Mit 23 Jahren ist Sebastian Vettel der jüngste Weltmeister der Formel 1. Geradezu cool gewann er das Finale. Deutschland hat einen neuen Superstar.

Es war im Sommer 1997, der kleine "Seppi" war gerade zehn Jahre alt, als ihm sein großes Idol auf der Kartbahn in Kerpen nach dem Sieg in einem der Bonsai-Rennwagen zum Gewinn des NRW-Pokals gratulierte. Die erste Begegnung Sebastian Vettels mit Michael Schumacher, dem berühmtesten deutschen Autofahrer. 13 Jahre später ist dieser Sebastian Vettel aus Heppenheim als erstes Kind des Schumi-Booms Formel-1-Weltmeister geworden. Die Sprache seiner Generation nennt solche Leistungen "fett" oder noch besser: "Vett!"

+++ Die Chronologie des WM-Thrillers +++

War es bei Schumacher der emporgereckte Daumen, der 91-mal einen Grand-Prix-Sieg des deutschen Multichampions anzeigte, hat Vettel dem Vollgaszirkus eine neue Geste verpasst - den emporgereckten Zeigefinger. Weist der mit 23 Jahren, vier Monaten und elf Tagen jüngste Weltmeister der Geschichte damit auf ein neues Zeitalter? Nach dem Schumacher-Jahrzehnt könnte nun die Ära Vettel folgen.

Der Junge von der hessischen Bergstraße fügt dem neuen, jungen, sympathischen Deutschland ein weiteres Gesicht hinzu. Nach Lena Meyer-Landruth, der Sängerin, Mesut Özil, dem Fußballprofi mit Migrationsvordergrund, und dem Profigolfer Martin Kaymer nun also Sebastian Vettel. Der Mann mit dem Jungenantlitz, den ein paar Bartstoppeln kaum älter scheinen lassen, dessen Konzentration sich nach der Zieldurchfahrt im Emirat Abu Dhabi in einem Weinkrampf löste, den das Bordmikrofon unzensiert in alle Welt sendete. Als bei der Siegerehrung die Hymnen gespielt wurden, verbarg Vettel die Tränen hinter seinen Händen.

Zwei Menschen begleiteten ihn auf seinem Weg

Vor dem Showdown in der arabischen Wüste hatte Sebastian Vettel eine Innenansicht offengelegt, die man so noch nicht kannte. "Schmetterlingsmäßig" sei seine Verfassung, sagte er vor dem Showdown. Innere Unruhe vor der dramatischen Entscheidung, natürlich, aber eben auch die unheimliche Leichtigkeit des Rennfahrerseins.

Aller Ehrgeiz, alle Leidenschaft, alle Unterstützung sind gebündelt in einer Karriere, die durch die beiden Konstanten Norbert Vettel, seinen Vater, und Red Bull, seinen Sponsor, geprägt wurde. Eine Laufbahn, die nur den Vorwärtsgang kennt. Die sich nicht mehr an Vorbildern orientiert, sondern einfach nur Vettel sein will. Der kleine Sebastian, Sohn eines Zimmermanns und Hobby-Rennfahrers aus dem hessischen Heppenheim, drehte schon als Vierjähriger allein im Kart Runden im heimischen Garten. Selbst wenn ihn der Vater bremste, weil es schneite, wollte Sebastian immer weiterfahren. Als er 19 Jahre später im heimischen Heppenheim unmittelbar vor dem Großen Preis von Deutschland seinen Red-Bull-Rennwagen über das Kopfsteinpflaster kreisen ließ, schauten 100 000 Fans zu.

Für seinen Arbeitgeber Red Bull ist Vettel die perfekte Übersetzung des jugendlichen Images. Ein strahlender Sonnyboy, der genauso alt ist wie die blau-rote Getränkedose und der die firmeneigene Nachwuchsförderung summa cum laude abschloss. "Ohne das Red-Bull-Juniorteam hätte ich es definitiv nicht in die Formel 1 geschafft", sagt Vettel. Mit seinem Förderer und Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz hat Vettel eins gemein: Nur Platz eins zählt.

Alles, was er in der Formel 1 tat, hat niemand vor ihm in so jungen Jahren geschafft: Er war der jüngste Punktegewinner, der jüngste Trainingsschnellste, der jüngste Anführer eines Grand-Prix-Feldes, der jüngste Rennsieger und jetzt beinahe zwangsläufig auch der jüngste Weltmeister. In drei Jahren hat er sich vom Aushilfspiloten beim Red-Bull-Juniorteam Toro Rosso zum Weltmeister katapultiert, das Erwachsenwerden funktionierte wie ein Schnellschaltgetriebe. Stillstand, sagt Vettel, sei für ihn der Untergang.

Allen, die ihm nach den haarsträubenden Fahrfehlern die Reife absprachen, hat er die beste Antwort gegeben: mit einer makellosen Solofahrt zum Titel. Manchmal kann auch die Formel 1 ganz einfach sein. Schneller fahren als alle anderen und einfach sehen, was in seinen Rückspiegeln passiert. Mit dieser Taktik ist Sebastian Vettel gestern in das wichtigste Rennen seines Lebens gestartet. Als die Zielflagge fiel, führte er zum ersten Mal in seiner Formel-1-Karriere die Weltmeisterschaft an - im entscheidenden Moment.

