Nach großer kämpferischer Leistung steht das deutsche Team dicht vor dem Einzug ins Halbfinale bei der Handball-EM. Heute Duell gegen Dänemark.

Belgrad. Martin Heuberger hatte eine unruhige Nacht. "Ich habe kaum Schlaf gefunden", erzählt der Handball-Bundestrainer. Weil es den meisten Spielern ähnlich ging, musste das Medientreffen erstmals in den frühen Nachmittag verschoben werden. Die aufwühlenden Ereignisse des Vorabends bedurften gedanklicher Nachtarbeit. 8:15 hatte die deutsche Mannschaft nach 34 Minuten in Belgrad gegen Gastgeber Serbien zurückgelegen, nach 60 Minuten konnte sie wieder jubeln. Der Berliner Sven-Sören Christophersen hatte drei Sekunden vor Schluss mit einem Wurf aus neun Metern den Ausgleich zum 21:21 (7:12) erzielt und die Hoffnungen auf das Erreichen des Halbfinales der 10. Europameisterschaft wach gehalten. Mit 5:1 Zählern führen die Deutschen in der Hauptrunde eins die Tabelle vor den punktgleichen Serben an. "Wir fangen jetzt nicht an zu träumen", mahnt Heuberger, "wir denken weiter nur an das nächste Spiel." Das ist heute Abend gegen Vizeweltmeister Dänemark (18.20 Uhr, ZDF).

In Serbien vollzieht sich derzeit die Metamorphose einer Mannschaft. Schien diese nach der 24:27-Auftaktniederlage in Nis gegen Tschechien, wie von manchem Experten erwartet, keinen höheren internationalen Ansprüchen zu genügen, wäre nun das Verpassen des Halbfinales fast schon eine Enttäuschung. Selbst bei einer Niederlage gegen Dänemark reichte am Mittwoch (16.15 Uhr, ZDF) ein Sieg gegen Polen, um die Runde der letzten vier am Freitag zu erreichen. Wenn die Spieler ihre Wandlung erklären sollen, beginnen sie ihre Geschichte stets mit dem emotionalen ersten 24:23-Vorrundensieg gegen Mazedonien. "Aus dieser Begegnung haben wir viel Selbstbewusstsein gezogen. Die Halle war gegen uns, doch wir sind cool geblieben", sagt Linksaußen Uwe Gensheimer. "Wir wussten von da an, dass wir mehr leisten können, als uns viele zugetraut haben."

+++ Christophersen hat endlich seinen Babyspeck abgelegt +++

+++ Warum der deutsche Retter ein grünes Leibchen trug +++

Kampf, Einsatz und Willen, "das sind unsere deutschen Tugenden", sagt Horst Bredemeier, Vizepräsident Leistungssport des Deutschen Handballbundes. Diese offenbar urgermanischen Eigenschaften haben auch dieses Team immer ausgezeichnet, nach dem Schlüsselerlebnis gegen Mazedonien kehrte zudem der Glauben an die eigenen Fähigkeiten zurück. Und der half gegen Serbien, einen Rückstand von sieben Toren auszugleichen. Der Berliner Torhüter Silvio Heinevetter leistete mit seiner Weltklasseleistung, Fangquote: 43 Prozent, einen maßgeblichen Beitrag dazu. In den letzten sieben Minuten, Stand: 21:19 für Serbien, ließ er keinen Gegentreffer mehr zu, drei Minuten vor Schluss konnte ihn Ivan Nikcevic bei Tempogegenstößen nicht einmal aus nächster Distanz überwinden.

Wer die bisherigen EM-Ergebnisse betrachtet, wird erkennen, dass in Serbien keine weit überdurchschnittlichen Leistungen nötig sein werden, um in den Medaillenwettstreit eingreifen zu können. Auch deshalb darf Heubergers Männern in diesem Turnier einiges zugetraut werden. Sie sind bereit, in jeder Sekunde für ihre Chance zu kämpfen. Moral und Charakter stimmen, die Abwehrarbeit auch, dem Angriff dagegen fehlt weiter Durchschlagskraft. Allein die Mannheimer Außen Gensheimer (links) und Patrick Groetzki (rechts) sind selbst aus ungünstigen Wurfwinkeln zu Außergewöhnlichem in der Lage. "Leider erhalte ich immer noch zu wenig Bälle", klagt Gensheimer.

Der Raubbau der vergangenen Jahre scheint bei den Spitzenmannschaften Spuren hinterlassen zu haben. Weltmeister Frankreich und Dänemark, die beiden überragenden Teams der WM 2011 in Schweden, sind mit null Punkten in die Hauptrunde gestartet. Ihre Spieler sind nicht nur Jahr für Jahr in ihren Nationalteams gefordert, das gestiegene Pensum in ihren Vereinen lässt sie zehn Monate lang nicht zur Ruhe kommen. Hier kommt ein Plus der Deutschen ins Spiel, ihre Ausgeglichenheit. Heuberger hat stets auf diese Stärke gesetzt, die Einsatzzeiten auf möglichst viele Spieler verteilt. Auch darum war gegen Serbien dieser Kraftakt in der zweiten Hälfte möglich.

Tore: Serbien: Ilic 6 (1 Siebenmeter), Nikcevic 4, Stankovic 3, Prodanovic 2, Cutura 2, Stojkovic 2, Manojlovic 1, Toskic 1; Deutschland: Gensheimer 5 (3), Glandorf 4, Groetzki 4, Roggisch 2, Christophersen 2, Kaufmann 2, Pfahl 1, Theuerkauf 1. Schiedsrichter: Abrahamsen/Kristiansen (Norwegen). Zuschauer: 14 000. Zeitstrafen: 4; 4. Kapitän Pascal Hens (HSV) droht wegen eines Magen-Darm-Virus gegen Dänemark auszufallen.