Online-Wettbörsen sind fast machtlos gegen Besucher von Veranstaltungen, die mit unlauteren Methoden einen Informationsvorsprung nutzen.

Hamburg. Sie kennen es bestimmt aus eigener Erfahrung, wenn Sie mal ein Fußballspiel im Fernsehen auf einem anderen Kanal gesehen haben als ein Gesprächspartner am Telefon. Während bei Ihnen die Kugel noch im Mittelfeld rotiert, ruft Ihr Freund am Telefon schon: "Klarer Elfer, das war ein Elfer!" Sie stutzen, ehe Sie ein paar Sekunden später mitbekommen, welche Szene Ihren Kollegen so in Rage gebracht hat. Zwischen Ihren Bildern liegen ein paar Sekunden zeitversetzte Übertragung.

Dieser Zustand ist alltäglich, aufgrund unterschiedlicher Übertragungswege logisch erklärbar und auch nicht sonderlich störend, sofern Ihr Gesprächspartner seinen Informationsvorsprung nicht gewinnbringend einsetzt.

Genau das machen die Hamburger Richard, Tom und Mike, die als Trio "arbeiten", oder auch Lars und Ole (alle Namen von der Redaktion geändert), die als Duo agieren. Sie alle haben in den vergangenen Jahren einen zeitlichen Vorteil genutzt, um sich innerhalb einer Woche einen umfangreichen Sommerurlaub oder auch eine Wohnungseinrichtung zu finanzieren.

Sie sind Wettbetrüger.

Ihr "Geschäft" begann vor mehreren Jahren, als die Online-Wettanbieter ihre Angebotspaletten erweiterten, immer breiter Offerten streuten und sogar die kleinsten Nischenevents mit Wettmöglichkeiten versahen. Plötzlich konnte man nicht mehr nur auf Welt- oder Europameisterschaften, Bundesligaduelle und Grand-Slam-Turniere im Tennis setzen, sondern sich auch beschaulicheren Veranstaltungen wie beispielsweise dem Tennisturnier am Rothenbaum widmen.

Lars, der selbst in der Oberliga Fußball spielt, erinnert sich: "Anfangs konnte man sogar noch auf Fußballspiele setzen. Wenn jemand im Stadion am Telefon war und ein Tor oder einen Elfmeter durchgegeben hat, dann tauchte das in den Agenturmeldungen und im Fernsehen erst viel später auf. Doch dann gab es ziemlich schnell eine Pufferzeit, so dass bestimmte Livewetten für uns ihren Reiz verloren."

Mike, im normalen Leben Angestellter eines großen Medienunternehmens, richtete sich mit seinen Freunden auf das Tennisturnier am Rothenbaum aus. Er erzählt: "Das System ist einfach. Wir haben uns eine Wochenkarte für das Turnier gekauft, die etwas mehr als 100 Euro gekostet hat, außerdem haben wir unsere Mobilfunkverträge so abgestimmt, dass wir untereinander komplett kostenlos telefonieren können. Dann bin ich mit einem Headset auf die Tribünen der Plätze gegangen und habe Breaks oder auch Spielgewinne live durchgegeben, einer meiner Kumpels hat die Wetten dann per Klick am Computer von Zuhause aus sofort platziert."

Der Wettbetrug funktioniere am besten bei so genannten Wettbörsen wie "Betfair". Dort ist nicht das Onlineunternehmen der Wettgegner, sondern weltweit irgendwo ein Internetnutzer, der zum vorgeschlagenen Kurs einschlägt beziehungsweise klickt. "Das hat nur Vorteile", sagt Mike. Vor potenziellen Breakspielen beispielsweise sichert sich das Trio durch geschickt terminierte Gegenwetten ab. Bei 0:40 setzen die Jungs auf Break, bei einer überraschenden Rückkehr des Zurückliegenden und einem Zwischenstand von 40:40 halten sie dagegen. "Da die Onlinewetter, die nicht auf dem Platz zuschauen, sondern über Liveticker oder das Fernsehen informiert werden, zu dem jeweiligen Zeitpunkten von einem 0:15 oder dann noch einem 15:40 ausgehen, bekommt man gute Quoten. Die Differenz ist immer ein Gewinn, egal wie das Spiel ausgeht. Und die Masse der Wetten macht es aus."

Im ersten Jahr betrachteten Mike und seine zwei Freunde die Angelegenheit als heiteren Versuch mit einem Startkapital von knapp 1000 Euro, die innerhalb von einer Woche verdoppelt wurden. Die Rechnung 2008 fiel deutlich besser aus: Das Trio startet mit 2000 Euro und beendete das Turnier mit einem Reingewinn von mehr als 8000 Euro.

Ihr Risiko erwischt zu werden, ist gering. "Wir wissen, dass einige Leute den Informationsvorsprung nutzen. Beim Fußball konnten durch Pufferzeiten Hürden eingebaut werden, beim Tennis ist das nicht möglich, zumal es sich hierbei um keine manuell betreuten Werte handelt", sagt Matthias Wiermann, Deutschland-Manager von "Betfair". Er setzt auf die Sicherheitsvorkehrungen der Verbände und Veranstalter, die seit einigen Jahren keine Laptops und nun auch keine Telefone mehr auf den Plätzen zulassen.

"Die Hausordnung kennen wir, sie lässt sich aber in der Realität kaum durchsetzen", sagt Lars. Mike bestätigt: "Man findet immer eine ruhige Ecke. Und außerdem wechsle ich häufiger meinen Standort, um unerkannt zu bleiben." Bekannte Gesichter habe er in den vergangenen Jahren dennoch immer wieder ausgemacht. "Wir sind nicht die Einzigen, die so Geld machen", sagt Mike. Zehn bis zwölf Headset-Scouts habe er 2008 getroffen. Man meide die gleichen Plätze, weil man sich sonst die Quoten verderbe, sagt er: "Ein Engländer hat mir sogar erzählt, dass er weltweit mit den Turnieren reist." Angesichts der Gewinnspannen kaum verwunderlich.

Die Attraktivitätsminderung des Rothenbaumturniers hat die Wettexperten getroffen. "Das ist echt schade, weil es direkt vor der Tür lag", sagt Ole, der sonst als Student für BWL paukt. Das Trio um Mike überlegt, ob es nicht mal einen Ausflug nach Paris zu den French Open unternehmen soll. "Je größer das Turnier, desto mehr Umsatz an der Wettbörse. Und die Chance, anonym zu bleiben, steigt ebenfalls, je mehr Plätze es auf der Anlage gibt", sagt Mike. Er weiß nur noch nicht, ob es in Frankreich auch die Möglichkeiten einer Handy-Flatrate gibt. Dass ihr Handeln straf- und steuerrechtlich verfolgt werden könnte, interessiert die Wettbetrüger nicht.


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