Hamburg. Abendblatt begleitet Hamburger Olympiakandidaten auf ihrem Weg nach Tokio. Quartett schildert Rückkehr in Sportbetrieb.

Sich im Training zu quälen, die Grenzen der körperlichen Leistungsfähigkeit zu erreichen und manchmal sogar zu überschreiten, das funktioniert auf Dauer nur, wenn es ein Ziel gibt, auf das es sich hinzuarbeiten lohnt. Seit die Corona-Pandemie über die Welt kam und sogar für die Verschiebung des größten Sportereignisses der Welt sorgte, war dieses Ziel Athletinnen und Athleten auf dem gesamten Globus abhandengekommen. Auch die vier Hamburger Olympiakandidaten, die das Abendblatt seit Januar in einer Serie bis zu den auf 23. Juli bis 8. August 2021 verlegten Sommerspielen in Japans Hauptstadt Tokio begleitet, haben Monate der Ungewissheit hinter sich.

Obwohl die Infektionszahlen wieder ansteigen, hat der Leistungssport mittlerweile Wege gefunden, den Wettkampfbetrieb schrittweise neu aufzunehmen. Im vierten Teil der Serie geht es deshalb um die Frage, wie der Wiedereinstieg gelingen kann oder bereits gelungen ist, wie sich die Sportlerinnen und Sportler darauf vorbereiten und was es für sie bedeutet, ihrem aktuell wichtigsten Lebensinhalt wieder nachgehen zu können.

Julia Mrozinski Schwimmen

Schwimmerin Julia Mrozinski
Schwimmerin Julia Mrozinski © Witters

Lebensinhalt? Julia Mrozinski hat über die Frage, welche Rolle ihr Sport für ihr Leben spielt, in den vergangenen Monaten viel nachgedacht. Natürlich ist da dieser Traum, dem die 20-Jährige nachhängt, seit sie vor 15 Jahren Wasser als ihr Element entdeckte. „Es einmal zu Olympia zu schaffen ist mein Ansporn“, sagt sie, „dafür nehme ich all die Arbeit auf mich.“ Dennoch gab es Phasen, in denen sie spürte, dass Schwimmen wahrlich nicht alles ist, was in ihrem Leben zählen sollte. „Immer wenn ich mitbekommen habe, wie hart die Pandemie viele Menschen getroffen hat und wie gut es uns hier in Deutschland im Vergleich geht, dann habe ich viel über Themen wie Gesundheit und Zufriedenheit nachgedacht.“

Gleichzeitig habe sie zwei andere, wichtige Überzeugungen gewonnen. „Zum einen, dass es kein Thema für mich ist, in einer Krise einfach aufzugeben. Das Ziel Olympia bleibt, und ich glaube, dass ich in dieser Phase gelernt habe, noch mehr dafür tun zu wollen, um es zu erreichen.“ Zum anderen, dass Sport ohne ein funktionierendes Team selbst dann unmöglich ist, wenn man bewusst den Weg des Einzelsportlers gewählt hat. „Im Wasser bin ich allein, aber ohne die Menschen, mit denen ich täglich zu tun habe, würde ich das alles nicht schaffen“, sagt sie. Insbesondere zu ihrer Trainingspartnerin Hannah Küchler (18) habe sich das Verhältnis noch einmal intensiviert. „Indem wir uns gemeinsam durchbeißen, profitieren wir sportlich und menschlich voneinander.“

Die Rückkehr in den Alltag manifestiert sich für die angehende Abiturientin nicht nur darin, dass sie an der Eliteschule des Sports am Alten Teichweg seit dem Ende der Sommerferien wieder zum täglichen Präsenzunterricht antreten darf. Sondern vor allem darin, dass der erste Wettkampf seit Februar endlich terminiert ist. Die deutschen Meisterschaften sollen Ende Oktober in Berlin stattfinden. Auch wenn angesichts der steigenden Zahlen die Skepsis weiterhin mitschwimmt, freut sich die Freistilspezialistin der SGS Hamburg riesig auf den Leistungsvergleich. „Und darauf, die Kolleginnen und Kollegen aus dem Nationalteam wiederzusehen!“

