Hamburg. Vor Jahrzehnten sind heutige Mittvierziger aus den Elbvororten hier mit ihren Rädern bergab gerast, um sich dem Rausch der Geschwindigkeit hinzugeben. Und wenn er nicht gerade wie am Sonntag für den Verkehr gesperrt ist, quälen sich HVV-Kleinbusse der Linie 48 ("Bergziegen") die Straße hinauf. Wenn das aber fast 200 Radprofis machen, gibts außer muskulösen Männerwaden richtig was zu sehen - und zu feiern.

Was ist schon L'Alpe d'Huez gegen Hamburgs Waseberg? Sagen sich auch mehr als 10 000 Menschen. Sie haben sich links und rechts der gleichnamigen Straße in die Botanik geschlagen, stehen auf der hölzernen Fußgängerbrücke und haben sich mit Farbe auf dem Asphalt verewigt: Schriftzüge wie "Jan, Du bist unser Held!" oder "Jan, halte durch!", sollen Ullrich und Co. (schnelle) Beine machen.

Heike May (39) ist mit ihrem Partner Jens Müller (44) bereits um halb eins gekommen, nicht nur, "weil es hier so schön schattig ist", meint die Hamburgerin. "Hier kann man die Fahrer richtig schön leiden sehen", sagt sie mit einem charmanten Lächeln. Auf Grund einer leicht geänderten Streckenführung mit der "Blankeneser Schleife" ist der Waseberg, im Kern nur 250 Meter lang, aber mit bis zu 15 Prozent Steigung gepflastert, diesmal gleich fünfmal zu meistern.

Ein gefundenes Fressen auch für den erfahrenen Streckensprecher Hans-Dieter Buthmann, der als eine Art Zeremonienmeister am "Gipfel" die Profis mit Hilfe der Fans förmlich den Berg hinaufschreit. Sogar blau-weiße und grün-weiße Polizeimotorräder mitsamt ihrer Fahrer werden bejubelt, als hätten sie nie jemanden im Straßenverkehr ermahnt oder verwarnt.

Der bis dato führende Ausreißer Roberto Lochowski bekommt unfreiwillig eine spezielle Eskorte: Als er am Fuße des Wasebergs wegen eines Kettenschadens das Rad wechseln muss, wird er von einer Schar Kinder, einer "Rasselbande", den Berg hochgetrieben. Je höher man kommt, desto größer die Geräuschkulisse. Wenn nicht gerade während der Rennpause Musik aus den Lautsprechern die Moderation übertönt, gleicht der Waseberg einem Meer aus Menschen und Rasseln. Hier fahren Gänsehautgefühl und Party-Feeling Tandem.

So sehr die Fans ihm dem Absprung gönnen, auch beim vierten und fünften "Gipfelsturm" ist Ullrich nie ganz vorn, ehe er in den engen Gassen Blankeneses gen Elbchaussee davonbraust. Stattdessen nehmen sich die Velo-Freunde umso mehr Zeit für die Nachzügler. Ginge es nach Heike May und Co. könnte der Waseberg auch zehnmal überquert werden . . .