrücke und die Vorfreude auf die Wettkämpfe.

Warten und Bangen sollen an diesem Freitag ihr Ende finden. In Tokio werden die Sommerspiele der 32. Olympiade eröffnet; ein Jahr später als vorgesehen, der Grund dafür ist allseits bekannt. Das Abendblatt begleitet seit Januar 2020 vier Sportlerinnen und Sportler auf ihrem Weg nach Japan.

Drei von ihnen sind am Ziel der harten Arbeit von fünf Jahren angelangt und bekommen die Chance, die Mühen mit einer Medaille zu veredeln. Eine dagegen beobachtet das Geschehen aus Deutschland. Wie es den Protagonisten wenige Tage vor dem Startschuss geht, welche Emotionen sie bewegen und was sie sich erwarten, davon erzählen sie in Teil neun der Serie.

Torben Johannesen Rudern

Als er im olympischen Dorf seine Akkreditierung bekam, die ihn als offiziellen Teilnehmer der Sommerspiele in Tokio ausweist, da wusste Torben Johannesen, wofür sich die Arbeit der vergangenen Jahre gelohnt hat. „Das sind die Momente, in denen dieses Olympiagefühl so richtig durchkommt. Die Momente, in denen einem bewusst wird, dass es jetzt wirklich losgeht und man Teil von etwas Großem ist“, sagt der 26-Jährige.

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Am Sonntagmorgen um 11 Uhr Ortszeit, was in Hamburg 4 Uhr morgens entspricht, steht für den Deutschland-Achter, dem Torben Johannesen seit 2017 angehört, der Vorlauf gegen Australien, Rumänien und die USA auf dem Programm. Nichts anderes als der Sieg und die damit verbundene direkte Qualifikation für das Finale am 30. Juli ist das Ziel für das Paradeboot des Deutschen Ruder-Verbands, das als Goldkandidat in den Wettbewerb geht. „Eine Medaille ist das Minimalziel, natürlich wollen wir Gold“, sagt der Hamburger, der für den RC Favorite Hammonia startet.

Seit Ende Juni ist das zehnköpfige Männer-Riementeam in Japan. 16 Tage lang bereitete man sich im Trainingslager in Kinosaki vor, was vor allem der Gewöhnung an Zeitumstellung und Klima diente. Sieben Tage habe es gedauert, den Körper auf den neuen Biorhythmus einzustellen, sagt der Lehramtsstudent.

„Besonders hart war es, mit Jetlag in zwei bis drei Einheiten am Tag körperliche Höchstleistung abzurufen.“ Am vergangenen Sonnabend ging es per Bus zwölf Stunden nach Tokio ins olympische Dorf, am Sonntag stand auf dem Sea Forest Waterway, der olympischen Regattastrecke, die erste Trainingseinheit an. „Alles macht einen sehr guten Eindruck. Wir sind bereit und heiß darauf, endlich loszulegen“, sagt er.

Weil das schwülheiße Klima mit Luftfeuchtigkeit von bis zu 98 Prozent den Organismus zusätzlich belastet, musste die Mannschaft eine Trinkroutine erlernen. „Drei bis vier Liter Wasser plus ein Liter Elektrolytgetränke sind Pflicht, um das starke Schwitzen zu kompensieren.

So eine Menge muss der Körper erst einmal lernen aufzunehmen“, sagt er. Besondere Vorsicht ist auch geboten, da die Innenanlagen, also das Hotel, das Dorf und das Trainingszentrum, klimatisiert sind. Bei Temperaturunterschieden von rund 20 Grad ist die Gefahr von Erkältungen hoch. „Deshalb trage ich immer ein Cap, um die dauerhaft nassen Haare zu bedecken und mich zudem vor der Sonne zu schützen, und habe stets einen Satz trockene Kleidung dabei“, sagt Johannesen.

