St. Paulis früherer Torjäger Nico Patschinski gibt zu: Ich habe sehr viel Geld verspielt. Er ließ sich für alle Kasinos sperren. Sportpsychologe Graw bezeichnet Kicker als Risikogruppe.

Berlin. Vielleicht war es jener Tag vor rund drei Jahren, der so manches im Leben des Fußballprofis Nico Patschinski zurechtgerückt hat. Der torgefährliche Stürmer spielte damals in der Zweiten Liga für LR Ahlen und hatte sich außerhalb des Spielfeldes ziemlich verdribbelt. Er war in eine zwielichtige Pokerrunde geraten, kannte die Teilnehmer in dem Hinterzimmer nicht, und plötzlich war Schluss mit lustig.

Das war etwas anderes als die Kartenrunden nach dem Training, bei denen es mit den Mitspielern aus der Mannschaft regelmäßig um mehr oder weniger hohe Beträge ging. Das hatte auch nichts mehr zu tun mit den zahlreichen Kasino-Besuchen, bei denen der frühere St.-Pauli-Spieler "zur Sicherheit nie mehr als 400 Euro" mitgenommen hatte - "und schon gar keine EC-Karte". Und hier ging es auch nicht darum, bei irgendwelchen Wettanbietern im Internet die richtigen Sportergebnisse zu tippen. Nein, plötzlich war aus Spaß bitterer Ernst geworden.

Nico Patschinski kann heute sehr offen über ein Thema sprechen, das nicht so recht in die schmucke Welt der Fußballstars mit ihren glänzenden Frisuren, modischen Klamotten und teuren Autos passt und deshalb, so gut es geht, tabuisiert wird. Er hat ja alles selbst ausprobiert: Karten, Würfel, Roulette, Blackjack, Sportwetten im Internet, Online-Poker. Und auch Automaten in Spielhallen, obwohl ihn "das Geblinke und Gedudel" nie sonderlich gereizt hat. Der 32-Jährige weiß, wie es sich anfühlt, wenn man in den letzten zehn Jahren so viel Geld verspielt hat, "dass man sich davon wohl auch einen Mittelklassewagen hätte kaufen können". Und er kennt die Geschichte über den Bundesliga-Trainer, der angeblich an einem Abend einen sechsstelligen Euro-Betrag verspielt hat und genau deshalb vor etwa einem Jahr auf der Geschäftsstelle des Vereins nur durch einen Sprung durchs Fenster den Geldeintreibern entkommen ist.

Dazu ist es bei Patschinski, den sie auf allen seinen Fußball-Stationen - ob in Dresden, Fürth, Trier, Ahlen, bei St. Pauli oder jetzt wieder bei Union Berlin in der Dritten Liga - "Patsche" nennen, nicht gekommen. Aber auch er wurde bedroht. Seine Frau war schwanger, und sie wollten ihn "zu Hause oder auf dem Trainingsplatz" besuchen, um sich die 8000 Euro zu holen, die er angeblich bei der Pokerrunde im Hinterzimmer verloren hatte. "Dabei haben die plötzlich einfach den Einsatz erhöht", sagt Patschinski. "Erst hieß es, wir spielen um zehn, und dann sollte zehn plötzlich gleich tausend sein." Und als er bei einem Spiel vier Asse hinblätterte, wurde er mit einem Royal Flush - einer "Straße bis zum Ass" - übertrumpft. Im Klartext: Es waren fünf Asse im Spiel! "Ihr seid nicht ganz dicht", warf der Fußballer, der nicht auf den Mund gefallen ist, den Falschspielern, die ihn übers Ohr hauen wollten, an den Kopf.

Nicht alle ziehen aus einem Schuss vor den Bug die richtigen Konsequenzen. Schon gar nicht Fußballprofis, die "aufgrund ihrer Sozialisation und der besonderen Rahmenbedingungen besonders anfällig für Glücksspiele sind", wie der Sportpsychologe Thomas Graw findet. Da sei zum einen der relativ gute Verdienst. "Da tun 1000 Euro, die man verspielt, nicht ganz so weh wie vielleicht bei einem Lehrer, bei dem dann gleich ein Drittel seines Monatsgehalts weg ist." Zum anderen, und da ist sich Graw mit Patschinski einig, haben "Fußballer sehr oft Langeweile". Die ständigen An- und Abreisen zu den Spielen, das Rumhängen in den Hotels, da muss viel Zeit gefüllt werden. Graw, der für den VfL Bochum und für die Spielergewerkschaft VDV arbeitet, hat bisher "nur sehr wenige Fußballer kennengelernt, die mit ihrer Freizeit etwas Sinnvolles anfangen können".

