Akte ist verschollen. Pannen bei Ermittlungen im Reinfelder Missbrauchsfall vor dem Innenausschuss des Landtags. Kiel zieht Konsequenzen.

Bad Oldesloe/Kiel. Die Ermittlungspanne im Reinfelder Missbrauchsfall Nina J. (Name geändert) hat politische Konsequenzen. "Wir werden den Sachverhalt vollständig aufklären und Sicherungsmaßnahmen prüfen, damit sich ein solcher Vorfall nicht wiederholen kann", sagte Innenminister Klaus Schlie (CDU) am Mittwoch der Regionalausgabe Stormarn des Abendblattes im Anschluss an eine Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses des Landtags in Kiel. "Ich bedauere es persönlich, dass es in dem Verfahren zu einer Verzögerung gekommen ist."

Die Polizei hatte die Missbrauchsermittlungen gegen Ninas Stiefvater 2006 abgeschlossen, die Originalakte aber offenbar nicht an die Staatsanwaltschaft Lübeck weitergeleitet. Sie wurde erst 2009 tätig. Der Stiefvater wurde deshalb im Februar dieses Jahres wegen schweren sexuellen Missbrauchs zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren verurteilt.

Der Vize-Leiter der Polizeidirektion Ratzeburg, Holger Meinke, räumte im Ausschuss ein "Versäumnis" ein. Demnach hatte die zuständige Sachbearbeiterin der Kriminalpolizei in Bad Oldesloe den Fall 2006 nicht ordnungsgemäß im Polizei-PC-Programm Artus abgespeichert. So fiel niemandem auf, dass die Originalakte offenbar nicht in Lübeck ankam, die Staatsanwaltschaft kein Aktenzeichen vergab und somit kein offizielles Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde.

Meinke kündigte an, die Sachbearbeiterin zu den genauen Umständen des Falls zu befragen. Das sei bisher nicht möglich gewesen, weil die im Sommer 2009 versetzte Beamtin derzeit an einem Auslandseinsatz im Kosovo teilnimmt. "Die Polizei hat damals aber alles unternommen, was zum Wohl des Kindes nötig war", versicherte Meinke. Nina sei im Juni 2006 in ein Kinderheim gebracht worden, gleich nachdem sie vom Missbrauch durch ihren Stiefvater berichtet habe.

Der Lübecker Staatsanwalt Sönke Voss stellte im Ausschuss klar, dass er "erstmals" im August 2009 von dem Missbrauchsfall erfuhr, durch eine Nachfrage des Jugendamtes. Die Polizei habe Nina und ihren Stiefvater nochmals vernommen, "eine hervorragende Arbeit geleistet". Der Stiefvater legte ein Geständnis ab, wurde wegen 44 Missbrauchsfällen zwischen 2003 und 2006 verurteilt. "Ohne die rechtsstaatswidrige Verzögerung von drei Jahren" hätte der Mann eine Haftstrafe von fünf Jahren und neun Monaten erhalten, erinnerte Voß an das Urteil des Landgerichts Lübeck.

Klaus Schlie betonte, dass er erst seit 2009 Innenminister und damit für die Polizei zuständig ist. Er kündigte an, mit Justizminister Emil Schmalfuß (parteilos) nach Wegen zu suchen, um die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz zu verbessern. Eine Variante: Die Polizei könnte bei Ermittlungsverfahren verpflichtet werden, bei der Staatsanwaltschaft binnen einer bestimmten Frist nachzuhaken. So könnte ausgeschlossen werden, dass Akten auf dem Weg zur Anklagebehörde unbemerkt verloren gehen. Der Innen- und Rechtsausschuss forderte Schlie auf, ihn über das Ergebnis der Gespräche mit der Justiz zu informieren.

Erschüttert von den vielen Fehlern ist auch die Vorsitzende des Weißen Rings in Stormarn, Rita Funke: "Das Opfer hat durch das Geschehene schon einen tiefen Riss in der Persönlichkeit bekommen. Das darf nicht noch durch ein Misstrauen in die Institutionen verstärkt werden." Denn das große Problem sei, dass Institutionen wie Jugendamt und Polizei nicht austauschbar seien. "Und die Enttäuschung über die Institution darf nicht das letzte Wort sein, was das Opfer wahrnimmt", so Funke.

Zwar habe die Polizei ihre Arbeit sehr gut gemacht, indem sie 2006 schnell handelte, als Nina wegen eines Diebstahls vernommen wurde und klar wurde, das hinter der Tat eine erschreckende Lebensgeschichte stand. "Wenn eine Polizistin nicht erkannt hätte, da steckt mehr hinter, da liegen Perlen in der Asche, wäre das Mädchen vielleicht noch länger in der Situation gewesen", sagt Funke. Die Polizistin habe es geschafft, so viel Vertrauen zu geben, dass sich das Mädchen endlich öffnete. Doch leider sei insgesamt eine Menge schief gegangen.