Der WBA-Weltmeister spricht im Interview über seine Trennung von Universum, seinen neuen Trainer Fritz Sdunek und seine Ziele.

Köln. Müde und hungrig sind die Menschen, die Felix Sturm an diesem feucht-kühlen Abend in sein italienisches Stammlokal in der Südstadt geladen hat. Manager Roland Bebak, Fitnesscoach Clive Salz, PR-Berater Manfred Meier, Trainingskamerad Patrick Dobroschi, zwei aus München angereiste Bekannte und drei Sat.1-Reporter, die den WBA-Weltmeister im Mittelgewicht für eine Dokumentation begleitet haben, sind nach einem langen Arbeitstag froh, ein gutes Abendessen spendiert zu bekommen. Sturm selbst isst zur Vorspeise Vollkornbrot mit Olivenöl, Salat mit gebratenen Scampis und als Hauptgericht Kabeljaufilet mit gedünstetem Gemüse. Dazu trinkt er stilles Wasser. Sein Handy, auf dem er normalerweise ständig tippt, beachtet er während des Gesprächs kaum.

Abendblatt: Herr Sturm, am heutigen Sonnabend bestreiten Sie den ersten Kampf nach der Trennung vom Hamburger Universum-Stall. Was ist denn nun so toll an der neuen Freiheit?

Felix Sturm: Das Schönste ist das Gefühl, das tun zu können, was man möchte. Der Schritt, mich von Universum zu trennen, hat viel positive Energie freigesetzt. Das hat sich im Training bemerkbar gemacht. Das Boxen macht mir wieder zu 100 Prozent Spaß.

Wann war der Punkt erreicht, an dem Sie wussten: Jetzt muss ich den Schritt machen und mich trennen?

Das kann ich nicht an einem Punkt festmachen, es war ein Gefühl, das sich über Monate entwickelt hat. Ich habe gespürt, dass der Wunsch, meine Träume zu verwirklichen, immer größer wurde.

Und warum war es nicht möglich, diese Träume mit Universum zu verwirklichen?

Ich habe mich dort nicht mehr wertgeschätzt gefühlt. Ich hatte immer das Gefühl, dass andere Boxer mehr im Mittelpunkt standen. Für mich war Hamburg auch nie Heimat, ich habe ja den Großteil meiner Vorbereitung schon immer in Köln gemacht. Ich habe mich bei Universum nie heimisch gefühlt, und ich habe zu niemandem dort mehr Kontakt. Das sagt doch alles.

Man hatte immer das Gefühl, dass sie mit Ihrem damaligen Trainer Michael Timm eine verschworene Gemeinschaft gebildet haben. Dann kam die Trennung, und plötzlich war alles vorbei. Haben Sie damals heile Welt vorgespielt?

Nein, nein, ich habe mich mit Herrn Timm gut verstanden. Aber ich war immer schon ein Sportler, der sich extrem viele Gedanken über das Training gemacht hat. Herrn Timm hat es nie wirklich interessiert, was ich in Köln tue und warum ich es tue. Bei meinem Fitnesscoach Clive Salz habe ich mich immer verstanden gefühlt. Ich bin Herrn Timm dankbar für das, was er für mich getan hat. Aber nach seinem Interview, in dem er falsche Dinge über mich verbreitet hat, war er für mich gestorben. Darüber war ich wirklich extrem enttäuscht.

War das Problem, dass er Ihnen vorgeworfen hat, undankbar zu sein?

Ich will nicht ins Detail gehen. Ich denke nur, er hätte in der Öffentlichkeit besser seinen Mund gehalten.

Wenn er seine Kritik intern geäußert hätte, wäre er heute noch Ihr Coach?

Ich hatte ihn als ersten von meinen Plänen informiert und ihn gefragt, ob er mein Coach bleiben will. Er hat sich anders entschieden. Das ist okay. Aber dass er falsche Dinge über mich verbreitet, werde ich nicht vergessen.

