“Die Rehböcke sind aktiv unterwegs. Man sieht sie jetzt häufiger als sonst“, sagt Martin Seidel, Leiter der Revierförsterei Rüstje.

Deinste. Eigentlich wirkt sich die Hitze auf jeden verschieden aus. Und doch sind auch diesmal wieder dieselben Rituale zu beobachten: Männliche Teenager, soeben der mütterlichen Obhut entwachsen, machen dem weiblichen Geschlecht Avancen und kleben der einen oder anderen schönen Dame schon mal an den Fersen. Manch einer versucht sogar, einem älteren Herrn die junge Begleitung abspenstig zu machen, was natürlich zu Stress führt.

Den gibt es auch abseits der amourösen Piste, auf beruflichem Gebiet. Sommerzeit ist für spezielle Exemplare auch die Zeit der Revierkämpfe, die Geweihe krachen hitzebedingt ineinander. Andere hingegen entdecken in der schönen Jahreszeit ihren Familiensinn und führen stolz den Nachwuchs spazieren. Wieder andere lassen sich von dem ganzen Spektakel nicht irritieren - sie sonnen sich oder gehen in Ruhe baden. Auch, wenn es sich bei dem See eigentlich um einen stinkenden Drecktümpel handelt.

Wie friedlich dagegen der Wald, mag der Stadtmensch denken - nicht ahnend, dass sich genau dieselben Vorgänge auch und gerade unter Bäumen und auf Lichtungen, am Feldrand und über Wipfeln abspielen. Wer wüsste all dies besser als Martin Seidel, Revierleiter der Revierförsterei Rüstje? Wir haben uns an diesem Tag mit ihm verabredet, um dem sommerlichen Treiben im größten Waldgebiet des Landkreises Stade auf die Spur zu kommen.

"Die Rehböcke sind aktiv unterwegs. Man sieht sie häufiger als zu anderen Jahreszeiten", sagt Martin Seidel. Und das hat einen besonderen Grund: Für das Rehwild ist zurzeit Paarungszeit. Die weiblichen Rehe, genannt "Ricken", seien zurzeit mit ihrem erst im Frühjahr geborenen Nachwuchs unterwegs, allerdings auch schon bereit für das nächste Intermezzo. "Das ist eine Spezialität des Rehwildes", sagt Martin Seidel. Die männlichen Tiere, bekannt als Böcke, würden mit "Fieplauten" vonseiten der Ricken angelockt werden. Ganz so einfach ist die Sache dann allerdings doch nicht: "Die Ricke entfernt sich immer wieder und stachelt dadurch den Rehbock an, sich mit ihr zu beschäftigen", sagt Seidel.

Die Wahl fällt dabei meistens auf den sogenannten "Territorialbock", der ein eigenes Revier vorweisen kann. Manchmal bekommt er allerdings Konkurrenz: Junge Böcke ohne Revier, sogenannte "Jährlingsböcke", würden hin und wieder auch mal versuchen, "am Geschehen teil zu nehmen". Das Ganze sehr zum Missfallen des Territorialbocks, der sich bei den folgenden Diskussionen zumeist durchsetzt. Der Jährlingsbock, ein echter Halbstarker in der Welt des Rotwildes, muss sich erst einmal weiter "durchs Leben lavieren", wie Seidel sagt.

Man ahnt es: Die Paarungszeit ist auch die Zeit der Revierkämpfe. "Es gibt in dieser Zeit auch Wechsel. Zum Beispiel gelingt es manchmal einem jungen, zwei oder drei Jahre alte Bock, einen älteren aus seinem Revier zu vertreiben".