Ihren aktuellen Leistungsstand einzuschätzen fällt Julia Mrozinski schwer. In den vergangenen Monaten wurde im Training viel Wert auf Athletik und Technik gelegt, aber weniger Strecke gemacht, um das Immunsystem nicht über Gebühr zusätzlich zu belasten. „Ich glaube, dass meine Fitness gut ist, aber natürlich fehlt die Wettkampfhärte“, sagt sie. Darauf müsse nun in den kommenden Wochen, die die Trainingsgruppe von Cheftrainer Veith Sieber komplett am Hamburger Olympiastützpunkt (OSP) absolvieren wird, hingearbeitet werden. Höchstleistung dürfe in Berlin dennoch niemand erwarten. Die ist erst im Frühjahr 2021 gefragt, wenn im internationalen Vergleich die Qualifikation für Tokio geschafft werden muss.

Julius Thole Beachvolleyball

Beachvolleyballer Julius Thole.
Beachvolleyballer Julius Thole. © Andreas Laible

Dass er doppelt privilegiert ist, weiß Julius Thole durchaus zu schätzen. Nicht nur, dass er als Vizeweltmeister des vergangenen Jahres seinen Platz im Beachvolleyballturnier von Tokio an der Seite seines Teampartners Clemens Wickler (25) bereits sicher hat, lässt den Jurastudenten vom Eimsbütteler TV die Olympiaverschiebung ruhiger akzeptieren. Er ist zudem der Einzige aus dem Abendblatt-Quartett, der die Rückkehr in den Spielbetrieb bereits erlebt hat. „Ich bin sehr dankbar dafür, dass unser Sport so schnell zurückgekehrt ist. Auch wenn es ohne Zuschauer ungewohnt ist, genieße ich es sehr, wieder spielen und die Spannung entladen zu können, die sich im Training aufbaut“, sagt er.

Vor vier Wochen konnten Thole/Wickler auf der Turnierserie in Düsseldorf ihren ersten gemeinsamen Wettkampf der Saison 2020 bestreiten. Rang drei war dafür ein akzeptables Resultat. Zwei Wochen später setzte Abwehrspezialist Wickler wegen einer Kapselzerrung an der Großzehe aus, was Julius Thole die Chance eröffnete, mit dem niederländischen Weltklassemann Alexander Brouwer (30) anzutreten – und am Ende sogar das Turnier zu gewinnen. „Ich war selbst gespannt darauf, wie es gelingen kann, sich so kurzfristig auf einen neuen Partner einzustellen“, sagt der 2,06-Meter-Hüne, „dafür ist es sehr gut gelaufen!“

Man habe die Spielanlage in vielerlei Hinsicht vereinfacht und sich darauf konzentriert, die eigenen Stärken zur Geltung zu bringen, um den neuen Mitspieler bestmöglich zu unterstützen. „Wir haben mit zwei Zuspiel- und drei bis vier Blockabwehr-Kombinationen gearbeitet. Mit Clemens habe ich acht bis zwölf Zuspiel- und 15 bis 20 Abwehrkombinationen. Aber mit guter Dynamik und klarer Kommunikation haben wir uns schnell aufeinander einstellen können“, sagt Thole, der das vergangene freie Wochenende nutzte, um innerhalb Hamburgs aus einer WG in eine eigene Wohnung umzuziehen.

AKK: Gibt es eine zweite Corona-Welle?

AKK: Gibt es eine zweite Corona-Welle?

weitere Videos

    An diesem Wochenende, wenn von Freitag bis Sonntag am OSP in Dulsberg die Generalprobe für die deutschen Meisterschaften in Timmendorfer Strand (3. bis 6. September) ansteht, gehen Thole/Wickler wieder gemeinsam ans Netz. Das Ergebnis steht nicht im Vordergrund, zumal beide ihren Krafttrainingsblock über das Turnier hinweg durchziehen, da der Aufbau auf die Saisonhöhepunkte – die DM in Timmendorf und die Europameisterschaften im lettischen Jurmala (16. bis 20. September) – ausgerichtet ist. „Trotzdem wollen wir jedes Spiel gewinnen, zumal das Turnier in unserer Heimat stattfindet“, sagt Julius Thole.