Als Einziger des Abendblatt-Quartetts hat er bereits olympische Erfahrung, war 2016 als Ersatzmann in Rio de Janeiro dabei. Das, was in Japan geboten werde, sei mindestens eine Klasse höher anzusiedeln. „Es ist alles bestens organisiert. Die Japaner sind extrem freundlich und bemüht, alles möglich zu machen“, sagt er.

Das Essen im Dorf biete für jeden Geschmack Alternativen, Sushi zum Frühstück müsse nur der essen, der das auch wolle. Sein Vierer-Apartment teilt Johannesen mit Johannes Weißenfeld (26/Herdecke), Laurits Follert (25/Krefeld) und Olaf Roggensack (24/Berlin). Besonders gut gefällt ihm die Hightech-Toilette inklusive beheizbarer Brille und Föhn, für die das Gastgeberland berühmt ist. „Wobei man die Heizung gerade nicht wirklich braucht…“

Was sie jetzt noch brauchen, die deutschen Ruderer, sind die täglichen Einheiten auf dem Wasser um 7.30 und 14 Uhr, ein bisschen Ablenkung für den Kopf durch erlaubte Spaziergänge in den Park- und Promenadenanlagen des Dorfes und gemeinsame Brettspiele am Abend – und das nötige Quäntchen Glück, um das große Ziel zu erreichen. Auf den Besuch der Eröffnungsfeier verzichten sie auch aus Sorge, sich in einer größeren Menschenansammlung einer Infektionsgefahr auszusetzen. Die täglichen PCR-Tests und die Maskenpflicht lassen Torben Johannesen, der im vergangenen Jahr eine Corona-Infektion überstanden hat, sorgenfrei an den Start gehen. „Die Vorfreude, dass es tatsächlich losgeht, überlagert bei mir die Anspannung. Ich bin bereit!“

Amelie Wortmann Hockey

Richtig glauben, dass sie tatsächlich ihre ersten Olympischen Spiele erleben darf, kann Amelie Wortmann noch immer nicht. Am vergangenen Freitagabend, als sie neben ihrer Freundin Lena Micheel, mit der sie beim Uhlenhorster HC gemeinsam in der Bundesliga spielt und im olympischen Dorf auch das Zimmer teilt, in der Business Class des Lufthansa-Fliegers nach Tokio Platz nahm, brach sich zwar ein Gefühl der Euphorie Bahn.

„Da saßen wir nebeneinander und konnten beide kaum glauben, dass es wirklich losgeht“, sagt die 24-Jährige. Dennoch werde wohl erst der Anpfiff zur ersten Gruppenpartie gegen Rio-Olympiasieger Großbritannien am Sonntagmorgen (2.30 Uhr MEZ) die letzten Restzweifel hinwegfegen.

Pure Vorfreude, das ist das Gefühl, das Amelie Wortmanns Gemütszustand am besten trifft. Und natürlich hat auch die Psychologiestudentin bei ihrer Premiere im Zeichen der fünf Ringe mit der Reizüberflutung zu kämpfen, die alle Aktiven beschreiben, die zum ersten Mal Olympische Spiele erleben.

„Allein schon diese riesige Mensa, die rund um die Uhr geöffnet hat und wo es wirklich alles gibt, was man sich zu essen wünscht, ist ein unglaubliches Erlebnis“, sagt sie. Die Lacher der „Erfahrenen“ hatte die Hamburgerin auch schon auf ihrer Seite, als sie ungläubig fragte, ob man die im Dorf überall bereitstehenden Getränkeautomaten wirklich nutzen dürfe, ohne dafür bezahlen zu müssen. Darf man. Kann man aber nicht wissen, wenn man noch nie bei Olympia war.

Umso wichtiger also, dass die ersten beiden Tage im Dorf, wo das Team am Sonnabend eingetroffen war, als „Touristentage“ ausgeschrieben waren. „Ich habe ganz viele Fotos gemacht und mir alles angeschaut“, sagt die Mittelfeldspielerin, die auch die Kontaktaufnahme zu Sportlerinnen und Sportlern anderer Disziplinen und Nationen als nicht so schwierig wie befürchtet erlebt.

