Die kirchliche Begegnungsstätte bietet Kindern und Eltern zwanglosen Urlaub für die Seele.

Regen prasselt auf das alte Kopfsteinpflaster, Glocken läuten schüchtern herüber, die morgendliche Luft duftet noch unverbraucht. Eine Gruppe von Kindern eilt mit schnellen Schritten durch den Innenhof der Burg zur barocken Kapelle gegenüber. Alfred Häßler hält die Morgenandacht. Doch andächtig ist es in dem kleinen Gotteshaus nicht. "Der Himmel geht über allen auf", singen die Kleinen mit voller Stimme und strecken dabei ihre Hände empor. Es macht ihnen Spaß. Als der Pastor anschließend auf die Empore steigt, den großen Taufengel mit einer Seilwinde langsam von der Decke herunterlässt, will ein Junge wissen, warum der Engel so groß ist. Es sei doch praktisch, von so einem großen Schutzengel beschützt zu werden, erklärt das Mädchen neben ihm.

Als evangelische Enklave im katholischen Eichfeld thront die mehr als 900 Jahre alte Burg Bodenstein auf einem Bergsporn am Rand des Ohmgebirges in der geografischen Mitte Deutschlands. In der DDR als Müttererholungsheim genutzt, wurde die Anlage von der Evangelischen Kirche in den 90er-Jahren saniert und wird seitdem vor allem von Gruppen und Familien mit Kindern genutzt.

"Kinder Glauben erleben lassen" lautet das Credo Häßlers, der sich neben den geistlichen auch gerne um die weltlichen Dinge auf Burg Bodenstein kümmert: Kletterkurse etwa, bei denen Kinder lernen, was ein "Achter" ist und wozu er da ist, oder Kabarettveranstaltungen sowie politische Gesprächsabende, etwa zum Thema "40 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel".

"Als wir das Konzept für die Burg entwickelten, wollten wir preiswerten Urlaub mit Familienbildung verbinden - aber anders", sagt Häßler. Auf Bodenstein sollte es Gelegenheit geben, über alltägliche Probleme zu sprechen und - ganz wichtig - zwanglos sollte es sein. Ebenso, wie es den kleinen Kirchgängern freisteht, die Morgenandacht zu besuchen, kommt auch zur Morgenmeditation mit leichten Yogaübungen nur, wer wirklich will. Und natürlich ist auch die Teilnahme am Elterntreffen zu Erziehungsfragen keine Pflicht.

Ob mit oder ohne Morgenmeditation oder Elterntreff: Die Burg inmitten praller Natur ist mit ihrem großzügig angelegten Garten und dem gleichermaßen unaufgeregten wie hilfsbereiten Personal genau der richtige Ort, um mit der Familie zu entspannen, Urlaub für die Seele zu machen. Viele kommen wieder.

Zum Beispiel Christian Machate. Der Lehrer besucht die Burg schon zum sechsten Mal. Nach anderthalb Jahren Wartezeit hat er es diesmal endlich geschafft, mit seiner Familie die begehrte "Dornröschen-Suite" im Nordwestturm der Burg zu ergattern. Durch die neugotischen Fenster blickt man nicht nur hinunter auf den herrlichen Burgpark, sondern genießt auch einen Panoramablick auf das Dorf Wintzingerode am Fuße des Ohmgebirges. "Ein Traum", schwärmt der 40-Jährige. "Ne richtige Raubritterburg, und das Beste daran: Die Kinder können alle historischen Gegenstände und Möbel selbstverständlich benutzen." Sogar die alte Zugbrücke wird unter dem vergnügten Gejauchze der an den Eisenketten zerrenden kleinen und großen Gäste mal eben ausprobiert.

"Bei uns sollen Eltern und Kinder sowohl zusammen als auch getrennt auf ihre Kosten kommen", sagt Anja Ostmann, eine der beiden Freizeitpädagoginnen auf der Burg. Wichtig ist ihr, dass sich die Eltern auch einmal "rausziehen können". Während die Erwachsenen durch die ausgedehnten Laubwälder in der Umgebung wandern oder in der burgeigenen Sauna schwitzen, ziehen die Kinder auf Schatzsuche, veranstalten Burgrallyes oder machen sich auf ökologischen Bachwanderungen mit der Natur vertraut. "Wir versuchen, vieles möglich zu machen", sagt die Pädagogin. Babysitting für die Allerjüngsten ist da ebenso wenig ein Problem wie eine Klettertour hinunter in das sechs Meter tiefe Verlies.

"Das alles kommt richtig gut an - nicht nur bei Kindern", meint Anja Schweitzer, deren sechsjähriger Sohn Fridtjof gerade vom Kletterkurs am Turm zurückkehrt. Der passionierte Bergsteiger Häßler hat dem Jungen beigebracht, dass der "Achter" seinen Namen der charakteristischen Form verdankt und dass dieser Karabinerhaken zum Abseilen und Sichern da ist.

Voller Lob ist Schweitzer auch für die Freizeitpädagoginnen: "Man spürt, dass sie selbst Spaß daran haben." Besonders beliebt bei Kindern seien die Gruselabende, während der die Pädagoginnen in der Gruft vor dem über 400 Jahre alten Totenschädel Ritter Bartholds schaurige Geschichten über den ehemaligen Burgherren erzählen.

"Als Eltern müssen wir uns endlich mal nicht um alles kümmern", sagt Schweitzer. Die Burg sei wie ein riesiger Abenteuerspielplatz, ohne Straßenverkehr in der Nähe. Für besonders angenehm hält sie, dass Kinder wie Erwachsene unkompliziert Anschluss finden, wenn sie wollen - sich dank der Größe der Anlage aber auch ebenso unkompliziert zurückziehen können.

Vielleicht deswegen ist Bodenstein selbst für Familientreffen der besonderen Art sehr beliebt. Häßler staunt noch heute, wenn er vom Besuch einer rund 120-köpfigen, zwischen Hamburg und München verstreut lebenden Familie berichtet, die sich für einige Tage auf der Burg traf. Doch auch zu anderen Anlässen bietet sich Bodenstein an.

Diplom-Ingenieur Uwe Richter aus Berlin hat sein Moskau-Studium für ein Wochenende hierher geführt. Auch seine ehemaligen Studienkollegen sind mit ihren Familien in ganz Deutschland verstreut. Für das Treffen in Bodenstein entschieden sie sich wegen der zentralen Lage der Burg in Deutschland. Mit über 50 Personen - darunter viele Kinder - haben sie sich in der Anlage einquartiert. Und weil etwa die Hälfte der Kosten vom Land Thüringen und der Kirche übernommen wird, ist das nicht mal besonders teuer. Die Übernachtung mit Vollpension kostet für Erwachsene 37,50 Euro, bei niedrigem Einkommen 28 Euro. Kinder sind schon ab sechs Euro dabei.