Test des Abendblatts mit dem ADAC Hansa ergibt: Parkhäuser an den Bahnhöfen sind dramatisch überbelegt. 28.000 Stellplätze fehlen.

Hamburg. Die bahnhofsnahen Pendlerparkplätze im Großraum Hamburg müssen nach Einschätzung des ADAC Hansa dringend erweitert werden. Die Verkehrsexperten fordern, die Kapazitäten langfristig mehr als zu verdoppeln - von derzeit rund 22.000 Stellplätzen im Geltungsbereich des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV) auf 50.000. "Ganz kurzfristig, also innerhalb der nächsten drei Jahre, bräuchten wir wenigstens 30.000", sagt Carsten Willms, verkehrspolitischer Sprecher des Automobilklubs.

Er ist davon überzeugt: Viele der Berufstätigen, die Tag für Tag in den Morgen- wie in den Abendstunden kilometerlange Staus verursachen und selbst mittendrin stehen, würden lieber heute als morgen auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen. Doch die Rahmenbedingungen seien denkbar ungünstig. "Wenn diese Menschen auf Parkplätze kommen, die schon früh am Morgen überfüllt sind, dann ärgern sie sich", sagt Willms. Dann führen sie - oft der Not gehorchend - eben doch mit dem Auto bis in die Stadt.

Die Zahlen sprechen für sich: Rund 300.000 Menschen pendeln aus anderen Bundesländern zur Arbeit nach Hamburg, darunter 150.000 aus Schleswig-Holstein, 90.000 aus Niedersachsen und 15.000 aus Mecklenburg-Vorpommern. Der überwiegende Teil von ihnen fährt Auto. HVV-Sprecherin Gisela Becker: "Unser Interesse ist, dass die Pendler ihre Wagen möglichst weit außerhalb der Stadt parken und auf die Bahn umsteigen." Auch sie ist überzeugt davon, dass viele Berufstätige Bahn fahren wollen. In Zusammenarbeit mit dem Hamburger Abendblatt haben sich Tester des ADAC Hansa jetzt auf 24 Park-and-ride-Anlagen im schleswig-holsteinischen Kreis Stormarn sowie in den niedersächsischen Landkreisen Harburg, Lüneburg und Stade umgesehen. Carsten Willms sieht sich durch diese Momentaufnahme in seiner These bestätigt. Denn an 20 Bahnhöfen lautete das Fazit der Prüfer in der Kategorie Platzangebot "schlecht". "Davon sprechen wir ab einem Belegungsgrad von 90 Prozent", sagt Carsten Willms. In den konkreten Fällen waren die Stellflächen spätestens um 8.30 Uhr sogar zu 100 Prozent belegt. Lediglich in Buchholz in der Nordheide und Maschen (beide Landkreis Harburg) sowie Ahrensburg-Gartenholz und Ammersbek-Hoisbüttel (beide Kreis Stormarn) haben die ADAC-Mitarbeiter noch freie Stellflächen ausgemacht.

In vier weiteren von den Testern unter die Lupe genommenen Kategorien - Sicherheit, Benutzerfreundlichkeit, Barrierefreiheit und Service - haben viele Anlagen ebenfalls nicht besonders gut abgeschnitten. Das ist für Carsten Willms momentan aber eher nachrangig. "Was wir zunächst brauchen, ist Kapazität, Kapazität, Kapazität", sagt er. Das hätten auch rund 1000 Beschwerden über die Anlagen gezeigt, die in den vergangenen anderthalb Jahren eingegangen seien.

Auf Ebene der Landespolitik findet der ADAC überwiegend Zustimmung. "Bei uns rennt er offene Türen ein", sagt etwa die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, Martina Koeppen. "Viele Pendler sagen mir, sie würden ja gern auf die Bahn umsteigen. Aber ab 7 Uhr sei an den Bahnhöfen kein Parkplatz mehr zu bekommen." Und ihr Pendant in der CDU-Fraktion, Klaus-Peter Hesse, sagt: "Es kann weder im Interesse des Umlands noch der Stadt sein, dass alle mit dem Auto in die City fahren." Auch der Pinneberger Verkehrspolitiker Kai Vogel (SPD), Landtagsabgeordneter in Kiel, sieht Handlungsbedarf. "Je näher wir an die Stadt kommen, desto größer wird die Not auf den Park-and-ride-Plätzen. Die Menschen sind genervt." Ähnlich äußerten sich der Harburger Kreistagsabgeordnete Maximilian Leroux (CDU) und Sigrid Kuhlwein (SPD), Vorsitzende des Kreisverkehrsausschusses in Stormarn.

