Hameln: Ungewöhnliche Geschichtsinszenierung mit High-Tech-Exponaten. Ein Ausflug in die Vergangenheit: Der Themenpark in der Rattenfängerstadt versetzt Besucher in eine andere Epoche.

Für die Kicker um Zinedine Zidane hat sich die Fußball-Weltmeisterschaft durchaus gelohnt. Schließlich sind sie bis ins Finale gekommen, und sie haben in den WM-Wochen fürstlich residiert. Das französische Nationalteam wohnte nämlich im Schloss Schwöbber bei Hameln, einem der schönsten Bauwerke der Weserrenaissance. Es wurde aufwendig saniert und heißt heute "Schlosshotel Münchhausen".

Hameln ist neuerdings erste Adresse in Sachen Renaissance. Das komplett umgebaute Hochzeitshaus in der Altstadt ist Zentrum eines Netzwerks mit dem Namen "Erlebniswelt Renaissance". Dieses von der EU geförderte Pilotprojekt bietet in anfangs gewöhnungsbedürftiger, dann aber faszinierender High-Tech-Manier eine spannende Zeitreise durch die Epoche von 1350 bis 1650. Es waren Jahrhunderte des Aufbruchs aus der Düsternis des Mittelalters, der gewaltigen Umwälzungen durch revolutionäre Ideen und Erfindungen.

Mit einem "e-guider" wird der Besucher dieses ungewöhnlichen Museums zurück in das Jahr 1617 gebeamt - vor den mehr als 30 Themeninseln jeweils präzise geortet und per Display gefragt, was er genauer erklärt haben möchte. Würde der Besucher allen Erläuterungen lauschen, müsste er sich sieben Stunden Zeit nehmen für all die lebendigen Bilder und Hörspiele.

Der Radius reicht weit über den Weserraum hinaus. Man begegnet Leonardo da Vinci und Michelangelo, Albrecht Dürer erklärt die Entdeckung der Perspektive in der Malerei, Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit ihren kulturellen Auswirkungen wird ebenso beschrieben wie Magellans erste Weltumseglung und der Umbruch durch den Reformator Martin Luther. Besonders eindrucksvoll ist immer wieder die Schilderung des Alltags, des Lebens der einfachen Leute, der Plackerei der Mägde.

Wer schon einige der typischen Weserrenaissance-Bauten in Hameln und Umgebung gesehen hat, der kann an einem digitalen Baukasten-Spiel seine Beobachtungsgabe testen, indem er selbst zum Architekten wird: Welche Fenster, Giebel, Erker passen zusammen? Wer alles richtig macht, bekommt ein dickes Lob vom allwissenden Computer. Anregungen findet man auf Streifzügen im Weserbergland reichlich. Denn in kaum einer Region gibt es derart viele Renaissance-Bauten wie in dieser Region. Dort brach von 1520 bis zum Dreißigjährigen Krieg ein regelrechter Bauboom aus. Bauern und Händler verdienten gut mit dem Getreidehandel. Die Weser war wichtiger Handelsweg. Weserschiffer Jost Ziegenhort erzählt im Heimatmuseum Hochzeitshaus vom Ärger der Kaufleute auf dem Weg von Höxter nach Bremen, von der Abzocke in den Städten mit Stapelrecht, wo die Waren abgeladen und verzollt werden mussten.

Vom Reichtum der damaligen Zeit zeugen diverse Bauwerke. Vorbild waren Gebäude in Italien und Flandern, die heimischen Kaufleuten auf ihren Geschäftsreisen aufgefallen waren. Aber es wurde nicht einfach abgekupfert. Eine regionale Ausprägung dieses Baustils entwickelte sich: die Weserrenaissance mit ihren an Ornamenten besonders reichen Fassaden. Markant sind die geschwungenen Giebel, die bunten Fächerrosetten, die farbenprächtigen Balkenverzierungen und die "Utluchten" genannten erkerähnlichen Vorbauten. Für diesen norddeutschen Beitrag zur Architekturgeschichte entdeckte der Adel eine ganz besondere Methode der Baufinanzierung. Er verlieh seine männlichen Landeskinder als Soldaten, wann immer irgendwo ein Krieg ausbrach, und baute sich von den Leihgebühren Schlösser mit schmucken Sandstein-Fassaden. Sandstein war das Baumaterial der "Steinreichen", während die Bürgerli-chen ihren Wohlstand vorwiegend mit fein geschnitztem Fachwerk zur Schau stellten.

Zu Exkursionen laden Außenstationen des Netzwerks "Erlebniswelt Renaissance". Das siebeneckige Mausoleum des Fürsten Ernst von Holstein-Schaumburg in Stadthagen gehört bereits dazu, und in Rinteln führt ein in die Bürgerstochter Lukretia verliebter virtueller Student die Besucher durch die Gassen einer der ersten protestantischen Universitätsstädte. Weitere Außenposten kommen im Laufe des Jahres hinzu: In Höxter folgt man dann den Spuren eines Kriminalfalles, in Bückeburg hält der Fürst glanzvoll Hof, und im Schloss Bevern schildert Statius von Münchhausen die Geschichte seines steilen Aufstiegs und tiefen Falls. Statius ist übrigens, wie auch der Erbauer von Schloss Schwöbber, nicht identisch mit dem als Lügenbaron in die Literaturgeschichte eingegangenen Münchhausen, dessen Geburtshaus in Bodenwerder steht.

Hauptziel für einen Schnellkurs in Sachen Weserrenaissance aber ist Hameln. Hochzeitshaus, Dempterhaus, Rattenfängerkrug sowie das Duo Stiftsherren- und Leisthaus sind Musterbeispiele - und im nahen Emmertal das Schloss Hämelschenburg. Aber mehr als mit den Schätzen der Renaissance lockt Hameln natürlich wegen seiner Rattenfänger-Geschichte Besucher an. Im Sommer erinnern jeden Sonntag um zwölf Uhr die Rattenfänger-Spiele und mittwochs um 16.30 Uhr das Musical "Rats" an den rätselhaften Flötenspieler, der im Jahre 1284 die Stadt von einer Rattenplage erlöste. Als der Stadtrat ihm den versprochenen Lohn verweigerte, verschwand er mit den Kindern der Hamelner auf Nimmerwiedersehen. Diese in über 30 Sprachen übersetzte Geschichte hätte sich keine Werbeagentur besser ausdenken können. Logisch, dass die Hamelner heute die Einzigen sind, die ihre Stadt auf keinen Fall rattenfrei haben möchten.