Vor dem Duell Deutschland gegen Türkei spricht der ehemalige Nationalspieler Roberto Hilbert über Irritationen in der Besiktas-Kabine.

Istanbul. Roberto Hilbert stammt aus dem bayrischen Forchheim, spielt mittlerweile aber für Besiktas Istanbul. Das EM-Qualifikationsspiel in der Türkei ist somit für den achtmaligen deutschen Nationalspieler eine gute Gelegenheit zur DFB-Elf zurückzukehren - als Fan auf der Tribüne.

Hamburger Abendblatt: Herr Hilbert, vor einem Länderspiel zwischen Deutschland und der Türkei werden traditionell sämtliche Deutsch-Türken der Bundesliga zum Thema Integration befragt. Wie viele Medienanfragen aus der Türkei hatten Sie zu dem Thema?

Roberto Hilbert: Natürlich gab es Anfragen, allerdings hatten die türkischen Journalisten eher sportliche Fragen. Über Integration wollte eigentlich niemand mit mir reden.

Fühlen Sie sich denn nach einem Jahr in Istanbul integriert?

Hilbert: Innerhalb der Mannschaft und im Verein auf jeden Fall. Um auch in Istanbul so richtig integriert zu sein, muss man länger als nur ein Jahr hier sein. Ich gebe mir große Mühe, auch die kulturellen Besonderheiten zu verinnerlichen, aber die Türkei ist nun mal eine ganz andere Welt.

Lernen Sie Türkisch?

Hilbert: Ja. Die Sprache ist ein ganz entscheidender Baustein, um sich bestmöglich in einem anderen Land zu integrieren. Am Anfang war es natürlich schwer, aber inzwischen kann ich mich gut auf Türkisch verständigen.

Welche Sprache wird in der Kabine gesprochen?

Hilbert: Unser Trainer ist Portugiese, deswegen ist Portugiesisch erste Amtssprache. Seine Ansprachen werden von drei Dolmetschern ins Englische, Türkische und Tschechische übersetzt, was zum Teil für ein kleines Chaos sorgt. Dabei haben Fabian Ernst und ich noch Glück. Der Dolmetscher, der ins Englische übersetzt, versucht alle Stimmungen des Trainers wiederzugeben, der Tschechisch-Übersetzer redet dagegen immer mit dem gleichen Tonfall, egal ob unser Trainer tobt oder lobt.

Können Sie sich durch Ihr Abenteuer in Istanbul besser in Fußballlegionäre in Deutschland hineinversetzen?

Hilbert: Absolut. Es ist immer sehr einfach, von Ausländern schnelle Integration zu fordern. Viele vergessen dabei aber, dass die meisten aus komplett anderen Kulturkreisen kommen, beispielsweise aus Afrika. Diesen Profis kann man nicht so einfach sagen, dass sie mal schnell die Sprache lernen sollen und dann wird schon alles gut. Allerdings habe ich auch in der Türkei gelernt, dass man es nur schaffen kann, wenn man sich auf seine neue Lebenssituation einlässt. Ich lebe hier auf der asiatischen Seite von Istanbul mit meiner Frau und drei meiner Kinder. Mein ältester ist sechs Jahre alt, spricht schon ein sehr passables Türkisch und hat auch mehrere türkische Freunde. Wir haben uns auch bewusst für eine türkische Nanny entschieden, die bei der Sprache natürlich hilfreich ist. Hätte ich versucht, meine Stuttgarter Lebensgewohnheiten in Istanbul beizubehalten, dann wäre meine Zeit hier zum Scheitern verurteilt gewesen.

Woran mussten Sie sich erst gewöhnen?

Hilbert: Der Verkehr in Istanbul ist brutal. Wenn man beispielsweise über die Brücke auf die europäische Seite der Stadt will, dann sollte man das ganz genau planen, weil zu manchen Uhrzeiten überhaupt nichts mehr geht. Wenn wir in Stuttgart shoppen wollten, sind wir eben in die Königstraße gegangen. So einfach geht das hier natürlich nicht. Istanbul ist riesig, hat ganz unterschiedliche Viertel mit jeweiligen Zentren.

Sind die Fans so fanatisch wie es immer berichtet wird?

Hilbert: Ich habe überwiegend positive Erfahrungen gemacht. Ich werde zwar andauernd auf der Straße angesprochen, meistens aber sehr freundlich und herzlich. Die Besiktas-Fans wünschen mir Glück, die Anhänger von Galatasaray oder Fenerbahce fragen lediglich, warum ich denn den falschen Verein ausgesucht habe. Einmal wollte ein Besiktas-Fan ein Foto von mir und sich haben. Sein Freund, ein Anhänger Galatasarays hat sich aber geweigert, auf den Auslöser zu drücken.

Darf man als Besiktas-Profi auf der Tribüne vom Galatasaray-Stadion sitzen und Deutschland die Daumen drücken?

Hilbert: Natürlich. Ich freue mich auf das Spiel, insbesondere weil ich noch viele Freunde in der Mannschaft habe. Mario Gomez und Christian Träsch gehören zu meinen besten Freunden, auch mit Bastian Schweinsteiger verstehe ich mich sehr gut. Als Deutscher ist es doch selbstverständlich, dass ich den Jungs die Daumen drücke.

Können Sie den inneren Zwiespalt der vielen Deutsch-Türken wie beispielsweise Ömer Toprak verstehen, die sich zwischen dem deutschen und dem türkischen Verband entscheiden müssen?

Hilbert: Jein. Für viele ist das sicher eine schwierige Entscheidung. Als ich noch beim VfB war, habe ich miterlebt, wie schwer es sich Serdar Tasci gemacht hat, sich für eine Nationalmannschaft zu entscheiden. Viele Jungs fühlen und denken Türkisch, sind aber mit deutschen Freunden aufgewachsen. Was ich weniger verstehen kann ist, wenn man sich eine Nationalmannschaft nach sportlichen Gesichtspunkten aussucht. Nach dem Motto: Wenn ich von der einen Mannschaft keine Einladung bekomme, spiele ich eben für die andere.