„Natürlich ist das mit Maske und Abstand etwas komplizierter, aber ich finde es trotzdem total cool, die vielen verschiedenen Nationalitäten an einem Ort zu sehen“, sagt sie. Die täglichen Corona-Spucktests und die Nachverfolgung mittels einer App vermitteln ihr außerdem ein Gefühl der Sicherheit.

Mit zwei Testspielen am Dienstag und Mittwoch gegen Argentinien und Neuseeland wurde die letzte Phase der Vorbereitung auf das olympische Turnier eingeleitet. Das extrem heiße, aber nicht mehr ganz so schwüle Wetter macht dem Team körperlich noch zu schaffen. Mit der Zeitumstellung hatte Amelie Wortmann glücklicherweise gar keine Probleme, „ich kann immer gut schlafen und bin auch mit einem tiefen Schlaf gesegnet“, sagt sie.

Um das Teamgefühl noch etwas zu verstärken und in der Isolation des Dorfes eine zusätzliche Beschäftigung zu haben, haben die deutschen Hockeydamen die Aufgabe bekommen, ein großes Mannschaftsfoto aus 2000 Teilen zusammenzupuzzlen. Bis zum Sonntag sollte das geschafft sein, und dann kann er beginnen, der Kampf um eine Medaille.

Julius Thole Beachvolleyball

Auch Julius Thole startet am Sonntag in seine Medaillenmission. An der Seite von Clemens Wickler (26) muss der 24-Jährige sich zum Auftakt der Gruppenphase um 20 Uhr Ortszeit (13 Uhr MEZ) gegen Paolo Nicolai und Daniele Lupo behaupten. Die Italiener gewannen 2016 in Rio olympisches Silber und haben deutlich mehr Erfahrung als die Vizeweltmeister vom Eimsbütteler TV. „Aber ich finde, es ist ein schönes Auftaktmatch, man muss gleich voll da sein und weiß direkt, wo man steht“, sagt Julius Thole.

Diese Standortbestimmung wird vor allem deshalb wichtig sein, weil das einzige für Tokio qualifizierte deutsche Männerduo in dieser Saison kaum gemeinsame Wettkämpfe bestreiten konnte. Zunächst fiel Abwehrspezialist Wickler wegen einer Blinddarmoperation wochenlang aus, dann musste Thole wegen einer Bänderverletzung im Sprunggelenk des linken Fußes mehrere Wochen passen. Jetzt sind beide fit, und die ersten Trainingseinheiten in Tokio, wo sie am Montagmittag gelandet waren, deuteten darauf hin, dass mit dem Hamburger Topteam gerechnet werden muss.

Sollte es nichts werden mit der erhofften Medaille, dann kann zumindest die Unterbringung im Athletendorf nicht als Ausrede angeführt werden. „Wir hatten richtig Glück mit unserem Zimmer, haben von unserem Balkon aus einen überragenden Blick auf Tokio und das Meer“, sagt der Jurastudent. Zudem hat jeder ein Doppelzimmer für sich allein. Für einen 2,06 Meter langen Athleten wie Julius Thole ist ein wenig mehr Platz allerdings tatsächlich ein Geschenk.

Gefreut hat er sich über die Aufmerksamkeit der japanischen Gastgeber, die ihm direkt eine Bettverlängerung zur Verfügung stellten – in Form eines Kartons, der das aus gepresster Pappe gefertigte Bettgestell stilecht ergänzt. „Besonders begeistert bin ich von der Matratze, die aus drei Teilen besteht, die man wenden und damit den Härtegrad verändern kann“, sagt er. Und das ist wichtig, damit die Nachtruhe erholsam ist und der Jetlag schnell überwunden werden kann.

