Heute Abend geht es um die Zukunft der Regierung in Kiel. CDU und SPD werden über Finanzen, Schuldenbremse und Kitas streiten. Ein Durchbruch ist nicht in Sicht.

Kiel. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) macht gerade einen Scherz, als SPD-Chef Ralf Stegner im Foyer des Landeshauses auf ihn zukommt. Die Regierungspartner in Schleswig-Holstein reichen sich kurz die Hand. Carstensen fixiert Stegner dabei finster, der schaut demonstrativ zur Seite. Beide sagen kein Wort, wünschen sich nicht einmal einen "Guten Tag". Die Episode am Abend der Europawahl zeigt, dass die Große Koalition in Kiel nicht nur politisch, sondern auch menschlich zerrüttet ist. Der Ministerpräsident und sein Sozius bekämpfen sich bis aufs Blut und machen im kleinen Kreis keinen Hehl aus ihrer gegenseitigen Abneigung. Carstensen hält Stegner für so etwas wie einen überehrgeizigen Klugscheißer, Stegner Carstensen für einen unpolitischen Dünnbrettbohrer.

Die Feindschaft kommt nicht von ungefähr. Carstensen kann es Stegner nicht verzeihen, dass er bereits im März 2007 den Vorsitz der Landes-SPD übernahm und sich sofort auf Kosten der bis dahin erfolgreichen Großen Koalition profilierte. Stegner wiederum nimmt es Carstensen übel, dass er als Innenminister gefeuert wurde und seit Anfang 2008 als Fraktionschef in der Politik und in den Medien punkten muss. Das beinahe hasserfüllte Verhältnis der beiden Spitzenpolitiker lässt sich aber nicht allein damit erklären, dass der eine Ministerpräsident bleiben möchte und der andere es werden will. Wer Carstensen und Stegner näher kennt, stellt schnell fest, dass sie aus völlig unterschiedlichen Welten kommen und fast nichts gemein haben. Sie sind wie Hund und Katze, einfach zu verschieden, um gemeinsam zu regieren.

Peter Harry Carstensen (62) ist ein Schleswig-Holsteiner wie aus dem Bilderbuch. Der Hüne (1,91 Meter) aus Elisabeth-Sophien-Koog spricht fließend Platt, hat nach einer unbeschwerten Jugend Landwirtschaft in Kiel studiert und ist mit ganzem Herzen Landesvater. Als König der Volksfeste schüttelt er Hände. Sein Motto: "Das Leben ist schön".

Ralf Stegner (49) ist fast einen Kopf kleiner (1,77 Meter) und kein Gute-Laune-Bär. Dem kühlen Intellektuellen, der in Maxdorf bei Mannheim aufwuchs, fällt es schwer, auf Menschen zuzugehen, einfach so über Gott und die Welt zu plaudern. Am liebsten spricht der Gastwirtssohn, der sich aus kleinen Verhältnissen nach oben kämpfte, über Politik. Sein Motto: "Das Leben ist ein Wettbewerb".

So unterschiedlich wie die Lebenseinstellung der beiden Parteichefs ist ihr Verständnis von Politik. Carstensen, der eher zufällig in die CDU und später in den Bundestag geriet, entscheidet oft nach Gefühl, regiert aus dem Bauch. Er mag es harmonisch und redet dem Publikum schon mal nach dem Mund. Stegner ist aus anderem Holz geschnitzt. Er hat an der Uni Freiburg Politik, Geschichte und Germanistik studiert, nebenbei eine Juso-Gruppe aufgebaut, später dank eines Stipendiums an der US-Elite-Uni Harvard gebüffelt und in Hamburg promoviert. Thema: "Theatralische Politik made in USA". Stegner regiert mit dem Kopf, geht keinem Konflikt aus dem Weg.

Ihr großes Ziel, die Landtagswahl (spätestens im Mai 2010) zu gewinnen, gehen der Ministerpräsident und sein Herausforderer unterschiedlich an. Carstensen setzt ganz auf seine Popularität als Landesvater. Der Bonus, den er sich in den Boomjahren bis 2008 erworben hat, schmilzt in der Wirtschaftskrise allerdings dahin. Vor einem Jahr hätte er bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten 59 Prozent erhalten, heute sind es nach der jüngsten Umfrage von Infratest dimap nur noch 52 Prozent.

Stegner bleibt seiner Strategie ebenfalls treu. Der Pragmatiker hat der SPD einen Linkskurs verordnet, will so in der Krise punkten und die Linkspartei klein halten. Bei einer Direktwahl bekäme er 29 Prozent, weit weniger als Carstensen, aber mehr als vor einem Jahr (23 Prozent).

Beide wissen um ihre Schwächen. Carstensen will sein politisches Profil schärfen, Stegner sein menschliches. Einfach wird das für beide nicht. Carstensen macht gerade die bittere Erfahrung, dass die kleinen politischen Erfolge in der Finanzpolitik und in anderen CDU-Kernfeldern durch die Krise aufgefressen werden. Stegner muss sich damit abfinden, dass er mit offenem Hemd und einem schmalen Lächeln zwar menschlicher wirkt, ihm aber gleichwohl die Herzen nicht zufliegen.

Für beide Spitzenpolitiker ist die Landtagswahl ein wichtiger Meilenstein, für Carstensen vermutlich der letzte. Bei einer Niederlage wäre seine politische Karriere zu Ende und auch bei einem Sieg blieben ihm nur noch einige Jahre als Regierungschef. In der CDU wird erwartet, dass Carstensen 2012 mit 65 abtritt, auch um mehr Zeit mit seiner Lebensgefährtin Sandra Thomsen (37) zu verbringen.

Stegner denkt nicht ans Aufhören. Bei einem Sieg könnte er die SPD auch in die Wahl 2015 führen. Im Fall einer Niederlage würde es eng. Einige Genossen wetzen schon die Messer. Stegner ist aber nicht auf Landespolitik festgelegt. Nicht nur er selbst traut sich zu, in der Bundesliga zu spielen. So oder so - der Vollblutpolitiker wird auch künftig wenig Zeit für seine Frau und die drei Söhne haben.

Klar ist, dass Carstensen und Stegner mit ihrem persönlichen Kleinkrieg mitverantwortlich sind für einen traurigen Rekord. Schleswig-Holstein gilt bundesweit inzwischen als das Land mit den meisten Regierungskrisen. Ob die Kieler Krawall-Koalition bis zum regulären Wahltermin am 9. Mai 2010 hält, wird sich nach dem heutigen Koalitionsausschuss entscheiden. Er ist für Carstensen die letzte Chance, um die SPD in den nächsten Wochen vor die Koalitionstür zu setzen und den Landtag schon am 27. September zusammen mit dem Bundestag wählen zu lassen. Stegner lehnt Neuwahlen kategorisch ab und nutzt auch diesen Konflikt für einen Seitenhieb auf Carstensen. "Wir sind nicht auf Tonga, wo der Häuptling sagt, lass uns mal wählen."