Harry M. muss sich vor Staatsschutzsenat verantworten, weil er terroristische Vereinigungen unterstützt haben soll. Der Prozess hat begonnen.

Pinneberg/Schleswig. Von Pinneberg aus wollte Harry M. in den heiligen Krieg ziehen. Er kam - mit einer Zwischenstation in Neumünster - hinter Gitter. Gestern begann vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Schleswig der Prozess gegen den 20-Jährigen. Der Generalbundesanwalt wirft ihm Unterstützung ausländischer terroristischer Vereinigungen vor.

83 reine Videobeiträge und 139, teilweise mit Videos oder Lichtbildern verbundene Textbeiträge soll Harry M. zwischen Februar und Juni 2011 auf seiner - inzwischen abgeschalteten - Website Islamic Hacker Union veröffentlicht haben. Auf einigen Videos waren Hinrichtungen irakischer Polizisten sowie die Tötung von Angehörigen des irakischen Innen- und Verteidigungsministeriums zu sehen. In mindestens elf Fällen soll Harry M. im Internet versucht haben, Mitglieder und Unterstützer für zwei Terror-Vereinigungen zu werben.

Dem Ex-Pinneberger droht eine mehrjährige Haftstrafe. Bis zu 15 Jahre Gefängnis wären laut Erwachsenenstrafrecht möglich. Die Richter werden sich jedoch mit der Frage befassen müssen, ob der Angeklagte wegen Reifeverzögerungen nach dem milderen Jugendstrafrecht verurteilt werden muss. In diesem Fall läge die Höchststrafe bei zehn Jahren.

Zum gestrigen Prozessauftakt ging es zunächst nicht um die vorgeworfenen Taten, sondern um den Werdegang und die Gesinnung des heute 20-Jährigen. Dabei wurde schnell deutlich: Harry M. fehlte offenbar eine Person, die ihm die Grenzen aufzeigte. Sein Vater verließ die Familie, als er zwei Jahre alt war. Seine Mutter ging mehrere neue Beziehungen ein - doch Harry M. entzog sich offen jeglichen Erziehungsversuchen der Ersatzväter.

+++ Pinneberger soll Terrorgruppe unterstützt haben +++

Nach dem Grundschulbesuch wechselte er auf die damalige Integrierte Gesamtschule in Thesdorf. Er besuchte sie bis zur neunten Klasse. Einen Abschluss machte er nicht. Auch ein späterer Versuch, auf der Berufsschule den Hauptschulabschluss nachzuholen, scheiterte. Als Harry M. aufgrund seiner Eskapaden von der Mutter vor die Tür gesetzt wurde, zog er kurzzeitig zu seiner älteren Schwester. Sie wird am heutigen zweiten Prozesstag als Zeugin gehört. Der Angeklagte verbrachte viel Zeit mit ihrem Lebenspartner, einem Jordanier. Der führte den Pinneberger in die Lehren des Islam ein. Harry M. gab vor Gericht an, er habe sich von den detaillierten Schilderungen über Engel, das Paradies und dem Propheten Mohammed angesprochen gefühlt und mehrere Moscheen in Hamburg besucht. "Ich fand es schön, dass man sich vor Gott niederwerfen kann."

Harry M. nannte sich fortan Isa Al Khattab, er las acht Stunden täglich im Koran und radikalisierte sich zusehends. So prahlte er vor Gericht damit, voll hinter dem Anschlag des sogenannten Flughafenbombers von Frankfurt zu stehen, der amerikanische Soldaten angegriffen hatte. Er selbst habe auch den Wunsch gehabt, nach Afghanistan zu gehen und dort gegen die Ungläubigen zu kämpfen. Ob er dies für die Zukunft noch plane, wollte der 20-Jährige nicht beantworten.

Am Nachmittag schilderte die Mutter des Angeklagten, Birgit G., wie sie zuletzt immer wieder versucht hatte, ihren Sohn zu disziplinieren. Bei ihr in Neumünster hatte Harry M. bis zu seiner Verhaftung gewohnt - und sich vor allem nachts im Internet bewegt. So berichtete Birgit G., dass sich der 20-Jährige meistens dann, wenn sie schlafen ging, heimlich an den Rechner setzte und die ganze Nacht im Internet blieb.

Auf seiner Seite hatte Harry M. im Januar 2011 massive Drohungen gegen Wolfgang Seibert, den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Pinneberg, veröffentlicht. Sie sind jedoch nicht Bestandteil des jetzigen Gerichtsverfahrens. Der heute 20-Jährige hatte Seibert im Frühjahr 2011 prophezeit, er werde mit dem Tod bestraft. Dieser war daraufhin unter Polizeischutz gestellt worden. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde hatte zuvor öffentlich darauf gedrungen, eine Moschee in Pinneberg zu schließen, in der laut Verfassungsschutz extremistische Salafisten zusammenkamen. Die Einrichtung wurde später geschlossen, nachdem der Vermieter die Räume in der Innenstadt kündigte.

Die Staatsanwaltschaft Kiel hatte wegen der Seibert-Sache ein Ermittlungsverfahren gegen Harry M. wegen Nötigung und Bedrohung aufgenommen. "Ich habe seitdem nichts mehr von der Sache gehört", sagte Seibert auf Anfrage. Auch eine Akteneinsicht habe bisher nicht erfolgen können. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde nahm gestern nicht an dem Prozess teil. "Ich werde aber wohl an einem der nächsten Prozesstage hinfahren - einfach aus reiner Neugier." Er selbst habe den Islamisten nie getroffen. "Ich hätte mich gerne mal mit ihm unterhalten", sagt Seibert. Harry M. habe ihm vor seiner Inhaftierung, die Ende Juni 2011 erfolgte, ein Treffen angeboten. Seibert: "Aber das sollte nur in der Moschee stattfinden, und damit war ich nicht einverstanden."