In den zurückliegenden Jahren ist nicht viel geschehen. Der Vergleich der aktuellen ADAC-Ergebnisse mit einer von der Metropolregion Hamburg in Auftrag gegebenen Studie des HVV, die vor zwei Jahren vorgestellt worden ist, zeigt: Die Kapazitätsprobleme haben sich in jüngster Zeit vielerorts noch verschärft. Damals waren 187 Park-and-ride-Anlagen - davon 64 außerhalb des HVV-Verbundgebiets - beurteilt worden. Bei 63 von ihnen lag der Auslastungsgrad bei über 90 Prozent, 40 weitere waren komplett ausgelastet. "Wir haben die Kommunen damals aufgefordert zu handeln", sagt Oliver Mau, Verkehrsreferent der Metropolregion. Doch eine Verbesserung der Situation ist in den wenigsten Orten eingetreten.

Das dürfte in erster Linie an den Kosten liegen. ADAC-Mann Willms schätzt, dass eine Verdoppelung der Zahl der Stellplätze einen dreistelligen Millionenbetrag verschlingen würde. "Das ist schon Geld. Aber es kommt im Endeffekt allen zugute", meint er. Bund und Länder unterstützen Neu- und Ausbau der Anlagen mit bis zu 75 Prozent, und auch die Metropolregion verfügt über einen kleinen Fördertopf. Dennoch: Mindestens ein Viertel der Investitionen bleibt an den meist klammen Kommunen hängen.

Und so die sich zu einer Investition durchringen, können sie nicht einmal sicher sein, dass die geschaffenen Angebote auch von den eigenen Bürgern genutzt werden. "Es ist in der Tat so, dass es zu wenig Stellplätze bei uns gibt", sagt etwa Wolf-Egbert Rosenzweig, Bürgermeister der 20.000-Einwohner-Gemeinde Neu Wulmstorf (Landkreis Harburg), die an der HVV-Tarifgrenze liegt. "Wir wissen aber auch um das Problem, dass bei uns viele Stader und Buxtehuder parken, weil die Fahrscheine nach Hamburg ab unserer Station billiger sind." Bedauerlich sei das.

Die Finanzierung ist ein Problem, die Akquise infrage kommender Flächen ein weiteres. In Lüneburg etwa - dort werden die kostenpflichtigen Dauerparkplätze weitgehend unter der Hand privat weiterverkauft - hatte die Stadtverwaltung Mühe, ein geeignetes Grundstück zu finden. Schwierigkeiten machte ausgerechnet die Bahn, die sich bei der Lösung des Problems nach Auffassung des ADAC ohnehin "raushält": "Sie hat einen nicht akzeptablen Preis gefordert", sagt der Sprecher der Stadtverwaltung, Daniel Steinmeier.

Insbesondere aus Sicht der Grünen geht die Park-and-ride-Debatte indes in die falsche Richtung. Deren verkehrspolitischer Sprecher in der Hamburgischen Bürgerschaft, Till Steffen, sagt: "Grundsätzlich ist das eine sinnvolle Sache." Doch könne es nur ein ganz kleiner Teil eines Mobilitätskonzepts sein. "Sinnvoller wäre es, das Geld in mehr Kapazitäten in Bussen und Bahnen zu investieren" sagt er, moniert einen hohen Flächenverbrauch und eine schlechte Kosten-Nutzen-Bilanz: "Man bräuchte ein ganzes Parkhaus, um eine einzige S-Bahn mit 800 Pendlern zu füllen." Steffen setzt große Hoffnungen in die neuen Elektrofahrräder, mit denen sich auch auf dem Lande relativ lange Strecken zwischen Wohnort und nächstem Bahnhof bequem zurücklegen ließen. Dafür bedürfe es sicherer Abstellmöglichkeiten an den Bahnhöfen. Bike-and-ride - nicht nur für die Grünen ein Konzept mit Zukunft.

Alles zum großen P+R-Test unter www.abendblatt.de/parkandride