Entscheidend ist für den 43-Jährigen jedoch die Tatsache, dass Fußball und Glücksspiel in einem Punkt identisch sind. "Man hat in beiden Fällen ein großes Problem, wenn man verliert." Fußballern falle es schwerer als anderen Menschen, Niederlagen hinzunehmen. Und so sei auch beim Glücksspiel der Ehrgeiz viel größer, "das Geld wieder zurückzugewinnen, als sich mit dem Verlust zu arrangieren".

Graw, der "hin und wieder von Profis um Hilfe gebeten" wird, hat den Eindruck, ohne dass es darüber "gesicherte Daten" gibt, dass "die Problematik insgesamt zugenommen hat". Dabei sei es sehr schwierig zu sagen, ab wann bei jedem Einzelnen die Spielleidenschaft aufhöre und die Spielsucht anfange. Für Graw ist der Zustand der Sucht dann erreicht, wenn "man im Grunde keine Kontrolle mehr über sein Tun hat". Wenn man sagt: "Es zieht mich dahin, aber eigentlich will ich gar nicht." Das kann manchmal auch ein zähes Ringen über einen langen Zeitraum sein.

Andreas Teichmann, der in seiner Zeit als Profi bei Wattenscheid 09 rund 500 000 Euro verspielt hat, ließ sich erst nach acht Jahren Spielsucht therapieren. Immer wieder zog es ihn in die Spielhalle in Castrop-Rauxel. Jeden Tag verschwanden die Fünfmarkstücke immer schneller in den Schlitzen. Teichmann belog seine Freundin und sich selbst. "Ich habe angefangen, mich und meine Lügenwelt ganz gewaltig zu hassen", hat der heute 37-Jährige, der zwei Therapien brauchte, um die Sucht in den Griff zu bekommen, und nach einem BWL-Studium jetzt als Controller arbeitet, dem "Stern" erzählt. "Es kotzt mich an, wie diese Sucht unterschätzt wird."

Patschinski hat die Sache schließlich selbst in die Hand genommen, und dabei war ihm seine Frau ("Wir haben ein gemeinsames Konto") eine große Stütze: "Sie hat mich gefragt, ob wir nicht irgendwann mal etwas mehr haben wollen als eine Mietwohnung und ein Kind." Sohn Pete ist jetzt drei Jahre alt, "und meine Tochter heißt Polly - die kommt aber erst in zwei Jahren".

Er hat sich dann bundesweit in den Kasinos sperren lassen. Und er hat sich, nachdem er als erster Fußballprofi von seinem Verein wegen Spielsucht den Laufpass bekommen sollte, einem neurologischen Test unterzogen. Freiwillig. Bei Union Berlin. "Ich habe denen sogar angeboten, dass die sich den Arzt aussuchen können", sagt er. Und dann? "Die haben meinen Kopf verdrahtet und wollten wissen, was ich beim Spielen empfinde", erzählt er. "Ob ich dabei eine besondere Spannung spüre. Ob ich schon mal wegen des Zockens zu spät zum Training gekommen bin. Ob ich mitten in der Nacht aufwache und den Drang zum Spielen verspüre."

Und jetzt hat es Nico Patschinski - mit Sicherheit ebenfalls als einziger Fußballprofi in Deutschland - schwarz auf weiß, dass er nicht spielsüchtig ist. "Natürlich gibt es schönere Sachen, die man mit dem ganzen Geld hätte machen können", sagt er rückblickend. Aber andererseits habe er ja "nichts Böses" getan. "Ich habe kein Spiel verschoben, niemanden ausgeraubt, kein Kind überfahren und auch kein Verbrechen begangen. Und es war immer nur mein Geld, das ich verbrannt habe. Deshalb kann ich nachts auch noch schlafen."


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