“Was tun bei Krebs?“ Jeder vierte Mensch in Deutschland stirbt an den Folgen eines bösartigen Tumors. Hamburger Ärzte schildern, wie sie mit neuen Diagnose- und Behandlungs- möglichkeiten kranken Menschen helfen können.

Er ist heimtückisch, löst Todesängste aus, bringt das Leben aus dem Gleichgewicht; doch die Chancen, Krebs zu überleben, sind in den vergangenen Jahrzehnten erheblich gestiegen. Was heute Ärzte in Hamburg alles tun können, um krebskranken Menschen zu helfen, beschreibt das Abendblatt in den kommenden Tagen in der Serie "Was tun bei Krebs? - Hamburger Experten antworten". Wir stellen Ihnen einige der häufigsten Krebsarten vor und berichten über die neuesten Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten.

Auch heute noch stirbt jeder Vierte in Deutschland an den Folgen eines bösartigen Tumors, und der Krebs steht an zweiter Stelle der Todesursachen. "Doch wir können bestimmte Krebsarten wie Hodenkrebs, den Lymphdrüsenkrebs Morbus Hodgkin und die Leukämie heute viel besser heilen als früher", sagt Prof. Ulrich Kleeberg, Vorsitzender der Hamburger Krebsgesellschaft. "Auch bei vielen Tumoren, die unheilbar sind, können wir das Leben der Patienten erheblich verlängern und die Lebensqualität verbessern", fährt Kleeberg fort, der als niedergelassener Onkologe in Altona tätig ist. Denn moderne Operations- und Behandlungstechniken sowie bessere Diagnostik haben der Krankheit viel von ihrem Schrecken genommen. "Wir können heute sehr viel genauer sagen, ob der Krebs auf ein Organ begrenzt ist oder sich schon im Körper verbreitet hat. So ist es möglich, den Patienten unnötige Operationen und andere Therapien zu ersparen", so Kleeberg.

Als großen Hoffnungsträger für die Zukunft betrachtet er die Molekulargenetik. "Damit ist es möglich geworden, zu erkennen, warum Krebszellen wachsen. Für dieses Wachstum brauchen die Krebszellen Treibstoff, so genannte Wachstumsfaktoren." Er vergleicht die Rezeptoren auf den Krebszellen, an die diese Wachstumsfaktoren andocken, mit dem Benzineinfüllstutzen eines Autos. "Auf diesen Stutzen kann man eine Kappe setzen, so dass der Treibstoff nicht mehr eingefüllt werden kann - die Krebszellen sterben ab. Eine solche Substanz ist das Herceptin, das bereits zur Behandlung des Brustkrebses eingesetzt wird. Solche ,Kappen', also Antikörper, gibt es bei einer wachsenden Zahl von Tumoren, speziell Lymphknotenkrebsen." Zugleich dringen die Molekularbiologen immer tiefer in die Geheimnisse des krankhaften Zellwachstums ein. "Wenn der Wachstumsfaktor an die Zelle angedockt hat, werden Mechanismen in Gang gesetzt, die zu einer Zellteilung führen. Zurzeit werden Substanzen getestet, die in diese Kettenreaktionen eingreifen und so verhindern, dass die Zelle sich teilen kann." Ein anderer Ansatz ist die Entwicklung von Stoffen, die die Bildung von Blutgefäßen in Metastasen hemmen. Diese Blutgefäße sind nötig, um die Tochtergeschwülste mit Nährstoffen zu versorgen. Werden sie gestoppt, wird der Krebs "ausgehungert".

"Trotz all dieser positiven Entwicklungen kommt ein großes Problem auf uns zu - die Entwicklung im deutschen Gesundheitswesen", so Kleeberg und nennt als Beispiel den Einsatz einer neuen Methode zur Diagnostik, die Positronen-Emissions-Tomographie, kurz PET genannt: "Die PET kann versteckte Nester von Krebszellen aufspüren und ist eine ideale Methode, um bei jungen Menschen, zum Beispiel mit Morbus Hodgkin festzustellen, welche Lymphknoten befallen sind. Doch dieses Gerät, obwohl wissenschaftlich anerkannt, dürfen wir nicht mehr einsetzen, weil die Untersuchung, die circa 400 Euro kostet, zu teuer ist. Stattdessen müssen wir den jungen Patienten eine Diagnostik zumuten, bei der wir den Bauch öffnen, Lymphknoten entfernen und auf Krebszellen untersuchen. Und das kostet unter Umständen ein Vielfaches", so Kleeberg. Die Krebsgesellschaft plädiert dafür, dass solche teuren Untersuchungen nicht generell untersagt, sondern wie in anderen europäischen Ländern auch, nur von Experten verordnet werden dürfen.

Solche Expertengremien sind zum Beispiel in Hamburg die Tumorkonferenzen. Auch Kleeberg trifft sich einmal in der Woche mit anderen niedergelassenen Ärzten, Medizinern aus dem AK Altona, Psychologen, Pflegekräften und Krankengymnasten zur Tumorkonferenz. Dort besprechen die an der Behandlung beteiligten Spezialisten aktuelle Fälle.

Ein weiteres Problem in der Krebstherapie ist die Verschreibung bestimmter Medikamente. "90 Prozent aller krebskranken Kinder und bis zu 80 Prozent der erwachsenen Tumorpatienten können bei fortgeschrittener Krebserkrankung in der Palliativmedizin nur angemessen behandelt werden, wenn wir Medikamente außerhalb ihres Indikationsbereichs einsetzen. Diese so genannten Off-label-Verordnungen sind für diese Therapie nicht zugelassen und damit gesetzlich nicht erlaubt. Die Krankenkassen wollen die Off-label-Medikamente nicht bezahlen und fordern die Kosten vom behandelnden Arzt zurück." Kleeberg nennt als Beispiel das Interferon. "Wir dürfen damit zwar die harmlosen Blutschwämmchen behandeln, aber nicht den bösartigen Tumor, der daraus entstehen kann, obwohl die Wirkung nachgewiesen ist."

Für die Zukunft wünscht sich Prof. Ulrich Kleeberg, dass qualifizierte, berufsbegleitende Fortbildung öffentlich anerkannt wird und ärztliche Fachgesellschaften bei gesundheitspolitischen Entscheidungen Mitspracherecht erhalten.

Trotz aller wissenschaftlichen und therapeutischen Fortschritte gibt der Krebs Medizinern noch Rätsel auf. Das größte ist wohl, warum es immer wieder Patienten gibt, die schier aussichtslose Erkrankungen überleben. Dabei stellt sich auch die Frage, was ein starker Lebenswille dabei ausrichten kann. Denn den Kampf gegen den Krebs muss zunächst einmal der Patient aufnehmen.