Vettel spricht beim Besuch in Hamburg im Interview mit dem Abendblatt über seine neue Rolle als Leitwolf, Vorbilder und Michael Schumacher.

Hamburg. Es ist "schon ein bisschen länger her", dass Sebastian Vettel zuletzt in Hamburg zu Gast war, "außerdem war es damals auch nicht so kalt". Am Sonnabend schwebte der 23 Jahre alte Formel-1-Weltmeister zu einer Ladeneröffnung des Red-Bull-Teamsponsors Pepe Jeans am Gänsemarkt für gut drei Stunden in Hamburg ein. Ausgeruht und neugierig, mit wachen blauen Augen, stellt er sich am Rande der Veranstaltung zum Gespräch, ohne Anflug von Routine: "Passt schon." Auch wenn auf dem Tisch die obligatorischen Red-Bull-Getränkedosen stehen, trinkt Vettel Mineralwasser. Schon am Abend muss er wieder in London sein, zur Weihnachtsfeier seines Teams.

Hamburger Abendblatt:

Es ist jetzt drei Wochen her, dass Sie Weltmeister geworden sind. Haben Sie inzwischen realisiert, was da passiert ist?

Sebastian Vettel:

Ja. Mittlerweile hatte ich ja ein paar Tage Ruhe und Zeit für mich selbst. Die ersten zwei Wochen waren sehr anstrengend, aber auch aufregend. Ich genieße das natürlich. Aber wenn dann mal wieder der normale Alltag zurückkehrt, alles etwas ruhiger wird, erwischt man sich, dass man auf der Bettkante sitzt und anfängt zu grinsen. Ja, das ist schon etwas Besonderes.

Die Motoren stehen still in diesen Tagen. Wie halten Sie sich fit?

Vettel:

Der Winter ist die Zeit, in der ich versuche, mich zu verbessern. Während der Saison, wenn wir viel in verschiedenen Zeitzonen unterwegs sind, kommen wir selten dazu. Man lernt als Sportler, auf seinen Körper zu hören. Da muss man sich auch Pausen gönnen, um monatelang den Level zu halten. Jetzt, nach der Saison, hat man normalerweise zwei, drei Wochen für sich - in meinem Fall natürlich gerade nicht -, in denen man es sich leisten kann, mal gar nichts zu machen. Ende Dezember geht es dann wieder los. Der Januar ist der Monat, in dem man sich vorbereiten muss. Im Februar beginnen dann wieder die Tests auf der Strecke, da muss ich wieder in den Rhythmus kommen.

Wann werden Sie zum ersten Mal im neuen Red Bull RB7 sitzen?

Vettel:

Im Moment schaut es so aus, dass unser Auto rechtzeitig fertig wird. Die ersten Testfahrten sind für Anfang Februar in Valencia geplant. Dann werden wir bis zum ersten Rennen (13. März in Bahrain, d. Red.) jede Woche ein, zwei Tage testen.

Konnten Sie sich in die Entwicklung des nächstjährigen Autos einbringen?

Vettel:

Das Team hat schon im Juli am nächsten Auto gearbeitet, ich als Fahrer natürlich weniger, weil ich noch um den Titel fuhr. Die Schwächen, die uns während der vergangenen Saison aufgefallen sind, versuchen wir auszusortieren.

Wann spüren Sie, ob ein neues Auto schnell ist?

Vettel:

In der Regel ist das Gefühl sofort da. Ich merke: Passt mir das Auto, fühlt es sich schnell an? Und wenn das stimmt, muss man natürlich abwarten: Sind wir gut genug im Vergleich mit den anderen? Die Vergleiche bei gemeinsamen Testfahrten sagen natürlich nicht alles, weil man nicht weiß, wer mit wieviel Benzin unterwegs war.

Hatten Sie beim diesjährigen RB6 sofort das Gefühl, das Auto ist siegfähig?

Vettel:

Gleich beim ersten Mal habe ich gespürt: Das ist etwas Besonderes. Es gab zwei, drei Dinge, die nicht gestimmt haben, die haben wir herausfinden können. Wir haben aber während der Saison weiter am Auto gearbeitet. Würde man den Wagen vom Saisonstart mit dem vom Saisonende vergleichen, wäre er am Ende eineinhalb bis zwei Sekunden pro Runde schneller.

Sie sind 23 Jahre alt und haben alles erreicht, was in Ihrem Sport möglich ist. Wie motivieren Sie sich für neue Ziele?

