Übergewicht der “Gorch Fock“-Soldatin Sarah Lena S. stammt von Präparationsflüssigkeit in der Leiche. Kadettin mit Sondergenehmigung.

Hamburg/Kiel. Die Annahme, ein Besatzungsmitglied der "Gorch Fock" sei schlicht "zu dick" und nicht fit für den Dienst an Bord gewesen, lässt sich wohl nicht halten. Innerhalb kürzester Zeit hätte Sarah Lena S., die am 7. November aus der Takelage des Segelschulschiffs in den Tod gestürzt war, etwa 20 Kilogramm Gewicht zugenommen haben müssen. Denn die 25-Jährige war zwar mit 1,58 Meter Körpergröße nicht gerade groß gewachsen, aber auch nicht übergewichtig.

Das Rätsel um die angeblich in einem Obduktionsbericht festgehaltene plötzliche Gewichtszunahme der Kadettin scheint nun gelöst. Ärzte haben im Krankenhaus der brasilianischen Stadt Salvador da Bahia den Körper der Soldatin vor der Überführung der Leiche von Brasilien nach Deutschland mit 20 Kilo Formaldehyd präpariert. Das sei, so berichtet die Nachrichtenagentur dapd, in Marinekreisen zu erfahren gewesen. Möglicherweise war dieses Gesamtgewicht im Protokoll der Kieler Rechtsmediziner aufgetaucht - und die Soldatin hatte gar nicht zugenommen.

Nach der Überführung war die Leiche der jungen Frau in Kiel obduziert worden. Ob und warum die veränderte Gewichtsangabe in das Protokoll kam, blieb gestern unbekannt. Sowohl die Kieler Staatsanwaltschaft als auch das Verteidigungsministerium wollten sich nicht dazu äußern.

Die Mutter der toten Soldatin hatte - ebenso wie Marineinspekteur Axel Schimpf - schon früh Zweifel daran geäußert, dass die 25-Jährige so massiv zugenommen habe. Laut ihrer Mutter Angelika S. wog Sarah Lena stets "zwischen 55 und 60 Kilo". Der Marineinspekteur sagte vor dem Verteidigungsausschuss des Bundestages, er wisse auch nicht, wie sich die angeblichen 83 Kilo der jungen Frau erklären ließen.

Sarah Lena S. war bei einer Übung im Hafen der brasilianischen Stadt Salvador da Bahia aus 27 Meter Höhe auf das Deck gefallen. Sie war offenbar gemeinsam mit anderen Auszubildenden siebenmal in die Takelage hinaufgeschickt worden. Sie stürzte auf die Decksplanken, kam sofort ins Krankenhaus der Hafenstadt. Dort starb sie später an ihren schweren Verletzungen.

Für den Transport der Leiche sollen die brasilianischen Ärzte ihren Körper mit 20 Kilogramm der konservierenden Substanz quasi aufgefüllt haben. Das Flugzeug, in dem die Leiche nach Deutschland gebracht werden sollte, habe keine Tiefkühlvorrichtung gehabt, hieß es in Marinekreisen.

Auch Rechtsanwalt Thomas Kock, der die Mutter der toten Soldatin vertritt, bezweifelte die Theorie der Gewichtszunahme von Anfang an. Kock: "Das ist etwas kolportiert worden, dessen Wahrheitsgehalt ich nicht einschätzen kann. Nach wie vor habe ich über all diese Untersuchungen keine schriftlichen Unterlagen."

Angelika S., die Mutter von Sarah Lena, sei jedoch tief erschüttert und betroffen darüber, dass immer wieder Theorien und Details über den Tod ihrer Tochter diskutiert werden, genaue Untersuchungsergebnisse aber noch immer nicht vorliegen. Sie wisse nur, dass ihre Tochter vor der Abreise mit der "Gorch Fock" schlank wie immer gewesen sei, so die Bodenwerderin. Ihre Tochter habe Kleidergröße S getragen und nie zu Übergewicht geneigt.

Formaldehyd ist ein bewährtes Mittel zur Konservierung von Leichen. Dafür wird eine vier- bis achtprozentige wässrige Lösung verwendet, die als Formalin bezeichnet wird. Formaldehyd verkettet die Eiweißmoleküle eines Körpers miteinander. Dadurch wird nicht nur die Leiche konserviert, sondern auch Bakterien, die den Körper zerstören würden, werden abgetötet.

Wie alle Marinesoldaten hatte Sarah Lena S. regelmäßige Gesundheitstests durchführen müssen. Anhand dieser Tests wird die Verwendungsfähigkeit der Jungsoldaten festgelegt. Die Kadettin Sarah Lena S. ist offenbar zuletzt im August 2009 getestet worden. Zu diesem Zeitpunkt soll sie normalgewichtig gewesen sein. Für die Verwendung an Bord eines Schiffes hatte sie offenbar eine Sondergenehmigung - die sich allerdings auf die geringe Körpergröße der jungen Soldatin von nur 1,58 Metern bezogen haben soll. Für die Ausbildung auf der "Gorch Fock" soll eine solche Sondergenehmigung nicht vorgelegen haben.