Auch nach Anhörung im Jugendhilfeausschuss bleiben Fragen im Missbrauchsfall offen. Das Mädchen wurde vom Stiefvater missbraucht.

Bad Oldesloe. Der Missbrauchsfall Nina J. - auch nach der Sitzung des Jugendhilfeausschusses des Kreises in Bad Oldesloe, bei der Mitarbeiter des Jugendamtes Rede und Antwort stehen mussten, bleiben viele Fragen offen. Zwar sieht Landrat Klaus Plöger die Behörde entlastet: "Der Bericht war umfassend und detailliert. Und er hat deutlich gemacht, dass das Jugendamt ordentlich gearbeitet und sich umfassend mit dem Fall beschäftigt hat. Die einhellige Meinung der Ausschussmitglieder war, dass das Amt nicht hätte mehr machen können." Doch der Reinbeker Familienrichter Bernd Wrobel übt Kritik an der Aufarbeitung des Falles.

Was war geschehen? 44-mal hat sich der Stiefvater an Nina J. in den Jahren 2003 bis 2006 vergangen. Im Februar 2005 hatte sich das Mädchen erstmals an eine Mitarbeiterin des Stormarner Jugendamtes gewandt. Doch erst 20 Monate später, im Oktober 2006, kam Nina in ein Heim. Nach einem Diebstahl vertraute sie sich einer Polizistin an. Dann kam der Fall ins Rollen. Der Stiefvater wurde vor Gericht gestellt, das Landgericht Lübeck verurteilte den Mann aus Reinfeld am 23. Februar wegen schweren sexuellen Missbrauchs zu fünf Jahren Gefängnis.

Eineinhalb Stunden dauerte die nicht öffentliche Sitzung des Jugendhilfeausschusses, in der der Fachdienstleiter Soziale Dienste, Gerald Wunderlich, und Amtsleiter Wilhelm Hegermann den Ausschussmitgliedern Stellung bezogen. "Wir haben intensiv und wiederholt gehandelt. Es ist nicht so, dass wir nichts getan haben", unterstrich Wilhelm Hegermann am Dienstag gegenüber dem Abendblatt. 40 Kontakte und Kontaktversuche, auch Hausbesuche habe es gegeben, und das ohne Unterlass über einen längeren Zeitraum. "Dem Mädchen wurde geglaubt und der Fall wurde wie jeder andere Hinweis ernst genommen", sagt der Amtsleiter nachdrücklich. Doch sei es schwierig, wenn im familiären Umfeld versucht werde, alles zu vertuschen. Die Mutter und auch das Kind hätten die kontinuierlich angebotene Hilfe des Jugendamtes nicht in Anspruch genommen. Im Gegenteil. Immer wieder seien Termine verschoben oder nicht wahrgenommen wurden. "Dass es wirklich eine Kindeswohlgefährdung war, lag uns nicht eindeutig vor. Wir können nicht mit einer Vermutung operieren", so Hegermann. Und es hätte nichts gebracht, wenn der Stiefvater dann vor Gericht freigesprochen worden wäre. "Dann hätte das Jugendamt gar keine Handhabe mehr gehabt." Der Fall gehöre zu den schwierigsten Themen, mit dem sich das Jugendamt befasse. Und manchmal sei es wünschenswert, mehr handeln zu können. Aber die Gesetzeslage schütze nun einmal die Familie. "Wir können nicht einfach so ins Sorgerecht eingreifen, dafür brauchen wir handfeste Gründe", sagt Hegermann. Und das Sorgerecht liege nun einmal bei der Mutter.

Und gerade diese kritisiert Landrat Plöger aufs Schärfste. "Ich verstehe einfach nicht, wie eine Mutter ihr Kind in dieser Situation lassen kann." Bernd Wrobel, Familienrichter aus Reinbek, der den Fall in der Presse verfolgt hat, kann die Haltung des Jugendamtes und des Landrates nicht nachvollziehen. Und verweist auf Artikel 6, Absatz 2 des Grundgesetzes. "Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft", zitiert er und betont vor allem den zweiten Satz. Letztere seien auch das Jugendamt, Polizei und das Familiengericht. "Für mich ist es völlig unverständlich, dass das Familiengericht nicht eingeschaltet wurde", so Wrobel. "Die Beweggründe für den Rückzieher des Mädchens können so vielfältig gewesen sein. Das Mädchen kann von der Mutter oder auch vom Stiefvater unter Druck gesetzt worden sein." Allein der Verdacht hätte seiner Ansicht nach dem Gericht ausgereicht, um weitere Ermittlungen einzuleiten. Auch, um einen Verdacht zu erhärten. Es sei Unfug, nun allein die Schuld der Mutter zuzuschieben. Das Jugendamt sei der Hüter des Wohls des betroffenen Kindes und habe damit eine Wächterfunktion. "Das Familiengericht hätte handeln und die Leute vorladen können. Sie hätten kommen müssen, sonst wären Ordnungsgelder verhängt worden", erklärt Wrobel.

Hegermann: "Das hilft weder dem Kind noch uns, wenn das Familiengericht am Ende den möglichen Täter freispricht. Dann ist es für uns schwierig, noch weiter Kontakt zu halten."

Das Jugendamt, das jährlich 40 bis 50 Verdachtsfällen auf Kindesmissbrauch in Stormarn nachgehe, habe massiv versucht, sich Sicherheit zu verschaffen, erklärte auch Mark-Oliver Potzahr (CDU), der Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses. Schade sei allerdings, dass es damals noch nicht die Änderung im Familiengesetz mit der Wegweisungsklausel gegeben habe, mit der Möglichkeit, den Aggressor, also in diesem Fall den Stiefvater, aus der Familie zu holen. "Das Problem ist häufig, dass betroffene Kinder die Situation in der Familie hinnehmen, weil sie nicht von dem anderen lieb gewonnenen Elternteil weggerissen werden wollen", so Potzahr. Es sei gut, dass es seit 2009 nun eine andere Möglichkeit gebe. Ein Fehlverhalten des Jugendamtes sei aber nicht erkennbar gewesen. Auch Thomas Bellizzi (FDP), Mitglied des Jugendhilfeausschusses, habe selten so eine detaillierte Auflistung eines Falles und Versuchen von Kontaktaufnahmen gesehen.

Joachim Malecki sei überrascht gewesen, wie intensiv das Jugendamt versucht habe, Kontakt mit dem Mädchen aufzunehmen. Allerdings gebe es auch einen großen Widerspruch gegenüber den Aussagen des Mädchens. Dass ihm nicht geglaubt wurde und es lediglich Gesprächsangebote gegeben habe. "Das will ich für mich aufklären, bis es plausibel und schlüssig ist", sagte der Stormarner Kinderbeauftragte. Er will den Fall demnächst auch mit dem Arbeitskreis Sexuelle Gewalt beraten.