Der Gewinner der Partie wird im Halbfinale auf Deutschland treffen. England hat bisher noch kein EM-Endrundenspiel gegen Italien gewonnen.

Krakau. Vor der EM waren die Zweifel groß. Selbst die zum Überschwang neigenden englischen Fans hatten mit einem kurzen Auftritt ihrer Mannschaft gerechnet. Die Probleme des Teams schienen einfach zu zahlreich. Trainer Roy Hodgson hatte erst Anfang Mai seinen Job als Nachfolger des zurückgetretenen Fabio Capello angetreten. Mit Frank Lampard, Gareth Barry und Gary Cahill fielen gleich drei Schlüsselspieler verletzungsbedingt aus. Und ausgerechnet Hoffnungsträger Wayne Rooney war wegen einer Roten Karte aus der Qualifikation in den ersten beiden Partien gesperrt.

Mit einem Sieg gegen Italien in Kiew (20.45 Uhr/ARD/ Liveticker auf abendblatt.de) stünde England zum ersten Mal seit 16 Jahren wieder in einem Halbfinale. Die Spieler glauben unterdessen an ein Weiterkommen: "Es hat viele Leute gegeben, die an uns gezweifelt haben. Doch wer uns kennt, weiß, dass all das Teil eines Plans ist“, sagt Torhüter Joe Hart und ergänzt: "Wir sind hier, um den Titel zu gewinnen.“

Das letzte EM-Halbfinale hat England 1996 gegen Deutschland verloren. Der letzte und einzige Titelgewinn eines englischen Teams gelang bei der WM 1966 – vor 46 Jahren. Auf solche Zahlen gibt die junge Mannschaft allerdings wenig. Für Hart zählt jetzt nur, "dass wir Gewinner sind“.

Dem 64 Jahre alten Trainer Roy Hodgson ist es in nur sieben Wochen gelungen, ein Team zu bilden, das an sich glaubt und als Einheit auftritt. "Jeder von uns gibt alles für den anderen. Wir sind eine großartige Gemeinschaft“, sagt Kapitän Steven Gerrard.

Auch wenn der defensiv geprägte Fußball unter Hodgson nicht immer ansehnlich ist, führt er doch zum Erfolg. "Wir sind besser organisiert als je zuvor“, schwärmt Rooney. In der Abwehr harmoniert das neu formierte Innenverteidiger-Duo Joleon Lescott und John Terry. Im Mittelfeld glänzt Steven Gerrard als starker Vorbereiter. Im Angriff ist Offensivstar Wayne Rooney längst nicht mehr Alleinunterhalter. Mit Danny Welbeck, Theo Walcott und Andy Carroll haben sich Alternativen aufgetan. Jeder von ihnen hat bei diesem Turnier bereits getroffen.

Neben erfahrenen Spielern wie Gerrard oder Champions-League-Sieger Ashley Cole kann Hodgson auf viele hoffnungsvolle Talente zurückgreifen. Welbeck oder Walcott sind nur zwei von ihnen. Damit stellt England das drittjüngste Team der EM - und eine Mannschaft mit großem Erfolgshunger.

Dagegen beschäftigt in italien vor allem die Euro-Krise und der Wettskandal. Die Lage ist derzeit alles andere als rosig. Ein gutes Abschneiden bei der EM wäre da Balsam für die geschundene italienische Seele, das hat zuletzt sogar Staatspräsident Giorgio Napolitano mehrfach deutlich gemacht. Und bislang hat das Team von Trainer Cesare Prandelli die Erwartungen schon übertroffen.

"Wir sind nicht die stärkste Mannschaft des Turniers, aber wir sind sehr entschlossen, und wir wollen uns weiter verbessern“, erklärt der Coach. Die starke Leistung beim Unentschieden gegen Spanien zum Auftakt hatten den Italienern nur wenige zugetraut, beim 1:1 gegen Kroatien gefiel die erste Hälfte, gegen die unbequemen Iren gab es einen glanzlosen, aber letztlich ungefährdeten 2:0-Sieg.

Prandelli hat das Team 2010 nach dem enttäuschenden Vorrunden-Aus bei der WM 2010 in Südafrika übernommen. Er baute es um und impfte den Akteuren seine Philosophie ein – weg von statischem Ergebnisfußball, hin zum schnellen und attraktiven Spiel. "Wir müssen den Mut haben, neue Wege zu gehen. Wir brauchen eine europäische Mentalität“, sagt der 54-Jährige und nennt als Vorbild den Fußball von Meister Juventus Turin – entsprechend bilden sieben Juve-Spieler auch den größten Block der Squadra Azzurra.

Das eigentliche Prunkstück ist der Angriff. Allerdings konnten die Spitzenstürmer Mario Balotelli (Manchester City) und Antonio Cassano (AC Mailand) bei der EM bislang nur teilweise überzeugen. Im Mittelfeld kommt den beiden Weltmeistern von 2006, Spielmacher Andrea Pirlo (Juventus Turin) und Abräumer Daniele De Rossi (AS Rom), zentrale Bedeutung zu.

Nominell am schwächsten besetzt ist die Verteidigung – eher ungewöhnlich für das Land des Catenaccio. Bekanntester Name und zugleich einziger Spieler mit Bundesliga-Erfahrung: Andrea Barzagli. Der Ex-Wolfsburger fehlte in den ersten beiden Spielen wegen einer Oberschenkelverletzung. Prandelli stellte erfolgreich auf Dreierkette um – mit De Rossi als zentralem Spieler.

Nach Barzaglis Rückkehr spielte das Team dann wieder mit Viererkette, zeigte aber die unsicherste Abwehrleistung der Gruppenspiele. Ausgeglichen werden die Schwächen in der Abwehr durch einen überragenden Keeper: Gianluigi Buffon, vierfacher Welttorhüter des Jahres und Mannschaftskapitän, ist der ruhende Pol des Teams.

Egal wie die EM für die Italiener ausgeht – Prandelli wird auch danach Trainer bleiben. Verbandspräsident Giancarlo Abete hatte ihm bereits nach dem Spanien-Spiel eine Jobgarantie bis 2014 gegeben.

Statistiken zum Spiel:

Die Engländer, die am Sonntag auf Italien treffen, haben bei EM-Endrunden noch kein einziges K.o.-Spiel in regulärer Spielzeit gewonnen, der einzige Triumph gegen Spanien bei der EURO 1996 kam per Elfmeterschießen zustande. Und dies fand im heimischen Wembley-Stadion statt, nur dort haben die Engländer bei K.o.-Runden aller Turniere die Großen des Fußballs schlagen können: Argentinien, Portugal und im legendären Endspiel Deutschland bei der WM 1966 und eben Spanien 1996.

Außerhalb Wembleys hatten sie gegen die anderen Fußball-Großmächte keine Chance. Die elf Duelle auf neutralem oder gegnerischen Boden wurden alle verloren, drei davon gegen Deutschland (bei den Weltmeisterschaften 1970 in Mexiko, 1990 in Italien und 2010 in Südafrika). Außer bei den beiden Heimturnieren hat das Nationalteam aus dem Mutterland des Fußballs in allen Endrunden seit der WM 1950 überhaupt nur fünf Spiele gewonnen, gegen Paraguay (1986), Belgien, Kamerun (beide 1990), Dänemark (2002) und Ecuador (2006).