Atomkraftgegner demonstrieren vor dem Endlager Gorleben. Minister sollen Forscher gedrängt haben, Gefahren herunterzuspielen.

Hannover/Berlin. Atomkraftgegner haben in der Nacht zu Donnerstag vor dem Bergwerk Gorleben für ein Aus der Endlager-Pläne demonstriert. Sie projizierten den Schriftzug „Von Kohl bis Merkel: Verfehlte Endlagerpolitik Gorleben stoppen!“ auf den Förderturm. Das Bundesumweltministerium hatte die Existenz eines Fernschreibens des Forschungsministeriums aus dem Jahr 1983 bestätigt. Darin soll die Physikalisch-Technische Bundesanstalt angewiesen worden sein, ein kritisches Gutachten zu Gorleben zu schönen, damit die Bundesregierung den Bau des Endlagerbergwerks fortsetzen konnte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte gestern prompt. "Alle Akten kommen auf den Tisch", versicherte der stellvertretende Regierungssprecher Klaus Vater. Sollte sich zeigen, dass etwas nicht in Ordnung sei, werde man den Vorgang neu bewerten müssen. Das Kanzleramt ließ sich inzwischen vom Umweltministerium die 80 bis 90 Gorleben-Ordner zur Überprüfung vorlegen.

Nach den jetzt aufgetauchten Unterlagen sollen sich die zuständigen Bundesminister Friedrich Zimmermann (CSU, Inneres) und Heinz Riesenhuber (CDU, Forschung) in die Abfassung der Studie eingemischt haben, auf deren Basis der Salzstock im Wendland anschließend erkundet wurde. Die von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt genannte Gefahr einer Verseuchung des Grundwassers mit Radioaktivität musste angeblich heruntergespielt werden. Von den Ministerien sollen auch "positive" Formulierungsvorschläge gemacht worden sein. Ein Sprecher der Bürgerinitiativen sagte dazu, seit vielen Jahren würden "die Menschen im Wendland belogen und betrogen".

Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach von einem "handfesten Skandal". Nötig sei eine völlig neue Standortsuche. Gabriel forderte Merkel auf, sich "zum zweiten Mal" von Helmut Kohl zu distanzieren: "Wobei ich nicht weiß, was schlimmer ist, die Schwarzgeldaffäre von Kohl oder dass unter seiner Verantwortung versucht worden ist, wichtige Fragen der atomaren Sicherheit zu verdrängen." Die Vorgänge bedrohten die Glaubwürdigkeit der Politik: „Die Menschen glauben ja dem Staat nicht mehr."

Der frühere CDU-Forschungsminister Heinz Riesenhuber und Kanzleramtschef Thomas de Maizière wiesen die "Unterstellungen" zurück. Gabriel habe mit seinen Manipulationsvorwürfen nur Wahlkampf im Sinn, sagte Riesenhuber. Er habe immer die Unabhängigkeit der Wissenschaft respektiert. De Maizière hat ein Schreiben an Gabriel verfasst, das der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vorliegt. Darin heißt es, unbegründete Fälschungsvorwürfe und unbewiesene Vermutungen seien irreführend und unredlich. Nach Auffassung de Maizières haben sich „Unsicherheiten“, die 1983 noch bestanden, längst erledigt.

In Gorleben hat die Atomindustrie bereits 1,5 Milliarden Euro investiert. Die Eignung als Endlager ist bis heute umstritten. Auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als Betreiber von Gorleben sieht mittlerweile kaum noch Chancen für den Standort ohne Prüfung von Alternativen. Das Vertrauen, dass es sich bei der Erkundung „um ein ergebnisoffenes Verfahren gehandelt hat, ist zerstört“, sagte BfS- Präsident Wolfram König der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Es nütze nichts, am Ende einen geeigneten, aber nicht durchsetzbaren Standort zu haben, weil ein Gericht Verfahrensfehler feststelle.