Michael Timm war sehr enttäuscht darüber, dass ausgerechnet Fritz Sdunek Ihr neuer Trainer ist. Der hatte in seiner Zeit als Chefcoach bei Universum mehrfach abgelehnt, Sie zu trainieren, weil Sie charakterlich nicht in seine Trainingsgruppe passten. Er hat häufig nicht gerade freundlich über Sie gesprochen. Warum haben Sie sich dennoch für ihn entschieden?

Herr Sdunek ist ein absoluter Fachmann, der nach dem Aus bei Universum eine neue Aufgabe gesucht hat. Ich wollte schon immer mit ihm arbeiten, jetzt hat es endlich geklappt. Ich weiß, wie er über mich geredet hat, aber wir haben uns ausgesprochen. Außerdem hat er immer offen geredet, hat mir seine Vorwürfe ins Gesicht gesagt. Das ist mir lieber als Leute, die vordergründig nett sind und dann hinter meinem Rücken lästern. Unehrlichkeit verachte ich.

Hatten Sie in Ihrer Karriere oft das Problem, echte Freunde von den falschen zu unterscheiden?

Eigentlich nicht. Als ich 2003 als 24-Jähriger zum ersten Mal Weltmeister wurde, brach schon viel über mich herein, da waren auf einmal 50 Reporter, die etwas von mir wissen wollten. Aber Geschäft ist Geschäft, das muss man trennen können vom Privatleben. Ich denke, dass ich mich nicht verändert habe in der Zeit, denn ich merke einfach, wenn sich Leute wirklich für mich einsetzen, weil sie es für mich tun wollen, oder nur, weil sie einen Profit daraus ziehen wollen. Mein Leitspruch ist: Lieber einen alten Freund als zehn neue.

Wenn Sie sagen, dass Sie sich nicht verändert haben, müssen Sie mit Ihrem Image zufrieden sein. Dabei gelten Sie bei vielen als arrogant.

Ich weiß, dass man mir das immer wieder vorgeworfen hat. Wer mich wirklich kennt, der weiß, dass das nicht stimmt. Ich weiß, dass ich manchmal selbst daran schuld war, dass die Menschen eine solche Wahrnehmung von mir hatten. Ich bin einfach nicht der nette Junge von nebenan, der alle zuschleimt, und wer damit nicht klarkommt, dem kann ich nicht helfen. Ich habe keine Lust, mich zu verbiegen, damit Menschen, die mich gar nicht kennen, eine bessere Meinung von mir haben. Es stimmt, dass ich Fremden gegenüber oft distanziert bin. Wenn jemand, den ich nicht kenne, auf mich zustürmt und mich in den Arm nehmen will, ist mir das unangenehm. Ich hatte darüber schon viele Diskussionen. Mein Manager Roland Bebak sagt oft zu mir, ich soll freundlicher gucken, mehr lächeln. Aber ich bin kein Clown, kein Schauspieler, und wenn ich einen schlechten Tag habe, dann nehme mich mir das Recht, schlecht gelaunt zu sein. Ich akzeptiere ja auch, dass andere so sind, wie sie sind.

Wenn man ein Star sein will, muss man allerdings gewisse Dinge besser beherrschen als der Normalbürger.

Ich weiß doch, dass es dazugehört, sich Zeit für die Fans zu nehmen und auch für TV-Spots oder Werbepartner den passenden Star zu verkörpern. Mir fällt das heutzutage auch leichter als früher. Aber am Ende interessiert die Fans doch vor allem das, was ich im Ring darstelle. Ich möchte als ein Boxer wahrgenommen werden, der Schlachten liefert. Und als ein ehrlicher Mensch, der so ist, wie er ist.

Ihr neuer TV-Partner Sat.1 plant für Sie einen Walk-in, wie es ihn noch nie in Deutschland gab. Sie werden als Superstar verkauft. Verliert man da manchmal den Blick für die Realität?