    Siege sind schließlich die beste Bestätigung dafür, dass die im Training geleistete Arbeit zielgerichtet war. Wobei Thole, der in der Corona-Pause insbesondere seine körperliche Stabilität zu optimieren versucht hatte, den entsprechenden Nachweis bereits vor zwei Wochen in Düsseldorf erbracht hatte. „Sechs Spiele an drei Tagen bei 40 Grad, und ich war körperlich trotzdem gut drauf. Da wusste ich, dass wir einiges richtig gemacht haben.“ Die Vorbereitung auf DM und EM soll weitestgehend in Hamburg erfolgen, zwischen den beiden Turnieren spielen Thole/Wickler bei „King of the Court“ im niederländischen Utrecht (9. bis 12. September). „Wenn das alles verläuft wie erhofft, dann kann man sagen, dass die Corona-Saison 2020 definitiv keine verlorene war“, sagt er.

    Amelie Wortmann Hockey

    Hockeyspielerin Amelie Wortmann
    Hockeyspielerin Amelie Wortmann © Andreas Laible

    Am Wochenende, an dem im Beachvolleyball die nationalen Titel vergeben werden, sollen Deutschlands beste Hockeyspielerinnen und -spieler in die Feldbundesliga starten. Amelie Wortmann freut sich darauf, auch wenn sie noch immer nicht ganz glauben kann, dass das alles auch so funktionieren wird wie geplant. Die Reise zum traditionellen Vorbereitungsturnier in Worms, das von diesem Freitag bis Sonntag stattfindet, hat der Uhlenhorster HC, für den sie im Mittelfeld das Spiel lenkt, abgesagt. „Wir haben gemeinsam beschlossen, dass wir nicht unbedingt notwendige Reisen aktuell nicht machen wollen, um Risiken zu vermeiden“, sagt die 23-Jährige.

    Unbedingt notwendig war hingegen die Reise, von der Amelie Wortmann am Mittwoch nach Hamburg zurückgekehrt ist. Zehn Tage lang hatte sie in Begleitung ihrer beiden Geschwister im Haus der Großeltern an der portugiesischen Algarve ausgespannt.

    „Nach den Monaten der Ungewissheit, die vor allem mental zehrend waren, tat diese Auszeit unheimlich gut“, sagt sie. Mit Blick auf den vorläufigen Terminkalender des Jahres 2021, der der Nationalspielerin kaum Pausen genehmigen wird, habe sie bewusst versucht, den Urlaub zu nutzen, um vor allem den Geist zu erfrischen. Körperlich fühlt sich die Psychologiestudentin, die auch in Portugal ihre Laufeinheiten und Stabilitätsübungen zur Verletzungsprophylaxe absolvierte, in guter Form.

    Warum das so ist, kann sie sogar mit Leistungsparametern untermauern. Vor 14 Tagen war Tillmann Bockhorst, Athletiktrainer des Deutschen Hockey-Bundes, nach Hamburg gereist, um mit den Kaderspielerinnen am OSP den obligatorischen Fitnesstest durchzuführen. „Er war sehr stolz auf uns, dass wir so gut gearbeitet haben. Es war nicht unbedingt abzusehen, dass die Ergebnisse so positiv ausfallen würden“, sagt sie. Dennoch sei allen klar, dass die notwendige Wettkampfhärte bis zum geplanten Bundesligastart noch nicht wieder aufgebaut werden kann.

    „Ich glaube zwar, dass wir alle relativ schnell wieder in den Rhythmus kommen werden. Aber die hockeyspezifischen Anforderungen sind doch so speziell, dass es einige Wochen dauern wird, bis wir auf einem Niveau spielen, mit dem wir zufrieden sein können“, sagt sie. Allzu viel Zeit bleibt den für Tokio seit November 2019 qualifizierten Auswahlspielerinnen allerdings nicht, um in Form zu kommen, schließlich steht Ende September in Düsseldorf gegen Belgien das erste Pro-League-Spiel der Saison 2020 an.

