Im Atlantik vor der Insel El Hierro brodelt seit gut einem Monat ein junger Vulkan. Sein Ausbruch bestätigt Theorien von Kieler Forschern.

Kiel. Mehr als zehntausend Mini-Erdbeben, von denen die allerwenigsten spürbar waren, haben Geoforscher seit dem 18. Juli bei der kleinsten der Kanarischen Inseln El Hierro registriert. Solche "Schwarmbeben" sind ein Hinweis auf glutflüssiges Gestein, das sich im Erdinneren bewegt. Erreicht dieses Magma die Erdoberfläche, bricht ein Vulkan aus. Dies geschah im Oktober am Meeresgrund. Nun beobachten die Forscher, ob womöglich unweit von El Hierro eine achte Kanareninsel heranwächst.

Dr. Thor Hansteen vom Leibniz-Institut für Meeresforschung (IFM-Geomar) in Kiel und seine Mitarbeiter haben den Ausbruch erwartet. In den vergangenen Jahren untersuchten sie die Eruptionen auf den Kanarischen Inseln und entwickelten ein Modell der Vorgänge im Untergrund. Als der Vulkan am 10. Oktober wenige Kilometer vor der Südküste von El Hierro einige Hundert Meter unter dem Wasserspiegel ausbrach, hielt sich das aus der Tiefe aufquellende Magma prompt an die Theorien der Kieler Forscher.

"Die Kanarischen Inseln liegen über einem sogenannten Hot Spot", erklärt der Norweger Hansteen, der seit 1991 am IFM-Geomar forscht. Tief unter der Erdoberfläche quillt an diesen Stellen besonders heißes Gestein auf, und es entstehen häufig Gesteinsschmelzen, die Magma genannt werden. Mindestens fünfzig solcher Hot Spots haben die Forscher bisher ausfindig gemacht, von der Eifel über die Galapagos-Inseln bis eben zu den Kanaren. Die bekanntesten Beispiele sind Island und die Hawaii-Inselgruppe. "Der Hot Spot unter den Kanarischen Inseln ist aber vermutlich deutlich kleiner als der unter Hawaii", sagt Thor Hansteen.

Die Kontinentalplatten gleiten mit einem Tempo von wenigen Zentimetern im Jahr über die tieferen Bereiche des Erdinneren. Aus ihnen steigt dabei Magma auf. Im Laufe der Erdgeschichte entstanden so ganze Inselgruppen, etwa die sieben großen Inseln der Kanaren. Als der Hot Spot vor vielleicht 25 Millionen Jahren auftauchte, bildeten sich ganz im Osten mit Fuerteventura und Lanzarote die ältesten dieser Eilande. Die jüngsten sind La Palma sowie El Hierro, das vor rund 1,2 Millionen Jahren aus dem Atlantik auftauchte.

Als Thor Hansteen und seine Mitarbeiter die Lava auf den Inseln La Palma und El Hierro und vom Meeresboden vor ihren Küsten untersuchten, machten sie eine erstaunliche Entdeckung: Das Magma quillt keineswegs direkt aus etwa hundert Kilometer Tiefe bis an die Erdoberfläche. Ein großer Teil bleibt zehn bis 15 Kilometer unter der Erdoberfläche stecken. In dieser Tiefe bewegt sich das flüssige Gestein dann parallel zu den Vulkanketten waagrecht weiter und steigt erst einmal nicht in die Höhe. Erst wenn das Magma auf Risse und Spalten stößt, quillt es dort Richtung Erdoberfläche. Sobald es diese erreicht, beginnt die Eruption.

Jedenfalls schlossen Thor Hansteen und seine Mitarbeiter das aus ihren Lava-Analysen, die sie 2005 und 2009 in Fachzeitschriften veröffentlichten. Aber noch war das nicht mehr als eine Hypothese. Bis zum Sommer dieses Jahres.

Ungefähr zehn Kilometer unter El Hierro lokalisierte das spanische Instituto Geografice Nacional die Bebenherde. Diese wanderten im Laufe von Wochen aber langsam nach Süden in den Atlantik hinaus, bis rund drei Kilometer vor der Küste der Unterwasser-Vulkanausbruch begann. Offensichtlich war in dieser Tiefe Magma nach Süden geflossen und an einer Schwachstelle zum Meeresgrund aufgestiegen. Als spanische Forscher dort ein ferngesteuertes U-Boot tauchen ließen, entdeckten sie Ende Oktober einen Schlackenkegel mit einem Kraterdurchmesser von ungefähr hundert Metern. Inzwischen dürfte der Kraterwall keine hundert Meter mehr unter dem Wasserspiegel liegen. Erleben wir die Geburt einer neuen Insel?

"Eher nicht", vermutet Hansteen. Denn die vulkanische Aktivität lässt inzwischen anscheinend nach. Und ein typischer Vulkanausbruch auf den Kanarischen Inseln fördert gerade einmal rund 0,1 Kubikkilometer Lava. Das genügt zwar, um eine quadratische Fläche mit einen Kilometer langen Kanten hundert Meter hoch zu bedecken. Bis zur Wasseroberfläche reicht ein solcher Schlackenkegel aber kaum, wenn er aus 300 Meter Tiefe auftaucht.

Vor Kurzem kamen Befürchtungen auf, dass die Eruption vor El Hierro besonders gefährlich sei, weil dort auffällig helle Lava-Fragmente beobachtet wurden. Helles Magma ist normalerweise sehr zähflüssig, und vulkanische Gase stauen sich dort leicht. Daher sind diese Eruptionen oft sehr explosiv und damit gefährlich.

Für Hot Spots sind jedoch eher dünnflüssige, dunkle Magmen typisch, die weniger gefährlich sind. "Genau das passiert auch vor El Hierro", vermutet Thor Hansteen. Der Forscher hat bereits helle Gesteinsfragmente auf Gran Canaria, La Palma und El Hierro analysiert und als uraltes Sedimentgestein erkannt. Hansteen: "Die hellen Fragmente sind also sehr wahrscheinlich altes Sedimentgestein und deuten nicht auf eine gefährliche Eruption hin."