Mit einem Sieg bei der Handball-EM gegen Polen wäre die Teilnahme für Deutschland am Qualifikationsturnier für Olympia schon gesichert.

Belgrad. Wer bei dieser Handball-Europameisterschaft auf Spurensuche geht, der wird alsbald bei Oliver Roggisch fündig. Die Nase des 33 Jahre alten Abwehrrecken der Rhein-Neckar Löwen weist auf der rechten Seite eine weitere Delle auf, Folge eines Nasenbeinbruchs aus dem Vorrundenspiel gegen Schweden. Danach eine Pause einzulegen, kam Roggisch nie in den Sinn. "Wir haben bei dieser EM noch einiges vor", sagt er. Und dafür wird der Weltmeister von 2007 gebraucht.

Das wichtigste Vorhaben könnte die Nationalmannschaft heute mit einem Sieg im letzten Hauptrundenspiel gegen Polen (16.15 Uhr, ZDF) abhaken, bestenfalls sogar mit einem Unentschieden. Das Halbfinale wäre erreicht und die Qualifikation für eines der drei olympischen Ausscheidungsturniere geschafft. In denen werden über Ostern die letzten sechs Teilnehmer für die Sommerspiele in London ermittelt. Nur noch zwei Startplätze sind unter all jenen zu vergeben, die bei der WM 2011 nicht unter den besten sieben waren. Einen hat EM-Gastgeber Serbien sicher, der wie Spanien und Kroatien bereits im Halbfinale steht.

Andererseits ist auch ein vorzeitiger K. o. aller London-Pläne nicht ausgeschlossen. Sollten die Deutschen gegen Polen verlieren, könnten sie in der Hauptrundengruppe eins vom zweiten auf den fünften Platz zurückfallen.

Jetzt also das nächste Endspiel, nachdem beim 26:28 gegen Vizeweltmeister Dänemark der erste Matchball vergeben wurde. Polen. WM-Endspielgegner 2007. Damals in Köln gewannen die Deutschen 29:24. Die Beogradska-Arena ist mit einer Kapazität von bis zu 20 000 Zuschauern ähnlich groß wie die Lanxess-Arena, sie wird heute jedoch höchstens zu einem Drittel gefüllt sein. "Wir benötigen keine Motivation von außen", sagt der Kieler Dominik Klein, einer der Weltmeister von vor fünf Jahren. "Wir können mehr erreichen, als die meisten von uns erwartet haben, und das stimuliert uns." Optimismus hat sich im deutschen Kader breitgemacht, Bundestrainer Martin Heuberger lebt ihn vor.

Nachdem er sich das Spiel gegen die Dänen in der Nacht auf Video angesehen und am Morgen mit den meisten Spielern gesprochen hatte, erzählt er am Mittag, er sei "nach der gemeinsamen Analyse sehr guter Dinge", überzeugt von einem Sieg gegen die in der Hauptrunde schwächelnden Polen - weil auch die Blessuren seiner Mannen sich in Grenzen hielten. Der Hamburger Kapitän Pascal Hens leidet unter Achillessehnenbeschwerden am rechten Fuß, Rückraumschütze Holger Glandorf an einer Wadenprellung. Beide sollen heute spielen können.

Im sechsten Spiel innerhalb von elf Tagen wird jeder gebraucht. "Der Substanzverlust ist enorm", sagt Roggisch, "anders als bei einer WM, wo du am Anfang nicht jedes Spiel mit voller Pulle angehen musst, bist du bei einer EM von Beginn an in jedem Moment voll gefordert." Diese Anforderungen halten die wenigsten Mannschaften 60 Minuten lang durch, entsprechend wellenförmig ist mancher Spielverlauf in Serbien. Am ersten Hauptrundenspieltag holten die Polen beim 29:29 gegen Schweden elf Treffer Rückstand auf, die Dänen bei ihrem Last-Second-Sieg gegen Mazedonien (33:32) sieben Tore wie die Deutschen bei ihrem 21:21 gegen Serbien. In dieser Häufung habe er das noch nie erlebt, sagt Roggisch.

Daher komme es mehr denn je auf die Körpersprache an, sagt der Routinier, der gegen Polen sein 171. Länderspiel bestreiten wird. "Auch wenn du keine Kraft mehr hast, du musst dich über jede gelungene Aktion für den Gegner sichtbar freuen, dich immer wieder abklatschen und laute Kommandos geben." Wer Schwäche zeigt, weiß Roggisch, verliert. Deshalb sei er gegen die Serben immer wieder mit nach vorn gelaufen, obwohl er eigentlich die Ausfahrt Bank hätte ansteuern sollen. "Ich war platt, aber das durfte ich keinem zeigen." Der Lohn waren zwei Treffer vom gegnerischen Kreis.

Polen gegen Deutschland, das scheint für den polnischen Trainer Bogdan Wenta abermals eine spezielle Herausforderung, obwohl die Chancen seiner Mannschaft, das Halbfinale zu erreichen, theoretischer Natur sein dürften. Während die Spieler dem Duell gegen ihre Bundesliga-Kollegen eher freudig gelassen entgegensehen, wirkt Wenta angespannt. NDR-Reporter Hendrik Deichmann verweigerte er in der Hotellobby den Wunsch nach einem kurzen Interview, andere Anfragen wiegelte er barsch ab.

"Natürlich wollen wir alle gegen die Deutschen gewinnen", sagt ein polnischer Spieler, der nicht genannt werden will, "aber für Bogdan ist dies das wichtigste Spiel der EM." Für die Deutschen auch. "Mit einem Sieg können wir gleich drei Dinge erledigen: Olympia-Qualifikationsturnier, Halbfinale und, wenn wir Dritter werden, die Qualifikation für die WM 2013 in Spanien", sagt Roggisch. Druck leite die Mannschaft daraus nicht ab. "Wir freuen uns auf dieses Spiel, gerade weil es um so viel geht", sagt der Bundestrainer.

Das Spiel gegen die Polen im Liveticker bei www.abendblatt.de