    Dem internationalen Kräftemessen sieht Amelie Wortmann im Übrigen nicht skeptischer entgegen als dem Bundesligastart. „Wenn die Reisen genehmigt werden, vertraue ich darauf, dass alles sicher ist“, sagt sie. Den Umgang mit Hygienekonzepten aller Art haben sie und die gesamte Sportwelt schließlich zur Genüge eingeübt seit März.

    Lesen Sie hier den dritten Teil der Serie

    Lesen Sie hier den zweiten Teil der Serie

    Lesen Sie hier den ersten Teil der Serie

    Torben JohannesenRudern

    Ruderer Torben Johannesen
    Ruderer Torben Johannesen © Andreas Laible

    Die Reise nach Posen wird aus dem Deutschland-Achter ebenfalls niemand scheuen. „Wir sind alle extrem motiviert, Wettkämpfe zu fahren. Alle wollen endlich das umsetzen, was wir seit Monaten trainieren, und zeigen, was wir draufhaben“, sagt Torben Johannesen. Der 25-Jährige vom RC Favorite Hammonia ist der einzige Hamburger im Aufgebot des Paradebootes im Deutschen Ruder-Verband, das sich die Startberechtigung für Tokio bei der WM im August 2019 in Linz (Österreich) erkämpft hatte. Vom 9. bis 11. Oktober soll mit der EM in Polen der erste und einzige internationale Wettkampf der Saison 2020 stattfinden. Und Johannesen kann kaum abwarten, diesen Leistungsvergleich in Angriff zu nehmen.

    Als extrem ehrgeiziger Mensch braucht der Lehramtsstudent (Physik und Sport) das Gefühl, sich mit anderen messen zu können. Dass er es in seinem Team mit acht weiteren Männern zu tun hat, die ähnlich gestrickt sind, habe ihm über die Phase des monatelangen Haderns hinweggeholfen. „Es hat lange gebraucht, bis ich die Olympiaverschiebung akzeptieren konnte. Mir hat es geholfen, dass sich im Training niemand hängen lassen hat. Wir haben uns immer gegenseitig gepusht, trotz fehlenden Ziels an die Leistungsgrenzen zu gehen. Wer das nicht getan hat, wer während Corona auf der faulen Haut gelegen hat, der wird dafür spätestens bei der EM bestraft werden“, sagt er.

    Die Vorbereitung auf die kontinentalen Titelkämpfe wird am Stützpunkt des männlichen Riemenbereichs in Dortmund stattfinden. Interne Vergleichsrennen mit dem Vierer sind geplant, ansonsten müssen sich die besten deutschen Ruderer selbst genügen. Nach der EM könnte noch das Langstreckenrennen auf dem Nord-Ostsee-Kanal (16. bis 18. Oktober) anstehen, dann beginnt die intensive Vorbereitung auf Olympia. „Eine Pause zum Runterfahren gibt es in diesem Jahr nicht, weil die EM ja eigentlich im Juni geplant war. Aber wir sind froh, wenigstens noch ein Ziel in dieser Saison zu haben“, sagt Johannesen.

    Noch ist unklar, auf welche Kontrahenten man auf dem Maltasee in Posen treffen wird. Großbritannien, Olympiasieger von 2016 in Rio de Janeiro, hat bereits abgesagt. Vizeweltmeister Niederlande will starten. „Letztlich ist es egal, gegen wen wir gewinnen. Wichtig ist, dass wir es ernst nehmen und das Beste herausholen, was möglich ist“, sagt Torben Johannesen, der 2016 in Rio Ersatzmann ohne Einsatz war, damit aber aus dem Abendblatt-Quartett trotzdem der Einzige mit Olympia-Erfahrung ist.

    Athleten mit Corona-Erfahrung, das sind sie dagegen alle. Wozu das gut ist, wird sich zeigen. Möglicherweise bereits im kommenden Jahr, in Tokio.