Ich gebe schon zu, dass es mir schon sehr schmeichelt, was Sat.1 für mich macht. Die pushen mich extrem, besser ist wohl noch kein Sportler in Deutschland vermarktet worden. Dass meine Karriere mal solche Dimensionen annehmen würde, habe ich als kleiner Amateur nicht mal geträumt. Es zeigt mir, dass man an mich glaubt, und dass der Weg, den ich gewählt habe, richtig war. Ich denke aber nicht, dass ich deswegen den Boden unter den Füßen verliere wie schon einmal in meiner Karriere. Vor meinem ersten Kampf gegen Javier Castillejo habe ich mich unbesiegbar gefühlt, und so habe ich dann auch trainiert und geboxt. Ich habe ihn unterschätzt, und dafür habe ich die Quittung bekommen, indem er mich ausgeknockt hat. Daraus habe ich gelernt und bin reifer geworden.

Als Ihre Mutter 2006 starb, hatten Sie eine richtige Lebenskrise, wollten sogar mit dem Boxen aufhören. Was hat Sie letztlich bewogen weiterzumachen, und was haben Sie daraus gelernt?

Meine Mutter war der wichtigste Mensch in meinem Leben, sie war mein bester Gesprächspartner. Es hat drei Jahre gedauert, bis ich ihren Tod verarbeitet hatte. Ich denke immer noch sehr viel an sie. In dieser schweren Zeit hat mir besonders meine Frau Jasmin geholfen. Sie ist sehr ehrlich und direkt und hat mir immer gesagt, was sie von dem hält, was ich tue. Ich glaube nicht, dass ich ohne sie diesen Weg gegangen wäre. Zum Glück hatte meine Mutter sie noch kennengelernt. Sie hat damals gesagt: ‚Du hast die Frau fürs Leben gefunden!’ Sie hatte Recht.

Im vergangenen Jahr kam Ihr erstes Kind zur Welt. Hatte dieser Einschnitt auch Konsequenzen auf Ihre Entscheidung, sich selbstständig zu machen?

Mein Sohn hat mein Leben auf die schönste Art und Weise verändert, die man sich vorstellen kann. Natürlich macht man sich viele Sorgen um alles, und mein wichtigstes Ziel ist jetzt, meine Familie so schnell wie möglich finanziell abzusichern.

Ist da der Schritt in die Selbstständigkeit nicht eher riskant? Die Unsicherheit ist doch jetzt größer.

Das denken viele, aber ich empfinde das nicht so. Jeder Boxer kann immer verlieren oder sich schwer verletzen, egal, ob er einen Promoter hat oder nicht. Ich denke aber immer positiv, und ich finde, dass die Selbstständigkeit gar nicht schlimm ist, sondern viel mehr Positives mitbringt.

Ihr alter Promoter glaubt, dass Sie viel mehr Geld verdienen könnten, wenn Sie bei ihm geblieben wären.

Als ob es darauf ankommt! Ich habe immer gesagt, dass ich auch die Hälfte von dem akzeptieren würde, was ich bei Universum verdient habe, wenn ich nur meine Freiheit bekomme. Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich verdiene.

Haben Sie sich Rat geholt bei Sportlern wie beispielsweise den Klitschko-Brüdern, die einen ähnlichen Schritt gemacht haben?

Ich habe mit Wladimir Klitschko zweimal geredet, er hat mir viel Glück gewünscht. Aber Rat habe ich mir nicht geholt. Ich wollte ja auch niemanden kopieren, sondern meine eigene Linie verfolgen.

Denken Sie, dass Sie die Folgen der Selbstständigkeit schon überblicken? Hätten Sie beispielsweise damit gerechnet, dass es so schwierig wäre, einen guten Gegner zu finden?