Vettel:

Die Grundvoraussetzung ist, dass ich Spaß am Rennfahren habe. Nur so kann ich das Letzte aus dem Auto herauskitzeln. Als Sportler, und ich sehe mich als Sportler, schaut man immer nach vorne. Wenn ich jetzt zurückblicke, macht es mich stolz, weil ich erreicht habe, was ich mir immer erträumte. Aber die nächste Saison hat bereits begonnen. Wir haben ja schon direkt im Anschluss an das letzte Rennen getestet. Bei all dem Austausch, der derzeit zwischen mir und dem Team erfolgt, geht es zu 99 Prozent um das nächste Jahr. Das wichtigste ist, dass man sich nicht verändert. Ich kann nicht sagen, okay, alles hat geklappt, ich mache so weiter wie bisher. Sondern ich will neugierig bleiben, mehr wissen, fitter werden, mich weiterentwickeln. Wenn man stehen bleibt, haben die anderen schnell aufgeholt.

Sie stehen vor einer neuen Rolle. Bislang waren Sie der Jäger, jetzt sind Sie der Gejagte, der Champion, den alle schlagen wollen. Wie gehen Sie damit um?

Vettel:

Es ist das erste Mal, dass ich in dieser Situation bin - in der ich ja immer sein wollte. Wie ich sagte: Ich kann nicht einfach so weitermachen wie in der vergangenen Saison. Wichtig ist, dass ich nicht aufhöre, an mir zu arbeiten und danach suche, was mich stärker und schneller machen kann. Die Formel 1 ist nicht nur eine Materialschlacht, in der jeder versucht, noch schnellere Autos zu bauen. Es gibt auch Dinge, die ich als Sportler besser machen kann und muss. Und das habe ich vor.

Vor 16 Jahren hat Michael Schumacher seinen ersten Titel gewonnen. War er damals ein Vorbild für Sie?

Vettel:

Absolut. Er ist es immer noch. Ich kenne den Michael inzwischen sehr gut. Wenn wir uns heute begegnen, sehe ich erst den Menschen und dann den siebenfachen Weltmeister. Er ist einer der besten Fahrer, von dem man auch heute noch eine Menge lernen kann.

Rechnen Sie denn mit ihm auch als Titelkonkurrent für 2011?

Vettel:

Auf jeden Fall. In der Formel 1 sind wir natürlich davon abhängig, in welchem Auto wir sitzen. Aber Michael hat oft genug gezeigt, dass er immer noch in der Lage ist, schnell Auto zu fahren, auch wenn er nicht mehr der Jüngste ist. Dieses Jahr war schwierig für ihn, das Auto anscheinend nicht so gut, auch wenn es von außen schwierig zu beurteilen ist, wenn man nicht die ganze Geschichte kennt. Michael weiß, was er machen muss, um wieder vorn mitzufahren.

War es für Ihre Karriere wichtig, dass es in Deutschland einen Schumacher gab?

Vettel:

Beim Fußball weiß jeder: Wir schicken unseren Sohn in den Verein, wenn er Talent hat, werden wir es schon mitbekommen. Wenn Sie vielleicht 50 Kilometer von Hamburg entfernt wohnen, suchen Sie jemand, der den Bub zur Jugendmannschaft des HSV fahren und wieder abholen kann. Wenn man merkt, daraus könnte etwas Besonderes werden, nimmt das eben seinen Lauf. Im Motorsport sind das Talent und die Familie, die dahinter steht, nur das eine. Auf der anderen Seite braucht ein Motorsportler die finanziellen Mittel, sprich Sponsoren, um seinen Sport überhaupt betreiben zu können. Ich denke, dass der Michael da extrem geholfen hat. Er hat die Formel 1 in Deutschland publik gemacht. Bis jemand sagen konnte: Diesem Jungen wollen wir helfen, der fährt vielleicht mal in der Formel 1. Und vielleicht bekommen wir einmal etwas zurück. Das war auch in meiner Situation wichtig.

In der vergangenen Saison sind sieben deutsche Fahrer in der Formel 1 gestartet - ist auch das der Schumacher-Effekt?

Vettel:

Gerade für die Fahrer in meinem Alter war Michael das Vorbild. Es gab einen Boom. 1994 und 1995, als er seine ersten beiden Weltmeistertitel eingefahren hat, waren auf der Kartbahn über hundert Kinder im Alter von acht bis zwölf, die Rennen gefahren sind. Heute geht die Zahl wieder zurück, die Fahrerfelder schrumpfen, auch weil der Sport extrem teuer geworden ist. Nicht nur Superbenzin und Milch sind teurer geworden, sondern auch der Motorsport. Sogar Kartsport ist heute ohne Sponsoren kaum mehr möglich.

Gibt es jenseits der Formel 1 Sportler, die Ihnen imponieren?

Vettel:

Ja, mehrere. Man kann sich auch von Sportlern in anderen Disziplinen eine Menge abschauen. Es muss einen Grund dafür geben, warum zu jeder Zeit immer einer oder vielleicht zwei Sportler, zum Beispiel Roger Federer und Rafael Nadal im Tennis oder Tiger Woods zu seinen großen Zeiten im Golf, fast immer gewinnen und die anderen eben nicht. Davon kann man viel lernen.