Reichtum und Macht - eine neue Führung gibt Touristen und Einheimischen Einblicke in die Geschichte der Hansestadt Lüneburg.

Lüneburg. Dass die alte Salzstadt zur Abschreckung einst den höchsten Galgen Europas hatte, weiß heute fast niemand mehr. Doch dafür gibt es ja die neue Rathaus-Erlebnisführung, die auch Einblicke in die dunklen Seiten der Geschichte gewährt. Unter dem Motto "Salz, Gold, Kunst & Konfekt" erleben die Teilnehmer eineinhalb kurzweilige Stunden und lernen manches über die Lüneburger Historie dazu.

Stilecht als Bürgermeistergattin Ursula von Witzendorff hat sich Stadtführerin Verena Fiedler gewandet: Mit Federn am Hut, langem Umhang und Bernsteinschmuck repräsentiert sie das 16. Jahrhundert. Eine Zeit, in der "die Reichen den Sommer auf dem Lande genießen konnten und die Armen in der Stadt von der Pest dahingerafft wurden". Reichtum und Macht waren untrennbar verbunden. Ursulas Ehemann, der Bürgermeister Franz von Witzendorff, war zugleich einer der reichsten Männer der Stadt. Er besaß Häuser in Lüneburg und Sommersitze außerhalb.

Die Familie wusste, wie sie ihre Macht sichern konnte: Dem 24-köpfigen Rat gehörten gleich mehrere von Witzendorffs an. Die Oberschicht war miteinander verwandt und verschwägert. Um den Reichtum zu mehren, wurden die Kinder geschickt verehelicht: "Es war immer gut, das Nachbarhaus zu heiraten. Wer weiß, wer da sonst hinzieht." Längst nicht alle jungen Frauen durften den Bund der Ehe eingehen. Verena Fiedler: "Die schönen Töchter wurden verheiratet, die klugen und die hässlichen wurden ins Kloster geschickt."

Bevor es ins Zentrum der Macht hineingeht, erläutert Verena Fiedler vor dem Rathaus noch, was überführte Verbrecher zu erwarten hatten. Alltagsvergehen wie "Schlägereien, Hurereien und Saufereien" wurden am Markttag vor dem Niedergericht unter freiem Himmel verhandelt. Doch über die Todesstrafe entschieden die Richter im Rathaus. Die damalige Gerichtsbarkeit war streng, die Strafen häufig grausam.

Frauen, die "falsch Zeugnis" abgegeben hatten, wurde die Nasenspitze abgeschnitten. Ob sie die Wahrheit gesagt hatten, konnte man ihnen also im Wortsinne "an der Nasenspitze ansehen". Männer wurden mit einem Schlitz im Ohr bestraft, sie galten fortan als "Schlitzohr".

Auch beim Ehebruch waren die Strafen geschlechterabhängig verschieden. Der Frau wurde der Kopf kahlgeschoren und das rechte Ohr abgeschnitten. Bei Männern galt die Tat als Kavaliersdelikt. Sie wurden vergleichsweise milde bestraft und mussten lediglich zehn Tage bei Wasser und Brot absitzen.

Die schwereren Vergehen wurden in der Gerichtslaube aus dem 13. Jahrhundert verhandelt. Ihr Steinfußboden musste in den vergangenen fast 800 Jahren so manche harte Sohle ertragen. Um die Steine zu schonen, betreten die Besucher den Raum deshalb heute über eine Platte aus Panzerglas. Damals hatten die Ratsherren zu ihren Füßen sogar eine Heizung. Aus einer Öffnung im Boden kam heißer Dampf. Wer diesen zu lange unter den langen Umhang strömen ließ, riskierte Verbrühungen. Die Heizung ist nicht mehr erhalten, das kunstvoll bemalte Fenster dagegen schon. Es stammt aus dem Jahr 1420 und ist damit das älteste weltweit außerhalb kirchlicher Bauten, wie Verena Fiedler verrät.

Der knöcherne Überrest jener Wildsau, der die Lüneburger nach der Legende einst den Fund der reichen Salzvorräte verdankten, ist ein weiteres Highlight der neuen Tour. Mehr als Tausend Jahre alt soll das Relikt sein.

Auch die Leuchter aus Hirschgeweihen im Fürstensaal und das Ratssilber können in Augenschein genommen werden. Heute sind vom einstigen Schatz der Stadt nur noch Nachbildungen erhalten, die Originale waren 1874 an das Berliner Gewerbemuseum verkauft worden.

Das süße Ende der Rathausführung bildet eine Verkostung von Konfekt nach historischen Rezepten. Ob raffiniert gefüllte Aprikosen, "Nonnenfürze" oder Ingwermarzipan - allen mundet es sehr. Bloß vor den süßen Zimtpflaumen warnt Verena Fiedler: Übermäßiger Genuss habe einen eiligen Besuch des stillen Örtchens zur Folge.

Die Rathaus-Erlebnisführung "Salz, Gold, Kunst & Konfekt" dauert rund eineinhalb Stunden, die Teilnahme kostet zwölf Euro pro Person. Am Donnerstag vor Ostern, 21. April, und am Ostermontag, 25. April, finden Führungen statt. Weitere Termine sind jeweils sonntags am 8. und 22. Mai, 5. und 19. Juni, 10. Juli, 7. und 28. August, 11. und 25. September, 9. und 23. Oktober, 27. November sowie am 4. und 11. Dezember. Die Führungen beginnen jeweils um 15.30 Uhr, Tickets gibt es in der Tourist-Information im Rathaus, 0800/220 50 05. Anmeldungen sind erforderlich. www.lueneburg.de