Im olympischen Dorf können Thole/Wickler auf Komplettbetreuung bauen. Ihr Trainer Martin Olejnak ist ebenso vor Ort wie Sportpsychologin Anett Szigeti, Teamarzt Michael Tank und Physiotherapeut Ekkehard Schurig. Und natürlich versucht auch Julius Thole, bei seiner ersten Olympiateilnahme auf Spaziergängen durchs Dorf und beim Essen in der Mensa so viele Eindrücke wie möglich aufzusaugen, bevor es zu den Trainingseinheiten im rund 20 Busminuten entfernten Shiokaze-Park, die zeitlich von Tag zu Tag variieren, in den Sand geht. „Tourist zu sein gehört dazu. Aber der Fokus liegt jetzt ganz klar auf der sportlichen Vorbereitung“, sagt er. Es wird ein langer, harter Ritt werden. Aber Thole/Wickler haben schon mehrfach bewiesen, dass sie sich durchbeißen können, wenn es zählt.

Julia Mrozinski Schwimmen

Die Zähne zusammenbeißen, das war für Julia Mrozinski in den vergangenen Tagen fast unmöglich. Alle vier Weisheitszähne hat sich die Freistilspezialistin von der SGS Hamburg entfernen lassen, dazu musste der Oberkiefer aufgebrochen werden. Klingt hässlich – und war auch nur deshalb möglich, weil die 21-Jährige die Tokio-Spiele als Zuschauerin aus der Heimat erleben wird. Erleben muss, könnte man auch sagen, denn ihr Lebenstraum war Mitte April bei der nationalen Olympiaqualifikation im Becken der Berliner Europa-Schwimmhalle untergegangen.

Mit dem Abstand von nun drei Monaten hat sich Julia Mrozinski mit der Gewissheit arrangiert, bis zur nächsten Chance 2024 in Paris drei Jahre warten zu müssen. „Drei Wochen lang tat es sehr weh, aber ich bin kein Mensch, der allzu lang mit Dingen hadert, die nicht mehr zu ändern sind, deshalb schaue ich positiv nach vorn.

Momentan geht es mir gut“, sagt sie. Wie hoch die Achterbahn ist, auf der ihre Gefühle während der kommenden Wochen herumrasen, kann sie allerdings nicht abschätzen. „Ich verfolge nicht alles, was derzeit in Tokio passiert. Ich bekomme das mit, was man eben so hört. Aber ich kann noch nicht sagen, was ich mir von Olympia im Fernsehen anschauen werde“, sagt sie.

Ganz sicher wird sie live dabei sein, wenn ihre Freundin und Trainingskollegin Hannah Küchler (19), die sich an ihrer Stelle für die 4x100-Meter-Freistilstaffel qualifizierte, an den Start geht. „Mit Hannah schreibe ich mir regelmäßig, dadurch weiß ich auch, was im deutschen Schwimmteam so los ist. Ihr wünsche ich am meisten den Erfolg, aber ich hoffe, dass alle Teilnehmenden ihre Ziele erreichen“, sagt sie.

Sie selbst hat nach einem Trainingslager auf Teneriffa im Juni entschieden, eine fünfeinhalbwöchige Sportpause einzulegen. Kein Schwimmen, aber auch sonst nichts, was Leistungssportlerinnen im Alltag tun müssen. „Seit ich als Kind mit dem Schwimmen angefangen habe, gab es nie eine solch lange Phase ohne Training für mich. Ich merke aber, dass mir das sehr guttut, vor allem für den Kopf“, sagt sie. Normalerweise gibt es im Sommer zwei Wochen Urlaub, dann geht es zurück in die Mühle. „Ich mache jetzt Pause von den fünf Jahren Olympiazyklus“, sagt sie.

Am 10. August, zwei Tage nach dem Ende der Spiele, fliegt Julia Mrozinski in die USA, wo sie in Tennessee studieren und trainieren wird. Die Wunden, ob im Mund oder auf der Seele, werden dann verheilt sein, ihr Blick richtet sich nach Paris. Ihr Lebenstraum, er ist schließlich nur aufgeschoben.