Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Astrid Grotelüschen wird im Putenskandal zu einer Belastung für die Landesregierung.

Hannover. Astrid Grotelüschen tut den Kamerateams und Fotografen den Gefallen. Auf dem heimischen Hof in Ahlhorn im Oldenburger Land öffnet sie einen großen Pappkarton, nimmt ein munteres Putenküken heraus, streichelt es. So kommen die Fotografen zu schönen Bildern bei der Vorstellung der neuen niedersächsischen Landwirtschaftsministerin.

Als ausgewiesene Fachfrau rühmte sie bei der Amtseinführung im April der Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), die Oppositionsparteien dagegen mäkelten, es sei fatal, ausgerechnet einer Vertreterin der Massentierhaltung das Ministerium mit Zuständigkeit für den Tierschutz anzuvertrauen.

In den Tagen nach der Vereidigung versuchen die Mitarbeiter, der neuen Chefin die Vielschichtigkeit und auch die politischen Fallstricke des großen Ministeriums näherzubringen. Sie sei, so stöhnte später einer von ihnen, stark buchhalterisch-kaufmännisch geprägt.

Zeitgleich macht sich Ende April auch Stefan Bröckling an die Arbeit mit dem erklärten Ziel, ihr politisch aufzulauern. Er ist Aktivist der Tierschutzorganisation Peta , seine Visitenkarte weist ihn als den Mann für "Special Projects" aus. Der Mann fürs Spezielle filmt nachts heimlich und nicht zufällig in zwei Putenställen in Mecklenburg-Vorpommern. Peta wusste, dass die beiden Mastbetriebe über eine Erzeugergemeinschaft dem Familienunternehmen Grotelüschen verbunden sind. Die Putenbrüterei liefert die Küken, nimmt die schlachtreifen Tiere dann wieder ab.

Im April und noch einmal im Juli filmte Stefan Bröckling, dann sendete das ARD-Magazin "Report Mainz" die tierquälerische Haltung von Puten. Tote Tiere, verendende Tiere mit tiefen Wunden - die Republik ist angewidert und Peta vorläufig am Ziel. In "Report Mainz" kam die Ministerin zu Wort, stammelte etwas von der Selbstständigkeit der Mäster und davon, dass solche Bilder "nicht wünschenswert" seien. "Intensive Geschäftsbeziehungen" gebe es mit den Mästern aber nicht.

Schnell stellt sich heraus: Die Geschäftsbeziehungen sind doch eng, die Verträge räumen der Putenbrüterei Grotelüschen großen Einfluss ein. Für Ekkehard Niemann, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft in Niedersachsen, sind das "die üblichen Verträge für Lohnmäster". Die Agrarindustrie, hier Grotelüschen, kassiere im vor- und nachgelagerten Bereich des Verkaufs, das Risiko der Betriebsauslastung bleibe beim Lohnmäster: "Wenn der keine roten Zahlen schreiben will, dann kann er den Tierschutz nicht ernst nehmen, und das weiß Frau Grotelüschen genau, das ist üblich."

Astrid Grotelüschen nennt sich selbst eine rheinische Frohnatur, in der Nähe von Köln ist sie auf dem Bauernhof ihrer Familie aufgewachsen, "der Liebe wegen" kam sie nach Ahlhorn, stieg 1990 in das Familienunternehmen der Schwiegereltern ein. Das Unternehmen expandierte auch in Mecklenburg-Vorpommern, wuchs allein im Kernbereich auf 50 Mitarbeiter, seit 2001 führte das Ehepaar Garlich und Astrid Grotelüschen die zweitgrößte deutsche Putenmastbrüterei mit diversen Beteiligungen. Erst mit ihrer Ernennung zur Ministerin schied Astrid Grotelüschen aus den Funktionen aus.

Wenige Tage nach Ausstrahlung der Fernsehbilder stellte sich die Ministerin in einer Pressekonferenz und sagte Sätze wie diesen: "Sie müssen ein Tier töten, damit es Fleisch wird." Und als erfolgreiche Geschäftsfrau versuchte sie mit einer Milchmädchenrechnung zu beruhigen: "Jedes Tier, das verenden würde, stellt einen wirtschaftlichen Verlust dar, das kann nicht in unserem Interesse sein."

Auf eine Anfrage, was sie davon halte, dass Millionen männliche Hähnchenküken nicht gebraucht, sondern getötet und zu Tierfutter verarbeitet werden, hatte sie so reagiert: Die Wissenschaft arbeite daran, das Geschlecht der Küken schon im Ei zu erkennen. Auch dieser Satz trieb Tierschützer auf die Barrikaden: "Formalrechtlich ist die Verwendung von getöteten Küken zur Tierernährung als vernünftiger Grund im Sinne von Paragraf 1 des Tierschutzgesetzes einzustufen."

Die Oppositionsparteien im niedersächsischen Landtag, die Astrid Grotelüschen schon aufgefordert haben, ihr Amt angesichts schwerer Vorwürfe der Verwicklung in den Putenskandal ruhen zu lassen, werden in den kommenden Wochen das Thema weiter köcheln.

Im Landkreis Harburg ist vor vier Wochen eine funkelnagelneue Hähnchenmastanlage abgebrannt, die Polizei geht von Brandstiftung aus. Am vergangenen Wochenende brannte eine Mülltonne auf dem Produktionsgelände der Putenbrüterei Grotelüschen, ganz nahe an einem elektrischen Verteilerkasten. Gegen die Ministerin gibt es nicht nur eine Morddrohung, sondern auch Drohanrufe, entgegengenommen von ihren halbwüchsigen Söhnen. Der Verfassungsschutz warnt inzwischen vor zunehmender Militanz von Tierschützern. Die industrielle Tierhaltung wie auch der erbitterte Widerstand dagegen haben ganz offenkundig unkalkulierbare Nebenwirkungen.

Und genau hier beginnt die Person Grotelüschen zum Problem für Ministerpräsident David McAllister (CDU) zu werden. Die Personalentscheidung hat noch sein Vorgänger Christian Wulff (CDU) getroffen, und selbst CDU-Fraktionsmitglieder spotten, da habe Wulff der CDU ein schönes Ei ins Nest gelegt.

McAllister ist eigentlich ein Mann schneller Entschlüsse, aber wenn er jetzt versucht, reinen Tisch zu machen, wirkt das wie eine Kapitulation vor militanten Gegnern der Massentierhaltung. Andererseits ist die Ministerin Grotelüschen inzwischen zum Synonym für die unpopuläre industrielle Landwirtschaft geworden.

Genau die fördert die CDU-FDP-Koalition unter Hinweis auf Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze, aber der politische Preis dafür ist jetzt enorm gestiegen. Am Wochenende auf dem Landesparteitag in Lingen wird sich McAllister hinter die Ministerin stellen - es wird eine Hängepartie.