Die Gelegenheit, die genannten Schauspiele selbst zu beobachten, bietet sich dem Spaziergänger freilich nur selten. Doch die Spuren dieser Dramen sind deutlich erkennbar - und nicht selten im Wald zu sehen. Martin Seidel führt den Waldbesucher seinen Gast an eine Stelle, an der die Erde unterhalb eines Baumes wie frisch aufgewühlt aussieht. Eine sogenannte "Pletzstelle". "Hier hat ein Rehbock mit den Vorderpfoten in der Erde gewühlt und damit sein Revier markiert. Wenn man viele von diesen Pletzstellen in einem Gebiet sieht, besteht die Chance, dass auch der Bock in der Nähe ist und die Lage peilt!", verrät Seidel.

Bald entdeckt er ein weiteres Lebenszeichens des Bocks: eine sogenannte "Fegestelle". Es handelt sich um einen Holunderstrauch, an dem das Tier sein Geweih abgeschubbert hat. Genauso wie bei der Pletzstelle, handelt es sich um eine Reviermarkierung.

Der Sommer im Wald - ist er also eine Zeit der Kämpfe und der Partnersuche, mithin also eine anstrengende Periode im Jahr? Nicht ganz. Auch Rehe finden hin und wieder Zeit, sich zu sonnen, etwa an einer Stelle, an der der Wald in ein Feld übergeht. Warum Tiere so etwas tun? "Einfach, weil es angenehm ist", sagt Martin Seidel.

Andere Waldbewohner würden im Sommer sogar "echte Zeichen der Lebensfreude" erkennen lassen. Die Rede ist von den jungen Kolkraben, die in dieser Zeit über den Wipfeln ihre ersten Flugübungen durchführen. Martin Seidel ist geradezu enthusiastisch, wenn er davon berichtet: "Das ist besser als jede Flugschau. Die schrauben sich zum Beispiel in die Höhe, lassen sich fallen und fangen sich dann im letzten Moment wieder auf!", berichtet der Förster.

Natürlich handele es sich auch um eine Handlung, die die Natur von ihnen erfordert. Doch Seidel traut dem Raben, der für ihn das klügste Tier im Wald ist, auch zu, etwas einfach deshalb zu tun, weil es ihm Spaß macht.

Zu erkennen ist der Kolkrabe an seiner Größe, sowie an seinem keilförmig zulaufenden Schwanz. Den Laut des Vogels beschreibt Seidel als ein "Klong". Wer den Klang hört, hat die Chance, gleich mehrere Kolkraben über den Wipfeln zu erblicken. Denn die Jungvögel sind bei ihren Flugübungen im Familienverband unterwegs. Manchmal fliegen sie auch in sogenannten "Junggesellengruppen."

Nicht zuletzt wird im Rüstjer Forst, wie auch in anderen Wäldern, auch hin und wieder gebadet. Bekannt für diese Handlungsweise ist das Wildschwein, das erst seit wenigen Jahren wieder in der Region auftaucht. Martin Seidel vermutet, dass das verbesserte Nahrungsangebot eine Ursache dafür ist.

"Auf der Stader Geest wird mehr Mais angebaut als früher, etwa wegen der Biogasanlagen." Der Ausbau dieser Energiequelle könnte laut Seidel damit zusammenhängen, dass die Wildsau auf der Geest zurzeit ein Comeback erlebt.

Will sich der Spaziergänger nun einmal ansehen, wo die robusten Tiere im Sommer Abkühlung suchen, sollte er sich im Wald auf die Suche nach einer Schlammkuhle machen. Findet sich daneben ein Baum, an dem noch etwas Schlamm klebt, ist die Sache klar: Dort hat sich dann ein Wildschwein nach dem Schlammbade ein wenig geschubbert. Das Bad dient indes nicht nur dem Wohlbefinden, sondern auch dem Schutz vor Insekten.

So gefährlich, wie landläufig behauptet, sind Wildschweine laut Martin Seidel dabei keineswegs. "Wenn man nicht gerade in einen Kessel mit Frischlingen läuft, stellt ein Wildschwein eigentlich keine Gefahr dar. Es flieht normalerweise", so Seidel. Deshalb brauche sich der Wanderer im Sommer nicht zu fürchten - anders als für die Rehen, ist die "heiße Zeit" für die Wildschweine schon vorbei.