Es war mir absolut klar, welche Aufgaben auf uns zukommen und was das alles kostet. Aber wenn man das richtige Team hat, ist das alles nicht schlimm. Deswegen stehen wir jetzt da, wo wir stehen, und wir stehen doch ganz gut.

Trotzdem: Sie hatten nach der Trennung von Universum gesagt, nur noch die Großen der Welt boxen zu wollen. Nun kämpfen Sie gegen Giovanni Lorenzo, der gegen Sebastian Sylvester verloren hat, den Sie deklassiert haben. Große Kämpfe stellt man sich anders vor.

Ja, das können Sie so sehen, ich sehe es anders. Lorenzo hatte bei seinen beiden WM-Kämpfen Pech, er hat in Deutschland gegen Sylvester nach Punkten verloren, was schon vielen Ausländern passiert ist. Er gehört beim US-Pay-TV-Sender Showtime zur „Next Generation“, und ich bin mir sicher, dass er einen guten Kampf machen wird. Wenn die Leute das sehen, werden sie wissen, dass meine Wahl in Ordnung war.

Sie haben eine ganze Reihe namhafter Leute angefragt, keiner hat zugesagt. Haben Sie zu wenig Geld geboten, oder was war das Problem?

Am Geld lag es nicht. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir waren uns mit dem Manager von Kermit Cintron einig, auch die Summe war schon verhandelt. Doch dann hat er trotzdem abgesagt.

Wie erklären Sie sich das also?

Ich denke, viele haben keine Lust, gegen Felix Sturm zu boxen.

Dann müssen Sie sich also davon verabschieden, nur die Großen zu boxen?

Was sind denn schon Große? Der Argentinier Sergio Martinez ist Doppelweltmeister, aber wer kennt ihn schon in Deutschland? Warten Sie es ab, wir sind erst am Anfang und werden schon noch ein paar gute Kämpfe anbieten, auch gegen Sportler mit großem Namen.

Wenn die sich scheuen, nach Deutschland zu kommen, sind Sie dann auch bereit, im Ausland anzutreten?

Grundsätzlich natürlich. Aber Deutschland hat Priorität, hier haben wir viel vor, weil ich hier bekannt bin.

Könnte Sie auch ein Wechsel der Gewichtsklasse reizen, um bessere Gegner zu finden? Stichwort Arthur Abraham…

Natürlich, Supermittelgewicht oder Halbschwergewicht wäre kein Problem, auch wenn das Mittelgewicht immer eine Klasse war, in der die Besten der Welt angetreten sind. Aber ich bin für alles offen, das ist ja der Vorteil davon, dass ich allein entscheiden kann.

Sie können nun auch allein entscheiden, wie lang Ihre Karriere dauern soll. Denken Sie schon daran, was danach kommt?

Nein, ich denke nur an das, was ich in der Gegenwart erreichen will.

Dabei kümmern Sie sich schon jetzt in Ihrem Gym um andere Boxer, und Sie sind in Bosnien, der Heimat Ihrer Eltern, als Wohltäter aktiv. Sehen Sie sich als Trainer oder gar Politiker?

Politiker nicht, Trainer könnte ich mir vorstellen. Ich habe von meiner Mutter schon früh gelernt, immer zu teilen, und das versuche ich. Ich bin aber keiner, der Schecks in die Kamera hält oder sich als Ratgeber brüstet, ich unterstütze lieber im Stillen.

Könnte es also auch sein, dass Sie ein Leben abseits des Rampenlichts führen?

Absolut, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Ich bin kein Typ, der jeden kennen muss oder auf jeder Gala herumrennt. Ich genieße es, wenn ich im Urlaub nicht erkannt werde, oder wenn ich in meiner Freizeit Ehemann und Vater sein kann. Vielleicht wandern wir in ein Land aus, wo uns gar keiner kennt. Aber diese Zeit ist noch nicht gekommen. Für mich steht das Boxen im Vordergrund. Deshalb bin ich froh, dass es endlich wieder losgeht.