"Sebastians Stärke ist, dass er im richtigen Moment die richtigen Fäden zieht und das Maximum aus sich herausholen kann", sagt Michael Schumacher. Und Formel-1-Boss Bernie Ecclestone meint: "Er ist intelligent, supertalentiert und vor allem ein verdammt netter Kerl. Ich bin sein größter Fan." So einer braucht keinen "Mister 20 Prozent" wie Schumachers Willi Weber, der dessen Verträge aushandelt. Vettel managt sich selbst.

Spotteten die britischen Schumacher-Hasser im Formel-1-Zirkus anfangs über den "Baby Schumi", ist längst ehrfurchtsvoll von "Super Seb" die Rede. Vettels Reifeprüfung in Abu Dhabi zeigte die Fähigkeiten des Champions. Er kombiniert sein sonniges Gemüt, geprägt von der Vorliebe für britische Komiker à la Monty Python, mit einer brachialen Konzentration und Kompromisslosigkeit, wie sie Michael Schumacher zum Meister machte: "Ich bin auf der Strecke ein Egoist, möchte die Dinge möglichst auf meine Art erledigen." Damit das klar ist. Vettel lebt die Attacke nicht nur auf der Piste. Selbst harmlose Joggingrunden will er meistens mit einem Spurt gewinnen.

Er ist Rennfahrer, kein Schauspieler

In seinem Gesicht lässt sich wunderbar die Wandlung zum Branchenführer ablesen, es hat in den letzten Monaten ein paar Kanten mehr bekommen, aber es ist Vettel wichtig, dass er sich in allem, was er tut und sagt, wiedererkennen kann: "Ich finde es völlig normal, meine wahren Emotionen zu zeigen. Ich bin keiner, der seine Gefühle versteckt. So bin ich auch nicht erzogen worden. Ich bin Rennfahrer, kein Schauspieler. Wer sich verstellt, seine Gefühle nicht zulässt, der wird auf Sicht damit keinen Erfolg haben."

Dass er vor drei Wochen, nach dem Pech mit dem geplatzten Motor beim Großen Preis von Südkorea, nicht aufgegeben hat, macht den Charakter des neuen Champions deutlich. "Wer in der Formel 1 nicht dazulernen will, der erreicht sein Limit früh und macht dann keinen Schritt mehr nach vorn. Manchmal muss man in diesem Geschäft akzeptieren, dass die Dinge nicht in die Richtung laufen, die man gern hätte. Für mich gibt es ohnehin nur eine Möglichkeit: Tu, was du tun musst."

Wie alle Rennfahrer ist auch Sebastian Vettel abergläubisch. Doch bei seiner Pechsträhne zur Saisonmitte wollte er nicht an böse Magie glauben. "Wenn man glaubt, einen Fluch mit sich herumzutragen, dann bedeutet das doch, dass der Kopf schon voller Gedanken ist. Dann bekommt man es vielleicht mit einer selbst erfüllenden Prophezeiung zu tun." Nichts für ihn.

Sebastian Vettel ist ein Kind der neuen Fahrergeneration, er vereint das Beste aller Konkurrenten in sich: den Willen eines Michael Schumacher, die Lässigkeit eines Lewis Hamilton, die Finesse eines Jenson Button und die Rücksichtslosigkeit eines Fernando Alonso. Auch deshalb sagt sein Teamchef und Förderer Christian Horner: "Seb ist jetzt das, was wir unter einem kompletten Fahrer verstehen. Er macht keinen Fehler zweimal."

Mit Sebastian Vettel hat die Zukunft der Formel 1 begonnen. Er hat sich als Leitbulle im eigenen Team gegen den in der Szene beliebten Australier Mark Webber durchgesetzt. Er muss die Aufgabe schultern, in Deutschland als Schumi-Ersatz zu dienen, solange der Altmeister nicht noch einmal in einen sportlichen Jungbrunnen fällt. Und er hat der in stromlinienförmiger PR-Kultur erstarrten Formel 1 einen Schuss Unabhängigkeit verpasst. Der junge Deutsche pflegt als Verehrer der Beatles, die sich 17 Jahre vor seiner Geburt aufgelöst hatten, einen liebenswerten Anachronismus. Er gibt seinen Rennwagen merkwürdige Frauennamen, in dieser Saison hießen sie "Luscious Liz" und "Randy Mandy". Er hat es nicht nötig, seine (Schul-)Freundin Hanna in den Boxen wie eine Trophäe zu präsentieren wie Lewis Hamilton sein Pussycat Doll Nicole Scherzinger.

Wenn seine Formel-1-Karriere gescheitert wäre, hätte Sebastian Vettel, wie er einmal der "Auto Bild" verriet, womöglich in Hamburg Maschinenbau studiert. Das Norddeutsche ist ihm eh nicht fremd, wie seine glänzenden Otto-Parodien verraten.

Im Hausmagazin "Red Bulletin" des Brauseherstellers gipfelte die Hommage für Vettel in dem Satz: "Im fahlen Neonlicht der Formel 1 ist Vettel eine Discokugel, die von innen leuchtet." So schillernd ist auch sein Helmdesign in der Dämmerung von Abu Dhabi gewesen. Besser gesagt: strahlend.